Prokuration oder Freitags auf der Mülldeponie

“Bitte kommen Sie mit einem Ausweisdokument” ruft man mich streng zum Eingangshäuschen, nachdem ich dreimal vergeblich versucht habe die Schranke mit meiner Zugangskarte zu öffnen. Stolz wedele ich mit meiner nagelneuen nur Scheckkartengroßen Carte d’identité, mit der ich endlich nicht mehr das Familienstammbuch mitschleppen muss, um zu beweisen, dass ich mit Monsieur verheiratet bin. Auf der Carte d’identité stehen beide Namen, mein “Mädchenname” und der “Ehename”. Außerdem ist damit bewiesen, dass ich Französin bin und hier lebe und nicht deutsche Touristin, wie immer vermutet wurde, wenn ich meinen deutschen Pass vorlegte. Das nützt mir jetzt aber überhaupt nichts. “Hat Ihr Mann Ihnen eine Prokuration erteilt?” fragt mich der Mann am Fenster streng. Zerberus gleich bewacht er den Zugang zur Mülldeponie und verwehrt mir, dort mein mit Müll vollgeladenes kleines Auto zu leeren. “Bitte? Eine Prokuration? Für die Mülldeponie?” Aber hallo! Die Karte für die Mülldeponie ist heilig und nicht übertragbar, da brauche ich entweder den Gatten oder eine Vollmacht, aber auch wenn der Gatte dabei gewesen wäre, wären wir heute nicht mehr reingekommen, denn es ist der Moment für eine “obligatorische Aktualisierung” unseres Mülldeponie-Kontos und wir müssen allerhand Papierkram vorweisen, den natürlich auf dem Weg zur Mülldeponie kein Mensch dabeihat. “Und Sie lassen mich jetzt nicht wenigstens den Müll abladen?” frage ich fassungslos. Auf keinen Fall, da fehlt ja schon die Prokuration! Er lässt mich nur durchfahren, damit ich umgehend auf der anderen Seite wieder rausfahren kann, was er persönlich überwacht. Er drückt mir einen Zettel in die Hand, ich kann die Aktualisierung auch im Internet machen. “Merci!” sagt er mit autoritärer Genugtuung. “Je vous en prie”, antworte ich patzig aber vollendet höflich. Als ich wütend davonfahre, verstehe ich zum ersten Mal, dass man das Bedürfnis haben kann, illegal Müll abzuladen. Nein. Mache ich nicht. Ich bin super resilient und fahre umgehend zum nahen Bioladen und gebe für Rumpsteak, frische Ravioli, Spargel, Erdbeeren, Blumen und noch ein bisschen Gemüse 73 Euro aus. Dann fahre ich wieder nach Hause und finde im ganzen Viertel auch nach der dritten Umrundung keinen Parkplatz. Erst jetzt schreie ich ein bisschen, aber ganz alleine im Auto und niemand kommt zu Schaden.

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11 Responses to Prokuration oder Freitags auf der Mülldeponie

  1. FrauC sagt:

    Und ich dachte, die Leute im Wertstoffhof bei uns seien komisch! Da musste ich mal meinen Ausweis zeigen, weil ich mit einem “ortsfremden” Auto unterwegs war und der Mitarbeiter es für möglich hielt, dass ich mit einer Kiste Elektroschrott 300 km angereist war. Aber eine eigene Zugangskarte haben wir nicht.

    • dreher sagt:

      Bislang waren sie zwar nicht “cool”, sondern sich immer ihrer Wichtigkeit bewusst, die Herren (keine Damen) von der Mülldeponie, aber so ein Theater hat bislang keiner veranstaltet. Ich wollte kein Öl ins Feuer gießen und sagen, dass ich seit Jahren ohne die verdammte Vollmacht Müll entsorge … Ein “Konto” und eine (für Privatpersonen bislang kostenlose) Karte waren aber schon immer verpflichtend. Weshalb es natürlich zu illegalem Müllabladen kommt, weil die professionellen Kunden (Handwerker, Baufirmen, Gärtner, Entrümpler etc) sich auch einschreiben und den Müll kostenpflichtig entsorgen müssen. Darauf haben vor allem viele der kleinen und nicht ganz offiziellen Handwerker natürlich keine Lust.

  2. Marion sagt:

    😂🤣😁 Mannomann! Also hier geht das immer problemlos, ohne irgendwas vorzuzeigen, ohne Konto, ohne Einwilligung des (nicht vorhandenen) Ehemanns. Das sind ja Zustände wie hier in den 70ern. Schönes Beispiel für frz. Bürokratie. Sich nach diesem Schock was Gutes zu tun, würde jeder Psychologe befürworten 🥰. Aber “es rauslassen” ist genauso gut!

    • dreher sagt:

      Naja, die Karte ist auf Monsieur ausgestellt und nicht übertragbar, deswegen muss er mir eine Vollmacht schreibe… Es geht nicht darum, dass Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns Zugang haben 🤷😅

  3. Wendy sagt:

    Ich weiß, warum ich den super freundlichen Mitarbeitern des Wertstoffhofs jedes Mal sage, wie sehr ich sie und ihre Arbeit schätze (es ist unkompliziert, man wird beim reinfahren nach kurzem Check der Sachen zu Containern gewiesen, es ist kostenlos, er ist 6 Tage die Woche geöffnet, und wenn die Sachen zu schwer sind, wurde mir immer geholfen. )

    • dreher sagt:

      Richtig so! Und das ist hier auch so! Die Mitarbeiter (nur Männer), die einem an Ort und Stelle die richtigen Container zuweisen, die ebenso helfen, schwere Dinge zu tragen, sind wirklich IMMER nett und hilfsbrereit und in der Regel gut gelaunt! So dass ich immer denke, wenn ich in die Verlegenheit käme, mir einen handfesten Job zu suchen, dann gerne dort, ABER die Herren am Empfang sind das alles weit weniger.

  4. Trulla sagt:

    Hier in Hamburg ist es so, dass wir den Personalausweis vorzeigen, aus dem sich der Einzugsbereich ergibt, was sich als sehr praktikabel erwiesen hat. Danach freundlichste Einweisung und Hilfestellung, die auch mir ermöglichte, 17 Müllsäcke voll mit Gartenabfall (Efeu, der mir asthmatische Zustände bescherte) zu entsorgen.

    Nachdem ein Sohn vor Jahren im ländlichen Bayern gebaut hatte und wir Eltern beim Einzug behilflich waren und anschließend Pappen entsorgen wollten, brauchten wir den dort erforderlichen Ausweis nicht mal vorzuzeigen: man gab uns zu verstehen, dass man das Auto mit Hamburger Kennzeichen schon kannte und daher Bescheid wusste. Unerwartet auf so viel Freundlichkeit zu stoßen ist herzerwärmend und verschönert den ganzen Tag.

    • dreher sagt:

      “Herzerwärmend” und “Tag verschönernd”. Wow! Das ist wirklich toll und auch die einzig richtige Art, Menschen zu motivieren, Müll ordentlich zu entsorgen! Bislang fuhr ich gern zur Mülldeponie (das heißt hier noch lange nicht Wertstoffhof, selbst wenn wir dort alles ordentlich trennen). Wie schon in einem anderen Kommentar angemerkt, sind die Herren direkt vor Ort auch sehr nett und hilfsbereit. Aber die Herren an der Zufahrt sind es deutlich weniger. Herzerwärmend und Tag verschönernd würde mir zu ihnen nicht einfallen ;-)

  5. Karin sagt:

    Wenn ich bei einem Besuch in der Heimat mit meinem Auto mit Genfer Kennzeichen ankomme, hatte ich noch nie Probleme. Geschaut wird zwar schon und vermutlich überlegt, woher das Auto kommt (ich habe keine Länderplakette, das kleine Schweizer Kreuz auf dem Kennzeichen muss genug sein), aber ich denke mal bei den vielen auch ausländischen Studenten in der Stadt sind die Damen und Herren (jaja, hier gibt es beides) schon an “fremde” Kennzeichen gewöhnt. Muss mal meinen Bruder fragen, der arbeitet auf einem Wertstoffhof und hat von dort leider nicht immer so lustige Anekdoten zu erzählen.

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