Und es wird Sommer

Wir waren nur eine knappe Woche unterwegs, es gab schöne und bereichernde Begegnungen, darüber unbedingt ein ander Mal, es war auch anstrengend, und was ist nicht alles passiert in dieser einen Woche! Der Künstler Ben ist tot. Er hat sich das Leben genommen, nachdem seine Frau an einem Schlaganfall verstorben ist, und ohne die er nicht weiterleben wollte. Ben ist eine Institution, zumindest hier im Süden kennen alle seine krakeligen Kunstbotschaften. Ich habe einmal sein Haus, ein Gesamtkunstwerk oberhalb von Nizza aufgesucht, das man schon damals nicht mehr einfach so besichtigen konnte.

être libre maintenant

imagination – la vie ne s’arrête jamais
doute – incertitude

Er soll auf dem Grundstück auch eine legendäre Bidet-Sammlung haben – wir haben hier ein altes und besonderes Bidet aus der Erbschaft meiner Schwiegermutter, das ich ihm immer zukommen lassen wollte. Gestern habe ich das neue Frankreich-Magazin erhalten, darin meine Kolumne über eben dieses Ding: das Bidet! Und mein letzter Satz dort lautet: “Von meinem Bidet werde ich mich nur trennen, wenn es in die Bidet-Sammlung des Künstlers Ben aufgenommen wird.” Das wird jetzt nicht mehr stattfinden. Bleibe ich also auf meinem Bidet sitzen. Haha. Kleiner Scherz.

Vielleicht sind Sie zu sehr mit den deutschen Wahlergebnissen beschäftigt und haben es noch nicht bemerkt: In Frankreich ist es noch schlimmer. In fast ausnahmslos allen Städten und Gemeinden Frankreichs hat die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen mit ihrem jungen, smarten Kandidaten Jordan Bardella gewonnen. Ganz Frankreich ist dunkelblau, die Farbe des ehemaligen Front National, kurz FN, der jetzt RN heißt, Rassemblement National, als ob das ständige Umbenennen der Parteien irgendetwas ändern würde.

Ich habe im Bergdorf beim Auszählen der Stimmen geholfen, das durfte ich, weil ich jetzt Französin bin und sogar eine Carte d’identité habe, die dann keiner sehen wollte, weil sie mich persönlich kennen, aber ich habe sie trotzdem gezeigt (die neuen Karten sind nur noch so groß wie Scheckkarten, die hat noch keiner gesehen); ich war schon ein bisschen stolz darauf, Striche auf einem offiziellen Dokument zu machen, es war ziemlich unübersichtlich mit über dreißig Parteien, die zur Wahl standen, aber gut, es hatten nur 52 Leute gewählt, wir hatten also eine Wahlbeteiligung von etwa 50%, das war für eine Europawahl für unser Dorf ein ziemlich gutes Ergebnis, aber es war natürlich immer noch überschaubar und so war es relativ schnell erledigt. Dass wir ein Drittel rechtsextreme Wähler im Dorf haben, hat mich nicht überrascht, ich war ganz zufrieden, dass Raphael Glucksmann, ein Kandidat der Sozialisten mit einem guten Wahlprogramm, der eine dezidierte Meinung zur Unterstützung der Ukraine und auch zu Israel und Gaza hat, immerhin auch zehn Stimmen bekommen hat. Erst als ich um 20 Uhr die Nachrichten sehe und feststelle, dass dieses Drittel rechtsextremer Stimmen ganz Frankreich erfasst hat, wird mir ein wenig anders. Und dann der nächste Schock, Macron löst die Nationalversammlung auf und beschließt vorgezogene Parlamentswahlen für den 30. Juni (1. Wahlgang) und den 7. Juli (2. Wahlgang) (er selbst bleibt Präsident, nur die Nationalversammlung wird neu gewählt!) Das ist historisch, das hat es noch nie gegeben. Und seitdem reden alle in allen politischen Sendungen durcheinander.

Von linker Seite wird sofort zu einem Bündnis gegen Rechts aufgerufen, und die eben noch extrem gespaltene Linke schließt sich zusammen – oder auch nicht. Raphaël Glucksmann, der ein Zusammengehen mit Mélenchons linksextremer Partei LFI, La France Insoumise, die als offen antisemitisch gilt, auch wenn die Linke das nicht hören will, immer ausgeschlossen hat, will keinesfalls nur der nützliche Idiot sein (er hatte mehr Stimmen als die LFI) und sich jetzt anschließen und unterordnen. Was wird passieren? Wird man Mélenchon opfern, der ohnehin (zu) alt und zu populistisch geworden ist? Werden die Sozialisten Glucksmann rausschmeißen, dem sie ihr gutes Ergebnis verdanken? Und warum haben die Grünen in Frankreich eigentlich nur mit Ach und Krach 5% erreicht?

Gestern dann der nächste Kracher, Eric Ciotti, ein sehr konservativer Politiker der kaum noch existenten in etwa der CDU vergleichbaren Partei LR, Les Républicains, hat sich der extrem rechten Partei von Le Pen und Bardella angeschlossen, der er vermutlich beste Chancen bei den parlamentarischen Neuwahlen gibt, und man muss ja schauen, wo man bleibt. Es wundert mich eigentlich nicht, Ciotti, der in etwa mit Stoiber von der CSU vergleichbar ist, falls sich noch jemand an diesen Herrn erinnert, ist in der Tat schon immer rechter als rechts gewesen. Kein Verlust. Aber die klassische konservative Partei ist schockiert. Und während auf allen Fernsehkanälen Journalisten, Fachleute und Politiker wild durcheinander rufen, sich gegenseitig ins Wort fallen und heftig diskutieren, wird plötzlich allen das Wort abgeschnitten, um betroffen bekanntzugeben, dass Françoise Hardy gestorben sei. “Maman est partie” habe Thomas Dutronc, ihr Sohn, auf Instagram bekanntgegeben, die Anzahl der Herzen, die er gesetzt hat, seine Liebe zu seiner schon lange schwer kranken Mutter, wird jedes Mal betont. Und wir sehen jetzt alle Fotos aus den sechziger Jahren und dieses zarte Mädchen, das die weiche Seite des “Yeah Yeah” wie die Sechziger-Jahre-Musik hier genannt wird, gewesen sei. Schluss mit der Politik für diesen Abend. Alle summen nun “Tous les garcons et les filles de mon age se promènent dans la rue deux par deux” und erinnern sich an ihre Jugend und ihre erste Liebe.

Heute sollen wir zwei neue Sofas bekommen, zwischen 8 und 12.30 Uhr wurde sie angekündigt. Morgens um Sieben drängt mich Monsieur, mit ihm schwimmen zu gehen, ich kann es fast nicht machen, weil ich die Möbellieferanten nicht verpassen will. “Die kommen nicht vor zehn” wehrt Monsieur meine Einwände ab und schließlich gebe ich meiner cooleren französischen Seite nach und wir fahren los. Am leeren Strand hüpfe ich trotzdem sofort schnell ins Wasser und schwimme dann doch nur die halbe Strecke, auch weil es gerade sehr starke Wellen hat und wir legen uns nicht in die ersten Morgensonnenstrahlen. Wie froh bin ich, dass ich wenigsten das gemacht habe, die Sofas kommen (kamen) nämlich erst um halb zwei! Sehr schick und sehr weiß. Aber wir haben ja keine Katze mehr, die ihre Haare darauf verteilen wird, und wir müssen uns eben einfach öfter die Hände waschen ;-)

Um ehrlich zu sein, ist die Überschrift ein bisschen geflunkert, so besonders sommerlich ist es hier noch nicht, wir hatten auch unterwegs immer Bewölkung und Gewitter, einmal regnete es auch wieder dieses schmutzige Schlammwasser, aber ich will mich nicht beschweren, ich kann zu viel Hitze ja nicht gut vertragen. Alles gut also.

Wir haben aber dennoch schon Sommerbesuch: Die kleine ukrainische Familie ist für drei Wochen angekommen! Wir freuen uns so! Bleiben Sie dran, ich berichte bald!

ps: gerade gesehen, auf arte gibt es eine Doku über Françoise Hardy, falls Sie mehr von ihr sehen, hören und wissen möchten. Françoise Hardy. Die Diskrete.

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14 Responses to Und es wird Sommer

  1. Pingback: Sehr grobe See - Buddenbohm & Söhne

  2. Claudia Pollmann sagt:

    In unserem Wahlbezirk den wir jetzt schon 20 Jahre betreuen ist der Wandel auch sehr gut zu sehen. Die Schwarzen waren hier jahrzehntelang ungeschlagen und jetzt bekommt die Adf genauso viele Stimmen und die SPD ist nur noch ein Randgruppenerscheinung.
    Er wird spannend …
    Grüße Claudia

  3. Marion sagt:

    Haha, jetzt höre ich die ganze Zeit “Und es war Sommer” und beame mich in die 70er. Ach ja, von Ben hattest du ja sogar schon mal berichtet. Ich bin derzeit sehr politikverdrossen, was sich leider in meinem Wahlverhalten niederschlägt. Und F. Hardy hatte seit Jahrzehnten ein Haus auf Korsika! In “meiner” Ecke (Calvi), aber das wusste ich damals nicht. Ich erinnere mich normalerweise nicht gut an Unterrichtsinhalte, aber das wir “Tous les garcons…..” in der Schule durchgenommen haben, ist mir im Gedächtnis geblieben! Da war die Frankreich-Liebe wohl vorprogrammiert. Ganz viel Freude mit Tetiana & Co. 💙💛

  4. Karin sagt:

    Weisse Sofas! Sehr mutig! Nicht nur die Hände waschen, auch aufpassen, dass sich niemand mit neuen Jeans draufsetzt, kann ich nur raten!
    Die Wahlergebnisse sind überall haarsträubend. Tochter kann nicht glauben, dass soviel junge Leute rechts gewählt haben. :(
    Nachdem ich die Nachricht von F. Hardys Tod gelesen hatte, habe ich den Tag über eine Playlist ihrer Lieder gehört und festgestellt, dass ich viele aus meiner Jugend kenne. Die müssen wohl im Radio gespielt worden sein. Danke Dir für den Link zur Doku!

    • dreher sagt:

      Ja, mutig, das finden wir jetzt auch :D Früher, als ich noch menstruierte, fand ich weiße Sofas in Chefbüros grauenhaft – das iat ja lange vorbei, aber natürlich haben wir auch jüngeren weiblichen Besuch, wir hoffen, keine Probleme zu schaffen – es fehlt ein angemessen schauender Smiley –

  5. Croco sagt:

    Ein uns bekanntes Ehepaar hat nur schneeweiße Möbel und schneeweise Sofas.
    Auf die Frage, wie das so bleibt, erzählen sie, dass sie ein Mal im Jahr beide zusammen eine große Putzsession machen.
    Die Ergebnisse der Populisten machen mir Angst. Wie herzlos sind die Menschen geworden, und wie dumm. Über ein Drittel hier im Dorf haben sie gewählt. Und wir haben knapp über zweihundert Wahlberechtigte. Und ich fürchte, es waren die Zuwanderer die gegen neue Zuwanderer sind. Und immer noch für Russland argumentieren. Und hier nicht angekommen sind.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bauern gegen die EU argumentieren. Man kann ja genau nachlesen, wie hoch ihre Subventionen sind.

    • dreher sagt:

      Alles in weiß fände ich glaube ich ein bisschen anstrengend. Mal schauen, wie wir das mit den Sofas leben 😅

      Ich verstehe nicht, dass auch so viele junge Menschen so rechts gewählt haben. Mir macht die ganze Entwicklung auch Angst.

  6. Beate sagt:

    … kein Kommentar zu deinem Thema “Bidet”??? ich find es gut, dass du das aufgreifst. Ich bin auch eine erklärte Liebhaberin dieser Bereicherung im Badezimmer der südlichen Länder. In keiner deutschen Wohnzeitung findet das Bidet Beachtung oder gar Unterstützung. Manchmal frage ich mich: waschen die Deutschen sich nicht “untenrum”? Das tägliche Duschen ist doch – seit dem Ökogedanken – angeblich auch aus der Mode.
    Also Dankeschön, dass du die Aufmerksamkeit auf diese kleine Nebensächlichkeit gelenkt hast.

    • dreher sagt:

      Danke für den Kommentar!
      Das Thema ist vielleicht zu intim 😔
      Ich will mein Bidet auch nicht missen!