Ärgernisse

Kaum hatte ich den letzten Text veröffentlicht, hat ein erneutes Gewitter nicht nur den Strom sondern auch unsere nagelneue DSL-Leitung zum Erliegen gebracht. Der dafür erstellte schrankartige Kasten, der unterhalb meines Badezimmerfenster zu stehen kam, surrte und vibrierte nicht mehr, er war tot.

Das Modem, die sogenannte Live-Box, ein Name, den ich persönlich sehr passend finde, ich assoziiere so etwas wie einen Herzschrittmacher: so lange die Live-Box geht sind wir mit dem Leben der Welt verbunden -, blinkt beim Symbol @ nur hektisch rot anstatt durchgehend grün zu leuchten. Ich rief am nächsten Morgen bei der Hotline an, klicke mich durch das Anmeldeverfahren (Wenn Sie für die Nummer Soundso anrufen, drücken Sie die 1… wenn Sie Fragen zu Ihrer Rechnung haben oder eine Rechnung begleichen wollen, drücken Sie 2, für alle anderen Fragen drücken Sie die 3… Wir werden Sie sobald wie möglich mit einem unserer Service-Angestellten verbinden, die Wartezeit beträgt weniger als acht Minuten… ) und lande bei einem höflichen Menschen, der alle zwei Sekunden Madame zu mir sagt „ja, Madame“, „nein, Madame“, „haben Sie schon ihre Live-Box überprüft, Madame“, undsoweiter. Da ich nicht klüger als der Arzt sein wollte, gab ich nur die Symptome „Kein Internet“ und „Live-Box blinkt“ durch, nicht aber das, was ich bereits wusste: generelle Panne der externen Technik. Dummer Fehler. Man schickte mir am nächsten Tag einen Techniker, der die Live-Box überprüfen sollte. In der Zwischenzeit haben aber alle mit Internet ausgestatteten Dorfbewohner mir ihr Leid geklagt: Christjann! Internet geht nicht! Ich sage beschwichtigend, keine Sorge, Techniker kommt schon. Leider ist es aber nur der Techniker für die Live-Box der mairie, der sehr nett ist, sich von allen Dorfbewohnern ihr internteloses Leid anhören muss, dann aber achselzuckend vor dem toten Internetschrank steht, für den er weder Schlüssel noch Kompetenz hat. Die Live-Box überprüft er angesichts der generellen Panne dann erst gar nicht. Er versucht aber einen kompetenten Techniker zu erreichen. Es ist Freitag Mittag im August, alle die können, sind in Urlaub. Die anderen sind überlastet. Eventuell kommt jemand am Samstag. Es kommt natürlich niemand. Am Sonntag auch nicht, aber das habe ich auch nicht wirklich erwartet. Montags rufe ich wieder die Hotline an (Wartezeit weniger als vier Minuten immerhin), denn meine Dorfbevölkerung ist jetzt ziemlich ungehalten: Internet geht nicht, merde alors! Wir überlegen, ob wir die Hotline alle zwei Minuten anrufen, damit sie für uns die Internetrecherchen machen, die wir nicht vornehmen können, das könnte den Vorgang beschleunigen. Fragen wie etwa: Wie hieß das Lied, das bei Michael Jacksons Beerdigung von der hochschwangeren schwarzen Frau gesungen wurde? Was tun bei braunen Flecken auf Tomaten? Wir suchen ein nettes Hotel an der italienischen Riviera… Könnten Sie bei amazon eine Bestellung für einen Wanderführer aufgeben?… Es ist aber nicht nötig, denn man sagt mir auch so einen Techniker für Montag Nachmittag zu, denn wir sind immerhin eine öffentliche Einrichtung und auch wenn wir nur ein sehr kleines Dorf sind, so liegt doch das ganze Dorf internetmäßig lahm. Tatsächlich kommen zwei Männer, die geheimdienstartig vor dem Schrank parken und sich schweigend zwischen Auto und Schrank klemmen, mit ernstem Gesicht telefonieren und dabei niemandem ansehen und mit niemandem reden. Erst als ich sie bitte zur Klärung der Lage in die mairie zu kommen, erbarmt sich einer mir zu sagen, dass sie gekommen sind, um eine Art Blitzableitertechnik zu installieren, was sie aber nicht können, da sie ein Problem mit der Installation des Stromanbieters EDF haben. Immerhin erreichen sie, dass ein EDF-Techniker am gleichen Nachmittag hinzukommt. Drei Männer telefonieren nun wild in der Gegend herum, denn das Internet geht immer noch nicht, auch nachdem alles mögliche ausgetauscht und umgestöpselt wurde. Vermutlich ist irgendeine Karte betroffen, die auszutauschen aber keiner der drei Männer befugt ist, abgesehen davon, dass sie solch eine Karte auch nicht dabei haben. In der Zwischenzeit stehen alle Dorfbewohner um die drei Techniker herum und schimpfen temperamentvoll und theatralisch, was ich so nicht fertig bringe, auch wenn ich ebenfalls schon ziemlich genervt bin: Fünf Tage ohne Internet! Am Abend verschwinden die Techniker, versprechen mir einen weiteren Techniker für den späten Abend, der die besagte Karte austauschen wird. Der angekündigte Techniker kommt weder am Abend, noch in der Nacht und auch nicht am nächsten Morgen. Ich rufe also wieder die Hotline an und treffe auf einen stoffeligen undeutlich redenden Menschen, der mich anhand seines standardisierten Fragebogens so Dinge abfragt wie „Haben Sie überprüft, ob Ihre Live-Box eingeschaltet ist?“. AAAAHHHH!!!! Ich koche innerlich und nachdem er mich mehrmals in die Warteschleife gehängt hat, um dann zum dritten Mal lahm nach meiner Telefonnummer zu fragen, bin ich drauf und dran, laut schreiend durchs Dorf zu laufen. Er weiß nicht weiter, wird sich aber kümmern, sagt er. Später erhalte ich dann tatsächlich eine sms, dass ich am nächsten Tag gegen Mittag mit einem Spezialisten einen Telefontermin habe. Am nächsten Tag fahren bereits morgens vier Techniker mit zwei Autos vor den immer noch toten Internetschrank und arbeiten wiederum geheimdienstartig vor und in dem Schrank. Ich frage mich, ob das in den kommenden Tagen weiterhin exponentiell zunehmen wird und spreche dieses Mal mit niemandem mehr, ich glaube nicht mehr an eine Internetverbindung, und wenn, wird sie auch ohne meine Vermittlung kommen. Die Dorfbewohner aber stehen ungehalten um die vier telefonierenden Techniker. Diese sind eher schweigsam und verschwinden nach einer kleinen Weile leise wie sie gekommen sind. Aber siehe da, ein großer Seufzer der Erleichterung geht durchs Dorf und man ruft es sich von Balkon zu Fenster zu: Internet geht! Nicht aber in der mairie. Und auch nicht bei einer weiteren Nachbarin. Ich habe meinen Telefontermin mit meinem Spezialisten, der mich sehr unspezialisiert wiederum fragt, ob ich die Live-Box schon mal aus- und wieder eingestöpselt hätte, nachdem die Techniker da waren. Langsam werde auch ich ungehalten, was ich mir in meiner Nicht-Muttersprache eigentlich immer verkneife, weil ich die feine Grenze zwischen höflicher Aufgebrachtheit und grober Unhöflichkeit sprachlich nicht ziehen kann. Ich wage zu sagen, dass es meines Erachtens an der Live-Box liegt, die zusätzlich zu der großen Panne vermutlich einen Blitzschlag abgekriegt hat. Mir wird geantwortet, dass eine Panne der Live-Box laut vorliegendem Dossier nicht sein kann, da bislang keine defekte Live-Box gemeldet wurde. Ja, sage ich, weil sie bislang von keinem Menschen überprüft wurde. Das kann seiner Ansicht nach bei der Anzahl der Techniker, die immerhin da war, nicht sein, da ich aber nur noch unfreundlich zische, verbleiben wir dennoch so, dass mir erneut ein Techniker für den Folgetag versprochen wird. Dieser kommt und stellt tatsächlich eine defekte Live-Box fest, er hat aber, wieso sollte er auch, natürlich keine zum Austausch dabei. Sie wird mir aber für den Folgetag versprochen, ich bekomme sie sogar geliefert und muss sie nicht wie die Nachbarin mit der gleichen Panne irgendwo in Nizza abholen, denn wir haben ja einen Pro-Vertrag, der vorsieht, dass alles binnen 24 Stunden repariert wird. Wir sind schon bei der 224. Stunde und ich bin entsprechend erschöpft. Die Live-Box wird aber nur geliefert bzw. ausgetauscht, einen weiteren Techniker zur erneuten Installation sieht das System nicht vor. Geliefert wurde ein früheres, klobigeres Modell der Live-Box, die Kabel, die mir von meiner defekten Live-Box blieben haben andere Farben. Ich versuche dennoch mein Glück, scheitere leider bei der Eingabe des Passwortes und rufe irgendwann entnervt die Hotline an. Ich bin schon auf alles gefasst, auf 25 Minuten Wartezeit, auf die Frage, ob ich die Live-Box eingeschaltet habe und dergleichen mehr, nicht aber darauf, eine nette junge und kompetente Frau am Hörer zu haben, die alles sorgsam mit mir installiert und dann sagt, ich rufe sie am Montag wieder an, um zu hören, ob weiterhin alles gut geht. Ich fasse es nicht und frage, ob ich für eventuelle spätere Pannen ihre direkte Durchwahl haben kann. So etwas geht natürlich nicht, ich frage nach, wo sie sitzt, denn dann frage ich bei Bedarf wenigstens nach Ihrer Plattform und stoße, wenn ich Glück habe, vielleicht wieder auf sie. Und was glauben Sie, wo sie sitzt? In Tunis! Unglaublich.
Ich weiß nicht wie lange die Verbindung hält, bis zum nächsten Gewitter vermutlich, ich versuche bis dahin maximal davon zu profitieren. Ich weiß nicht wie schnell und leistungsstark Ihre Internetverbindung ist, hier haben wir ein lächerliches Giga zur Verfügung, mehr verträgt die Leitung nicht. Das ist ganz schön langsam und instabil. Aber ich will nicht zu doll meckern, ein Giga, wenn es denn da ist, ist besser als gar nichts.

Ich weiß nicht wie viele Jahre lang ich noch Post für die Auberge und für Patrick bekommen werde. Ich dachte, alles gekündigt und umgemeldet zu haben, aber ich bekomme noch immer täglich Post für ihn. Heute zum Beispiel eine ultimative Mahnung, wenn ich nicht binnen 24 Stunden die Telefonrechnung der Auberge für die letzten drei Monate zahlte, würde meine Akte an einen Gerichtsvollzieher übergeben. Ich habe das Telefon bereits im Juni gekündigt. Ich habe zudem niemals eine erste oder zweite Mahnung bekommen…
In der Post war ebenso die freundliche Mitteilung einer Kommission, die darüber entschieden hat, dass Patrick krankenbeihilfefähig sei, und wenn er zur Vervollständigung seines Dossiers noch einmal die Dokumente x, y und z beilegen würde, könne ihm rückwirkend ab dem 1.6.2009 bis einschließlich 1.6.2011 monatlich eine gewisse Summe gewährt werden. Es ist so üblich, dass das gesamte Dossier versendet wird, das ich sentimental durchblättere und sehe, den Antrag haben wir mit großer Dringlichkeit Anfang März gestellt, die Kommission hat dann ganz fix bereits am 8. Juli getagt. Dabei lag ihnen zwischenzeitlich sogar der Totenschein von Patrick vor, ich finde ihn beim Durchblättern. Ich rufe dort an und frage nach, der Dame ist das sehr unangenehm, dass die Kommission zwei Monate nach dem Tod von Patrick über seine Krankenbeihilfe entschieden hat.

Ich habe keine Ahnung, ob das in Deutschland in vergleichbarer Situation genauso unkoordiniert läuft und ob Internetinstallationen in ländlichen Gegenden wie, sagen wir mal der Uckermark oder auf der Schwäbischen Alb, genauso vor sich hindümpeln. Hier ringen mir diese Ärgernisse große genervte oder im besten Falle auch nur resignierte Seufzer ab. Aber was soll ich machen. C’est comme ca, hein…

So weit war ich vor gut einer Woche, zögerte, ob ich so einen unzufriedenen Text veröffentlichen sollte, und ob mir nicht beim Veröffentlichen noch ein netter Abschlusssatz einfallen könnte – ich sitze also im Büro der mairie, versuche Typepad zu öffnen, uns siehe da, die gerade wieder gefundene Internetverbindung hatte sich schon wieder verabschiedet. Tatsächlich kann man das nur mit buddhistischer Ruhe und einem Stoßseufzer gen Himmel ertragen. Ich weiss nicht, welcher Gott oder welcher Heilige für die Technik zuständig ist, aber vermutlich ist er auch gerade im Jahresurlaub. Ich stöpsele alles aus und um und wieder zurück, aber es bleibt tot. Wenn da nicht die nette junge Frau aus Tunis gewesen wäre, die tatsächlich wieder anrief und –erfolglos- alles mit mir durchprüfte und dann einen Techniker beauftragte, der alles, aber auch wirklich alles abchecken sollte, der dann auch kam und schweigsam aber gewissenhaft alles überprüfte und mir noch mal eine neue Live-Box daließ und sie sogar installierte, dann säßen wir vermutlich immer noch ohne Internet da.
Ich profitiere von der gerade existenten Verbindung und schicke diesen techniklastigen und unzufriedenen Text raus, dann habt ihr wenigstens eine Ahnung mit was man außerhalb von Großstädten so zu ringen hat, wenn man mit der Welt kommunizieren will. Falls ich länger abwesend sein sollte, liegt es in der Regel an dem wackeligen Internetsystem, das schon zusammenbricht, wenn drei Leute zur selben Zeit online sind und einer davon zu laut niest.
Und falls ihr wisst, wer der Schutzheilige fürs Internet ist, schickt ihm, wen ihr könnt, eine kurze mail, damit er ab und zu ein bisschen hierher kuckt und seine Energie sendet. Danke und Amen.

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