Die Villa Rothschild – la médiathèque de Cannes

Villa Rothschild Blick GartenWas tut man bei diesem stürmisch-regnerischen Wetter? Man geht vielleicht ins Museum oder ins Kino oder in die Bibliothek. Heute waren wir in der Bibliothek. Médiathèque heißt das hier ganz modern. Denn, wie es sich für eine Cannoiser Stadtbibliothek gehört, kann man dort auch andere Medien, also CD’s und vor allem Filme DVD’s ausleihen. In der Tat ist die Videothèque so umfangreich, dass man, wollte man alle Filme ansehen, vermutlich für den Rest seines Lebens gut beschäftigt ist. Die Médiathèque von Cannes hat mehrere Zweigstellen und verfügt zusätzlich über einige Bibliobusse, die einmal wöchentlich andere Stadtviertel anfahren und dort an zentralen Punkten stehen (bei uns ist das etwa vor dem Bäcker), und dort auf LeserInnen warten. Ich war noch nie in einem Bibliobus, aber es gab vor längerer Zeit einen sehr schönen Text über das, was so ein (vergleichbarer deutscher Bücher-)Bus und seine Bücher bewirken können. Der Text wurde eine Zeitlang überall verlinkt, aber vielleicht kennen Sie ihn noch nicht.

Der Hauptsitz der Médiathèque in Cannes aber befindet sich in der Villa Rothschild, einem neoklassizistischen Bau, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts. Vermutlich ist das meiner deutschen Herkunft und Geschichte zu verdanken, dass ich mich Gebäuden, die einen so deutlich jüdischen Herkunftsnamen tragen und heute in öffentlichem Besitz sind, immer ganz vorsichtig nähere. Als dürfte ich dort eigentlich nicht richtig sein. Immer ist da sofort dieser Gedanke von unrechtmäßig angeeignetem Besitz. Ach, sehe ich sie seufzen, das wird ja schon wieder kein lustiger Text. Warum kann sie denn nicht einfach ein paar nette Fotos ohne Text veröffentlichen, fragen Sie sich vielleicht gerade. Nun, Sie können noch schnell wegklicken. Oder, Vorschlag zur Güte: Sie schauen nur die Fotos an.

Verrerie Säulen Auffahrt Villa Rothschild  Eingang

Ich wollte also ganz klar auch etwas rauskriegen zur Villa Rothschild, aber zunächst ging ich mal hinein. Und wenn Sie schon lange mal zu einem herrschaftlichen Gebäude vorfahren wollten, dann gehen Sie in die Bibliothek, oder besser fahren Sie, denn hier können Sie das tun: Man darf mit dem Auto auf das Gelände und sogar bis direkt vor den Eingang fahren, und es gibt sogar eine handvoll kostenloser Parkplätze. Es hält Ihnen hier aber, anders als bei den Grandhotels, niemand die Tür auf und Sie können auch niemandem den Schlüssel zuwerfen, damit er Ihnen das Auto parkt.

Interieure Blick in den Garten Hinweisschilder Kopierer

Einmal drin ist es eine eigenartige Mischung aus neoklassizistischem Pomp und etwas angegammeltem Stadtbibliothekscharme. Aber das Großartige überwiegt in meinen Augen. Hohe Decken, Stuck, Fresken, ein geschwungenes Treppenhaus, Statuen und Kamine, Spiegel und knarzendes Parkett. Bodentiefe Fenster mit Blick in den angrenzenden Garten und vor allem, das gerade renovierte und wieder eröffnete kleine Schmuckstück: der Lesesaal in der Verrerie, ein Glashaus. Hier könnte ich stundenlang sitzen und Zeitungen und Zeitschriften lesen.

Lesesaal Verrerie Charlie hebdo Himmel

Heute aber lief ich ein bisschen herum und machte Fotos, und versuchte dabei, die anwesenden Nutzer, die in den Lesesälen lasen oder arbeiteten, nicht allzusehr zu stören. Die Médiathèque bietet ein Multimediaprogramm mit Internet und Trallala an, man muss sich aber kostenpflichtig dafür angemeldet haben. Wir haben nur einen klassischen Leseausweis, der uns berechtigt eine gewisse Anzahl Bücher und andere Medien auszuleihen. Ich stand ehrfürchtig vor dem Regal mit BD’s und Graphic Novels. Alles, was mein Herz begehrt und was es in der zunehmend schlecht sortierten Fnac nicht zu kaufen gibt. Mit drei Bänden machte ich heute den Anfang.

Treppenhaus Administration Dienstmädchentreppenhaus Café

Ein Hinweis auf ein Café im Obergeschoss ließ mich die Stufen des hellen Treppenhause nach oben nehmen. In dieser Etage, hinter den geschlossenen Holztüren der heutigen Bibliotheksverwaltung, befanden sich früher die ehemaligen Arbeitsräume des Personals der Familie Rothschild, wie mir eine auskunftsfreudige Angestellte erklärte. Und ganz oben, unter dem Dach waren, wie überall, die Zimmer der Dienstmädchen. Es gab natürlich auch ein Dienstbotentreppenhaus, der heute als Notausgang fungiert.

Das Café aber entpuppte sich als Automat, der diverse Heißgetränke und Schokoriegel anbietet. Ich fragte die nette Angestellte, ob man nicht daran denken würde, ein angeschlossenes Café auf der Terrasse oder im Garten zu eröffnen. Sie sah mich erschrocken an, als habe ich etwas Verbotenes gesagt. Natürlich ist eine Bibliothek, selbst eine Stadtbibliothek, ein Ruheort. Tassenklappern und Löffelklirren und geschwätzige Cafégäste will man hier nicht haben. Ich WEISS das eigentlich. Ich habe selbst ein paar Jahre in einer Bibliothek gearbeitet. Psssscht! war das Wort, das ich dort am meisten gezischt habe. Aber es gehe auch nicht, weil die Villa unter Denkmalschutz stehe, erfahre ich. Alles ist schwierig. Man darf nichts verändern, beinahe nicht mal einen Nagel einschlagen. Demnächst wird sogar der hölzerne Eingangsbereich wieder zurückgestaltet, der dem funktionellen Ausleihsystem zum Opfer gefallen war.

Deckenfrresko

Zu Hause habe ich ein bisschen über die Geschichte der Villa Rothschild nachgelesen. Ich verlor mich zunächst ein bisschen in den umfangreichen Artikeln zur wohlhabenden Bankiersfamilie Rothschild, die sich, ursprünglich mal aus Frankfurt/Main stammend, im Laufe der Zeit in alle möglichen Zweige verästelt hat: den Londoner Zweig, den Pariser Zweig, den Wiener und den Neapolitanischen Zweig…  James de Rothschild, trotz des englischen Vornamens der Begründer des Pariser Zweigs, verheiratete sich mit einer gewissen Betty. Betty kam Ende des 19. Jahrhunderts nach Cannes, es gefiel ihr und sie ließ sich letztlich dort diese Villa bauen. Nach ihrem Tod lebten ihr Sohn Alphonse und später dessen Sohn Edouard dort und die Villa war stets ein “haut lieu de la vie mondaine”. Aristokraten, Industrielle und Mitglieder der High Society trafen sich dort zu festlichen Einladungen und Empfängen. Bis 1939. Dann wurde die Villa beschlagnahmt und während des zweiten Weltkriegs war sie, das sagt die Stadt nicht, Sitz der Kommandatur. Nach dem Krieg wurde die Villa dann von der Stadt Cannes erworben, mit dem Ziel, dort eine Bibliothek einzurichten. Wie das alles vor sich ging und was aus der in Cannes ansässigen Familie Rothschild seinerzeit wurde, und ob oder warum nicht sie die Villa zurückgefordert haben, erfährt man natürlich nicht so einfach. Wie so oft denke ich, ich sollte mal das Stadtarchiv aufsuchen. Da war ich nämlich auch noch nie. Hoffentlich gibt es noch ein paar verregnete Tage.

 

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2 Responses to Die Villa Rothschild – la médiathèque de Cannes

  1. Mumbai sagt:

    At least kommt dieses historisch schoene Gebaeude wenigstens der Oeffentlichkeit
    zugute. Rothschild’s oder wie immer sie heissen moegen, gibt es auch heutzutage…
    aber ich weiss, wie und was Sie meinen.

    • dreher sagt:

      Naja, erstens gibt es die Nachkommen der Rothschilds ja noch, und selbst wenn sie seinerzeit vielleicht unsympathische Bankiers gewesen sein sollten, ich habe so ein bisschen was gefunden zu ihrer Art Geld zu verdienen, heute wären sie vermutlich knallharte Börsenspekulanten, vielleicht so vom Genre Trump, was weiß man schon, aber selbst da finde ich, dass es niemandem das Recht gibt, Besitz zu beschlagnahmen, nur weil sie Juden waren oder sind, und weil sie vielleicht noch “genug” Geld und Besitz haben.