Ein (Frauen)Film: Aurore

Ok. Ein Frauenthema heute. Keine Politik. Ein Tag ohne Politik! Die Kandidaten müssen schweigen vor dem morgigen Wahltag, und das ist auch gut so. FRAUENTHEMA. Ich wiederhole es vorsichtshalber in Großbuchstaben. Alle, die Politik wollen, können wegklicken. Ich meins ernst.

F R A U E N T H E M A

Ich war im Kino. Mit Monsieur. War (ist) aber ein Frauenfilm. Viele (ältere) Frauen im Saal, die Männer konnte man an einer Hand abzählen (hab ich gemacht). Monsieur war auch nicht wirklich berührt, “kann man ansehen” war sein einziger Kommentar. Ich habe ihn mitgeschleppt, weil ich dachte, er lerne was über Frauen. Ich musste aber viel erklären. Was mich berührt hat, zum Beispiel. Warum ich gelacht habe und warum geweint. Ich habe nämlich geweint. Gut, ich weine schnell im Kino. Ich bin ein bisschen sensibler als der Durchschnitt, das zeigt sich bei Filmen immer ganz besonders. Dieser hier hat mich ins Herz getroffen.

Ich liebe die Schauspielerin Agnès Jaoui. Sie spielt in vielen (sehr französischen) Alltags-Komödien und Dramen, oft an der Seite von Pierre Bacri, ihrem ehemaligen Lebensgefährten. Ich habe sie eine Weile nicht in aktuellen Filmen oder Medien gesehen und war angerührt von dem Interview (französisch), dass sie zu ihrem neuen Film “Aurore” gibt. Sie spricht unter anderem darüber, dass es Frauen um die 50 kaum im Film zu sehen gibt. Ich war auch angerührt von ihrem Äußeren. Von ihrem Körper. Ich habe Agnès Jaoui nämlich zum ersten Mal so rundlich weich gesehen, immer mit der Hand unter dem Kinn, wie um das weicher werdende Doppelkinn zu überspielen (ich mache das zumindest so). “Sie ist so alt wie ich”, dachte ich überrascht, weil sie für mich bislang immer alterslos jung war. Sie habe ihr Leben lang Diäten gemacht, um dem Bild von der ewig jugendlichen Schauspielerin, die in Kleidergröße 38 passt, zu entsprechen. Damit sei nun Schluss. Und in diesem Film durfte sie so sein wie sie ist, die Regisseurin habe sie genau so gewollt, und habe ihren Körper nicht kritisch, sondern liebevoll betrachtet. Das sei so tröstlich gewesen, erzählt sie. Agnès Jaoui ist Anfang 50 und spielt eine Frau Anfang 50 und sie sieht aus wie eine Frau Anfang 50. Und sie hat damit zu kämpfen. Im Film und im echten Leben auch. Es sei schwierig für sie, sich im Film anzusehen, sie ertrage ihren Anblick kaum noch, sagte sie. Ich kann sie so gut verstehen.

Im Film schlägt sie sich, als Aurore, mit der Menopause und vor allem mit den Hitzewallungen herum. Mit den Töchtern, die aus dem Haus gehen und schwanger werden. “Schon?” fragt sie fassungslos und freut sich nicht wirklich darüber, Großmutter zu werden. Sie ist doch selbst noch so jung, die Töchter waren eben noch klein. Schon ist sie Großmutter? Das wars schon? Sie verliert ihre Arbeit und findet “in ihrem Alter” nichts mehr in ihrem Metier und schlägt sich daher als Putzfrau durch – in einem Altersheim. Und sie verliebt sich. Fühlt sich so jung und wird doch Großmutter und die Töchter sind befremdet, ihre Mutter verliebt zu sehen. Als höre das mit spätesten 30 auf.

In französischen Zeitungen werden gerade die Senioren als die neuen Sex-Bestien entdeckt. Solche Texte werden ja immer nur von Jüngeren geschrieben, die dem Umstand, dass man auch jenseits der 50 noch ein erfülltes Sexleben haben kann, mit gemischten Gefühlen begegnen: peinlich ist es schon, steht ungeschrieben zwischen den Zeilen. Falls sie jünger sein sollten als ich, sage ich Ihnen, dass das nie aufhört. Das Verlieben kann auch mit 80 noch passieren und man fühlt sich dann immer noch wie 15. Und das mit dem Sex wird vielleicht etwas … ähm … aufwändiger, weniger sportlich auch, aber viel zärtlicher und liebevoller. Ich hätte mir das auch früher schon gerne so gewünscht, wenn ich ehrlich sein soll.

Zurück zu “Aurore” – der Film und Agnes Jaoui haben mich berührt und gerührt. Ich schlage mich auch mit dem “sich jung fühlen und älter werden” herum, mit diesem Körper, der so großmütterlich weich und rund wird, und ich habe auch definitiv mit Diäten aufgehört. Ich habe nämlich auch mein ganzes Leben lang Diäten gemacht. Mehr als das. Mein ganzes Leben kämpfe ich gegen Esstörungen an. Zu viel, zu wenig, gar nichts. Immer und immer wieder. Ich kann und will es nun nicht mehr. Ich will endlich ganz normal essen. Und meinen Körper lieb haben, so wie er ist. Noch ertrage ich seinen Anblick aber nicht. Ich liebe Agnes Jaoui dafür, dass sie so ist, wie sie ist und ich liebe diesen Film, weil er sie so zeigt, wie sie ist, und das ganz liebevoll. Im Film tanzt sie einmal zu “Ain’t Got No” und auch dieses Lied rührt mich so an. Großartig.

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

8 Responses to Ein (Frauen)Film: Aurore

  1. Marion sagt:

    Schon gespannt, wann er in D anläuft…. Schon komisch, wenn man Männern solche Gefühlsdinge erklären muss. Mich hat das manchmal so abgeschreckt, dass ich es lieber habe sein lassen mit den Beziehungen.

    • dreher sagt:

      Männer sind anders. Sic! Monsieurs hatte sein Augenmerk auf dem “Praktischen”: ein Skandal mit Anfang 50 keine Arbeit mehr zu finden!

  2. Micha sagt:

    Meine Lieblingsrubrik bei Dir – Frauenthema! SO lebendig schreibst du darüber, so gerade wie erheiternd! Da bin ich stets ganz bei und mit und neben dir, tief solidarisch… auch wenn (noch) in einer anderen Phase, in einem anderen Jahrzehnt… Tja, und den Film muß ich mir wohl anschauen… mit einer Freundin ;)

    • dreher sagt:

      Danke Micha! Der Film ist übrigens auch witzig! Ich habe gelacht UND geweint, aber das “Berührtsein” habe ich mit nach Hause genommen.

  3. Uschi sagt:

    Das Frauenthema – und den Film – hast du wieder so herzerfrischend beschrieben und “den Nagel auf den Kopf getroffen”.
    Und:
    Großes Aufatmen zur Wahl!!!

  4. mhs sagt:

    Ich hatte neulich einen dienstlichen Fototermin und dachte angesichts der Bilder “Wer ist denn die liebe Omi?!” Welch ein Schock, das war ich! Die Schere im Kopf zwischen Aussen- und Innenbild ist bei mir auch ziemlich weit offen. Auch hier fini le régime! da bin ich schon etwas weiter (ich bin aber auch 50ties-Jahrgang und strebe dem Ende des offiziellen Arbeitsleben entgegen), aber es ist schon erstaunlich.
    Noch weiß ich nicht wem ich den Vorzug gebe, oder, wie ich die beiden in Deckung bekomme. Sehr schöner Text. Hoffentlich wird der Film hier auch gezeigt.

  5. Pingback: Zwischendurch aus Cannes | Au fil des mots