Und weiter gehts die Rhône hinauf. Le Rhône eigentlich, im Französischen zumindest, im Deutschen heißt es die Rhône. Ob ein Fluss in Frankreich weiblich und une rivière oder männlich und daher un fleuve ist, hängt davon ab, ob er sich in einen anderen Fluss wirft, wie es so nett auf Französisch heißt: “se jette dans le fleuve” oder den Weg bis zum Meer zurücklegt, um sich dann in dieses zu werfen “se jette dans la mer”. Im Deutschen gilt, zumindest offiziell, die gleiche Regelung – ein Fluss fließt in den Strom, und der Strom fließt ins Meer, ohne dass dabei allerdings zwischen weiblich und männlich unterschieden wird. Der Neckar und der Main fließen in den Rhein, dieser, ebenso wie die weiblichen Ströme Donau und Elbe fließen völlig unbehelligt ihres Fließgewässergeschlechts ins Meer. Im normalen Sprachgebrauch spricht man aber selten vom Strom, auch der Rhein geht als Fluss durch.
Nun, wir machen jetzt Flusskilometer. Ohne Pause geht es bis Lyon oder zumindest fast: In Viennes ist am nächsten Morgen ein kurzer Halt vorgesehen, von hier geht es mit Bussen zu den Ausflügen nach Lyon.
Plötzlich verlangsamt das Schiff und legt an einem unscheinbaren Steg an. “Eine Person verlässt uns hier” werden wir über das Mikro aufgeklärt. Ich habe natürlich viel zu viele Krimi-Szenarien im Kopf, und musste sofort an Merle Krögers Havarie denken. Dort wird auf hoher See ein schwerkranker illegaler Flüchtling von einem Kreuzfahrtsschiff ausgeschifft. Was ist es bei uns? Eine Leiche? Ein Passagier? Ein Mitglied der Crew? Ich erfahre es nicht, schon weil ich nicht neugierig nachschauen gehe und auch nicht nachfrage.
Nachts wache ich auf, das bis dahin so sanft gleitende Schiff ruckelt etwas. Es lärmt, es ruckelt. Ich ziehe den Vorhang auf. Wir sind wohl in einer Schleuse. Direkt vor meinem Fenster ist ein unbegreiflichen Ding, ich starre es an, es gruselt mich und ich ziehe den Vorhang schnell wieder zu.
Das Schiff ruckelt. Ich denke darüber nach, wie es wäre, um Drei Uhr nachts ins Wasser zu müssen. Ich kann nicht schlafen und nehme letztlich ein Mittelchen, mit dessen Hilfe ich wieder einschlafe. Beim Frühstück am nächsten Morgen sprechen auch an den anderen Tischen die Menschen von der etwas unruhigen Nacht. Motorschaden? Haben wir einen treibenden Baumstamm gerammt? Gab es ein technisches Problem in der Schleuse? Ich möchte vor allem meine Mutter nicht weiter beunruhigen und hörte bewusst nicht hin und frage auch nicht nach. Die beiden Offiziere laufen betont lächelnd und fröhlich “Guten Morgen” wünschend durchs Schiff. Mich macht so etwas eher misstrauisch. Kurz vor Neun ertönt die Stimme der Offizierin durch das Bordmikro. Wir waren nachts wirklich irgendwo in einer Schleuse hängengeblieben und aufgrund der dadurch entstandenen Verspätung, werden wir nicht rechtzeitig in Viennes sein, die geplanten Ausflüge müssen leider abgesagt werden. Wie schade, wir waren schon gestiefelt und gespornt. Nur eine der Reisegruppen war in der Lage ihren Bus zu einem klitzekleinen Hafen zu ordern, an dem wir einen kurzen Stopp machten und dort zusahen, wie die kleine Gruppe uns verlässt.
Wir hingegen haben überraschend frei. Wir gehen trotz des Windes an Deck und machen dort obligatorische Beweisfotos: Wir sind auf einem Schiff!
Vor Dreizehn Uhr werden wir nicht in Lyon sein, heißt es, wir setzen uns also gemütlich in die Lounge, bestellen jede einen Longdrink und stellen uns selbst einen improvisierten kleinen Lyon-Ausflug zusammen. Ich war ja schon einmal in Lyon und kenne das eine oder andere. Allerdings werden wir in Lyon nicht genug Zeit haben, um die Altstadt und die Basilique Notre-Dame de Fourvière zu besuchen und danach noch ein feines Essen in einer der Brasserien von Bocuse zu genießen. Dafür aber haben wir zum ersten Mal auf der Reise wirklich Zeit zum Nichtstun. Und wir haben Zeit zum Stöbern im kleinen Bordshop, der geöffnet ist. Wir finden schöne Ringe aus Muranoglas und plaudern ein wenig mit der charmanten und wirklich reizenden Italienerin, die den Shop führt. Es ist erstaunlich ruhig an Bord, wir sind wenige in der Lounge, wo andere Reisende lesen und die Drei-Generationen-Familie Gesellschaftsspiele spielt. Der bulgarische Kellner hat Zeit, ein Foto von uns zu machen.
Das Mittagessen, für das wir ursprünglich nicht eingeplant waren, ist dieses Mal etwas improvisiert, aber es gibt wie immer Deko und satt werden wir natürlich auch.
Zur Ankunft in Lyon muss ich natürlich wieder an Deck, ich will den Zusammenfluss von Rhône und Saone aufnehmen, verpasse es dann fast, weil ich derart von dem neuen Museum, dem abstrakten Musée des Confluences (wörtl: Museum des Zusammenflusses) beeindruckt bin. Leider aber ist alles Grau in Grau, das Wetter ist schlecht geworden.
Als wir später auf unser Taxi warten, das uns in das Stadtviertel La Croix Rousse fahren soll, beginnt es zu regnen.
Lyon ist eine ehemalige Seidenweberstadt. Der abgesagte Ausflug hätte uns unter anderem auch in eine Seidendruckerei führen sollen. Wir beschließen, dass wir im Maison des Canuts an einer Führung durch die Geschichte der Weberei teilnehmen wollen. Canuts heißen die Weber in Lyon.
Ich verlinke hier mal den Arte Film Lyon, das Erbe der Seidenweber, den ich hier lange als Film stehen hatte, aber er spielt sich immer von selbst ab, das nervte etwas.
Die junge Frau, die uns die unterschiedlichen alten Webstühle erklärt und ein Stückchen Seidenstoff für uns daran webt, ist aber keine Weberin, sondern eine extra für diese Führung ausgebildete Kraft, man merkt, sie hat das alles schon sehr oft erzählt, aber sie erklärt es gut, wenn auch sehr schnell. Ich bin auch so gepackt von diesen Webstühlen und von all den Informationen, dass ich anfangs das Fotografieren vergesse. Außerdem übersetze ich natürlich noch halblaut für meine Mutter, denn es ist eine französischsprachige Führung.
Es geht in der Führung von der Seidenherstellung bis zu den Weberaufständen im Viertel La Croix Rousse. Im 19 Jahrhundert existierten hier tausende von Manufakturen in extra dafür gebauten Häusern.
Heute gibt es gerade noch zwei Webereien, die nur deswegen überleben, weil sie (fast ausschließlich) für das Schloss in Versailles tätig sind. 17 Jahre arbeiteten sie nur daran, die Stoffe und gewebten Seidentapeten für die Restaurierung des Schlafzimmers des Königs herzustellen. Das Muster und die Fäden für die gewebten Seidentapeten sind so aufwändig, dass man nur knapp drei Zentimeter pro Tag davon weben kann. Aber auch die durchschnittlich 30 Zentimeter “normalen” Seidenstoff, die ein Weber pro Tag weben konnte, sind beeindruckend wenig. 60 Meter Stoff brauchte man für ein Kleid der damaligen Zeit. Zwei Monate dauerte es, alleine den Stoff dafür zu weben
Wir dürfen später Seidenkokons anfassen und den Faden, der beinahe unsichtbar ist. Auch die unterschiedlichen Seidenqualitäten erspüren wir mit unseren Händen. Seide nicht gleich Seide. Mir fällt wieder das Büchlein “Seide” von Alessandro Baricco ein. Und als wir etwas über die Lyoner Weberaufstände erfahren, denke ich, ich sollte Gerhart Hauptmanns Drama “Die Weber” noch einmal lesen.
Wir kaufen aber dennoch kein Seidentuch in dem schönen Laden, sondern gehen Kaffee trinken und essen ein feines Birnentörtchen.
Dann fahren wir im strömenden Regen mit dem Taxi zurück zum Schiff. Dort kommen wir gerade Recht, um mit der Crew, einschließlich des Kapitäns auf das Ende unserer Reise anzustoßen. Alle haben sich fein gemacht, nur wir nicht, aber es ist nicht schlimm. Einer der Kellner, der sich anfangs über unsere Alkohlabstinenz amüsiert hat, hat auf uns gewartet und streckt uns nun strahlend jedem ein Glas Orangensaft entgegen, da wollte ich nicht sagen, dass ich extra eine Antihistamintablette zusätzlich genommen habe, um zur Feier des Tages an einem Sektchen zu süppeln, na gut. Wir stoßen also mit Orangensaft an.
Jetzt gilt es noch zu bezahlen. Ich hatte All-inclusive gebucht, aber die Trinkgelder und die Ausflüge sind ein Extra. Es dauert ein wenig, aber während wir in der Schlange anstehen, komme ich mit anderen Reisenden ins Gespräch, über das Leben und das Schreiben und wir tauschen Visitenkarten aus.
Wir verbringen die letzte Nacht auf dem Schiff, das nun ganz ruhig am Kai liegt. Am nächsten Morgen fahren wir als einzige im riesigen Reisebus zum Bahnhof. Dort warten wir lange, bis der Zug nach Deutschland endlich angekündigt wird. Nun müssen wir hoppladihopp doch eilen, der Platz im ersten Stock des Zuges ist schön, aber der schwere Koffer muss hochgetragen werden … aber alles ist gut gegangen. Mein Zug kommt ein Stündchen später auch. Es war schön. Gerne wieder. Im nächsten Jahr vielleicht?
Zur Reisevorbereitung haben wir gerne auch noch –> hier gelesen.
Liebe Christiane,
vielen Dank für Deinen Bericht von der letzten Etappe. Überhaupt, dass Du uns so nah hast dabei sein lassen. Du hast mir so eine Reise ganz schön schmackhaft gemacht Wo war ich nicht schon überall im Internet unterwegs in letzter Zeit, auch den Bericht “vom Vielweib” hab’ ich dabei gefunden…Scheint mir wirklich die ideale Art und Weise zu sein, diese Region zu entdecken, wenn man sich selbst nicht zu sehr…oder auch gar nicht ;-)) um die Fahrt von A nach B nach C kümmern möchte. Und nach Lyon kommt man ja mit dem Zug vom Rheinland sogar, ohne über Paris fahren zu müssen Mal sehen, ob wann wie und wo das was gibt…Auf jeden Fall scheint mir, die A-Rosa-Schiffe sind die beste Wahl für eine Reise ohne “angemessene” Kleidung, U-60 usw…:-)
achso, bei DEM Anblick nachts aus dem Fenster hätt ich auch nicht mehr schlafen können :-)))
Liebe Grüße
Danke, liebe Ute! Die Dokumentation habe ich (auch) für meine Mutter so ausführlich gemacht, statt Fotoalbum
Ich habe ja im Vorfeld auch viel rechechiert, mir erschien Arosa am stimmigsten zu sein, für das, was ich suchte. Ich würde wieder dort buchen. Den Machern des Reisekatalogs von Arosa muss ich ein Lob aussprechen, die Texte sind persönlich und einladend, die Fotos toll – man hat sofort Lust, wegzufahren. Wenn man eine Doppelkabine als Einzelkabine nutzen will, sollte man frühzeitig buchen, es gibt nur ein gewisses Kontingent
hm, umso schöner, dass wir von Deinem Geschenk an Deine Mutter profitieren konnten…:-)
Mein Liebster sollte schon mit, also Doppelkabine für zwei…müsste ihn “nur noch” überreden… Vllt. gelingt mir das am ehesten mit der 5tägigen Reise anstatt 7. Ich dachte erst, wenn schon, dann direkt 7…aber kostet ja auch…
Mal gucken
Schönen Sonntagabend noch!
Ah gut, der Liebste war für mich nicht sichtbar und genau, die 5 Tage waren, sagen wir, ein Versuch, hätte ja auch sein können, dass es uns nicht gefällt, dann wären 7 Tage lang gewesen – und ja, wenn man nicht die günstigste Variante wählt, sondern die mit Balkon, dann wird es deutlich teurer, auch das hat mich bewogen, die 5-Tagestour wählen.
Hm…den hatte ich gut versteckt liegt wohl daran, dass ich bei uns ganz klassisch die Reiserechercheurin bin…
das koennte auch mein Plan werden…auf den Balkon wuerde ich schwer verzichten wollen, allein fuer den Fall, dass ich doch mehr Rueckzug brauche…dann moechte ich doch ganz viel Fluss mitbekommen…
Danke liebe Christiane, du hast uns wieder mit so vielen schönen Fotos beglückt! Und dann noch die interessanten Erläuterungen!!! Super.
Schade, daß Ihr Regenwetter hattet.
Herzliche Grüße U.
Merci Uschi!
Schöner Reisebericht. Danke für den einleitenden Exkurs über Rhone, Rhein, Fluss, Strom etc. Endlich erklärt mir mal jemand, warum einer männlich und eine weiblich ist.
Ja, Lyon ist klasse. Eine meiner Lieblingsstädte. Mein Sohn hat dort 2 Semester studiert, in einer WG in Croix Rousse gewohnt, und ich durfte ein paar wunderbare Wochenenden dort verbringen.
Es ist Sonntag Abend und es regnet schon wieder! Was ist bloß in diesem Jahr mit Cannes los? Überall in Frankreich ist besseres Wetter! Das Festival naht – und da regnet es ja oft…
Lyon ist für mich ambivalent. Ich habe vor ein paar Jahren zwei gute Wochen dort verbracht, als Monsieur sich dort operieren ließ, und ich habe Lyon im März (es war so kalt!!!) nur halbherzig interessiert besichtigt und auch nur um mich abzulenken. Ich war seither nicht mehr dort, hätte gerne mehr Heiteres erlebt, denn es überwiegen auch heute immer noch diese Krankenhaus-Geschichte und die Ängste, die ich/wir dort hatten.