Was uns hier auch immer noch sehr betrübt, ist die Verwüstung des Hinterlandes durch das vor vier Wochen durchgezogene Sturmtief Alex. Davon kriegen Sie vermutlich nichts mehr mit, aber es ist tragisch. Die Zeitung ist jeden Tag zur Hälfte mit Berichten über den Fortgang der Arbeiten voll.
Soldaten, Feuerwehr und Freiwillige, Männer und Frauen aus ganz Frankreich halfen und helfen immer noch, die verwüsteten Häuser, Plätze und Straßen der betroffenen Dörfer vom Schlamm zu säubern und überhaupt zu helfen, wo Hilfe gebraucht wurde. Lange wurden isolierte Dörfer via Hubschrauber mit dem Nötigsten beliefert: Wasser, Lebensmittel, Campingkocher, Stromgeneratoren, denn es gab dort lange keinen Strom, Kleidung und warme Decken. Aber es wurde auch Hundefutter benötigt und Heu für Kühe, Pferde und Esel. Menschen, darunter eine hochschwangere junge Frau, wurden evakuiert und vorübergehend in Nizza untergebracht.
Suchmeldungen von vermissten Menschen wurden in den Sozialen Medien verbreitet und ebenso wurden die Besitzer von herrenlosen Katzen und Hunden gesucht. Zusätzlich irrten die Wölfe aus dem Wolfspark, der von den Fluten davongeschwemmt worden war, herum und sorgten hier und da für Aufregung. Ein paar der Wölfe haben die Freiheit im Park Mercantour gesucht, andere, die zu sehr daran gewöhnt waren, dass Menschen sie fütterten, lungerten in der Gemarkung von Boreón herum, bis sie von Tierschützern eingefangen und in einen anderen Natur-Wild-Park gebracht wurden.
Junge Männer haben eine behelfsmäßige Brücke aus Baumstämmen gebaut, um ein entzweigeteiltes Dorf wieder zu verbinden und mehrere Gruppen erfahrener Wanderer transporierten immer wieder in Rucksäcken Wasser und Lebensmittel zu den Menschen in abgelegenen Weilern, Höfen und Häusern, wo die Zugangswege verschüttet oder weggebrochen waren. Das Dorf Tende ist noch immer abgeschnitten, seit ein paar Tagen verkehrt zumindest wieder ein Zug nach Italien.
Das Vartal und die dortigen Dörfer waren nicht so stark betroffen von den Schäden, aber ich fühle mich den Menschen und den den Dörfern der benachbarten Täler sehr verbunden. Ich war in diesem Sommer zum ersten Mal in St. Martin Vesubie, das eine Rolle in meinem neuen Kriminalroman spielt. Ich habe dort recherchiert und war überrascht, so ein schönes und lebendiges Bergdorf (mit einer gut sortierten Buchhandlung!) zu finden. Es gefiel mir gut dort, umso erschütterter bin ich jetzt.
Es wird Jahre dauern, bis alle Straßen, Brücken und Wege, alle Leitungen, alle Häuser wieder repariert und rekonstruiert sind, mancherorts wird man nicht mehr bauen dürfen, Menschen werden abwandern und es wird nie wieder so sein wie vorher.
Die Ausgangssperre ist für die Dörfer dort oben eine Katastrophe. Die Menschen die dort oben helfen, müssen irgendwo untergebracht und verpflegt werden. Jetzt stagnieren die Arbeiten und man hat Angst vor dem Wintereinbruch, denn dann geht gar nichts mehr. Einer der Bürgermeister, der für die Dörfer eine Ausnahmegenehmigung fordert, sagte heute resigniert, wir können uns nur wie die Murmeltiere in ein Loch zurückziehen und warten, bis das Frühjahr kommt. Ein flächendeckender Winterschlaf sei vermutlich die beste Lösung für das Virusproblem, las ich heute irgendwo.
Ich war gestern dann doch nicht einkaufen. Es ist erstaunlich, was aus Resten alles gezaubert werden kann. Mittags gab es Nudeln mit einer Tomaten-Bolognesesauce, das Fleisch stammte von drei Grillwürstchen, die von der Sommersaison übrig waren und im Tiefkühlfach herumlungerten. Die improvisierte Sauce war sogar besser als die mit hier üblichen Rinderhack. Als Nachtisch gab es tröstlichen selbstgekochten Vanillepudding.
Bei Herrn Buddenbohm von nach Schokolade riechenden Tinte gelesen und mich erinnert, dass ich mal eine Körpercreme geschenkt bekommen habe, deren Geruch und Konsistenz mich an klassischen selbstgekochten Schokoladenpudding erinnerte, nach dem ich, es war in meinem letzten Winter im Bergdorf, total Heimweh bekam. Als ich erstmals Dr. Oetker Anrührpudding in einem französischen Supermarkt fand, wäre ich vor Glück beinahe auf die Knie gefallen. Der Pudding war dann aber nicht so aromatisch wie die Körpercreme, die ich trotzdem nur zum Eincremen verwendet habe. Daran musste ich bei der Schoko-Tinte denken, es machte mir sofort Lust auf Schokopudding, aber dann wurde es doch Vanillepudding, mit etwas geriebenerr Tonkabohne verfeinert. Leider auch mit etwas Thymian, der mir auf dem Weg in die Bolognese im Nachbartopf hineingefallen ist. So entstehen vermutlich neue Rezepte. Ich habe die Milch dann trotzdem gefiltert, hatte keine Lust auf Geschmacksexperimente.
Abends gab es eine Suppe aus dem schon leicht welken Gemüse (Lauch, Karotten, Zwiebeln, Kartoffeln) sie war köstlich. Manchmal habe ich keine Lust zu kochen und ich habe daher kürzlich mal wieder eine dieser Fertigsuppen, von denen ich uns ein paar Jahre lang im Winter ernährt habe, gekauft. Es sind Suppen in Flaschen oder Tetrapacks, eigentlich nicht so schlecht – zumindest hatte ich sie nicht in schlechter Erinnerung, aber ich konnte sie nicht mehr riechen und essen auch nicht.
Seit Tagen denke ich über einen neuen Text für das Frankreich Magazin nach, vorgestern, gestern und heute schrieb ich daran, morgen muss ich abgeben.
Sean Connery ist gestorben. Dazu muss ich nichts sagen, ich glaube, er ist einer der wenigen, bei dem sich alle einig sind, dass er großartig war. Er wurde 90 Jahre alt. France 2 hat eine Programmänderung vorgenommen und zeigt uns alte James Bond Filme.
Die privaten Buchhandlungen dürfen weiterhin nicht geöffnet sein, auch wenn Prominente sich dafür eingesetzt haben, das einzige, was erreicht wurde ist, dass die Buchregale in den Supermärkten aus Wettbewerbsgründen jetzt gesperrt sind. Bilder mit Sicherheitsband verklebten Buchregalen gehen jetzt durch die Sozialen Medien und die, die nicht wissen, was der Hintergrund ist, empören sich lautstark. Es ist so ermüdend.
Heute ist Allerheiligen. In Frankreich geht man traditionell auf den Friedhof und schmückt die Gräber mit Blumen. Auch wir haben Blumen erstanden. Es ist kein besonders schönes Gesteck, es gibt nur einen Blumenladen in der Nähe, der daher heute auch geöffnet sein durfte, heute gelten Blumen als achats de premiers nécessité ,“notwendige Lebensmittel”. Die Friedhöfe sind aus aktuellem Anlass besonders gesichert, und selten habe ich dort so viele Menschen gesehen.
Ich habe vor ein paar Jahren schon einmal von dem Grab des Lehrers Honoré Soustelle erzählt, der erschossen wurde, als er aus der Schule kam. Die tragische Geschichte ist in sein Grabmal graviert. Alles wiederholt sich.
Ein berührender Text!
Ich habe das Gefühl bekommen, dass ich dabei bin.
Vielen Dank dafür!
Liebe Silke, vielen Dank! Ich habe mal einen Blick auf das Haus im Vercors geworfen, wie wunderschön! Ich drücke die Daumen für alles!
Vielen Dank für diesen Text, der uns mitnimmt in ein Land, das wir immer mit duftendem Lavendel, Sonne, Bergen und blauem Meer und Himmel sehen. Und es ist keineswegs so.
Der Sturm…ich dachte eben: Der ist doch schon lange her. So verzerrt sich die Zeit im Moment in allen Bereichen. Wie schrecklich für die Menschen, so viel schlimmer als für diejenigen, die doch Zugang zum Supermarkt, dem Arzt, der Apotheke haben und ein warmes Zuhause.
Allerheiligen ist hier nicht “DER” Feiertag, da nur wenige katholisch sind. Hier wird der Friedhof “für die Leute” hergerichtet am Totensonntag, da wird richtig investiert, auch wenn man sonst das ganze Jahr nicht dort ist. Ich verweigere mich dem schon lange, in dem ich eine Blume niederlege für meine Eltern und Großeltern und eher daran denke, was man im Leben für sie getan hat und tun konnte. Das zählt, nicht der teure Blumenschmuck an einem Tag, der Tote sieht ihn wohl am wenigsten.
Das Frankreichmagazin wird hier immer schon sehnsüchtig erwartet, aber die Texte auf den Punkt fertig haben, stelle ich mir schwierig vor. Ich hätte so ein paar Themenvorschläge :-))), vielleicht mal die Tage per Mail. Alles Liebe! Und Fertigsuppen oder Gerichte aus Resten? Genau! Hier auch, und es starb wirklich keiner daran. Herzlichst, Sunni
Kann schon auch sein, dass viele hier die Gräber “wegen der Leut'” schmücken.
Monsieur denkt nicht nur an den Gedenktagen an seine Großeltern und Urgroßeltern, das ist sicher. Es war aber sogar die total unreligiöse Familie (Tochter, Mann und Enkel-in) auf dem Friedhof, um Blumen an ein anderes Grab zu bringen.
Nur her mit den Themenvorschlägen, ich muss die zwar immer mit der Redaktion abstimmen, aber ich bin dafür offen.
Der Bericht von Feli ist auch sehr berührend und eindringlich. Zum Glück hatten sie Glück im Unglück. So, mal sehen, wie hier die nächsten Wochen überbrückt werden…draußen ist es wieder so ungewohnt ruhig. Ich habe immer noch keinen Trick gefunden, mich wenigstens zum Putzen zu motivieren. Seit 1 Woche bin ich auch erstmal krank, mein allergischer Husten und Schnupfen, der mich sehr schlapp macht (an C. mag ich gar nicht denken und gehe auch nicht zum Arzt), der wie im letzten Jahr pünktlich an meinem Geburtstag ausgebrochen ist und mich bestimmt noch weitere 2 Wochen in Schach halten wird. Einfach nur lästig, auch wenn es natürlich Schlimmeres gibt. Ansonsten werde ich mich dem Kochen, der Lektüre und einem guten TV-Programm widmen – und vielleicht doch wieder dem ein oder anderen kürzeren Spaziergang trotz immer noch nicht ganz wieder hergestellter Achillessehne.
Immerhin schön, Dich weiter zu lesen, obwohl Du ja etwas müde klangst und Dir eine Pause gegönnt sein möge…
Ja, ich finde den Bericht von Feli sehr eindrücklich, auch über den Zusammenhalt in diesen Dörfern! Manchmal ist es auch zu viel mit der sozialen Enge, aber in solchen Situationen total tröstlich!
Gute Besserung! Nachträglich Glückwunsch zum Geburtstag! Pass auf dich auf!
P.S.: Und ganz wichtig, heute und morgen stehen natürlich noch im Zeichen der US-Wahlen, in der Hoffnung, dass zumindest dort wieder Recht und Ordnung einkehren, weil wenn nicht…😢
Was für eine eindrückliche Geschichte von Feli, meci dafür.
Was leben dort für besondere Menschen.
Wünschen wir ihnen, dass trotz der Situation im Monet Hilfe kommt.
Und auch alles schnell repariert wird.
Aus meiner Kindheit kenne ich sowas, allerdings weit weniger schlimm.
Das kleine Städtchen wurde ab und an heimgesucht von den Fluten der umliegenden Bäche. So hörte man nachts plotzlich Sirenen und alle standen auf um abzudichten, Pumpen anzuwerfen und zu hoffen. Über Nacht stand die Stadt unter Wasser. Mein Vater ging mit mir als kleinem Mädchen mal auf einer Brücke, wir schauten in die Fluten, und eine halbe Stunde später wurde sie vom ansonsten kleinen Fluss einfach mitgenommen.
Oder die Überschwemmung kam, als wir in der Schule waren. Wir sahen den Radweg nicht mehr, ahnten ihn nur und versuchten durch das Wasser nach Hause zu kommen.
Die Pumpen liefen dann Tage und Nacht um die Keller wieder leer zu bekommen. Wasser ist so lautlos und gewaltig.