Covid, Gas und Kinder

Nun, Monsieurs Grippe war dann doch Covid und klar, es hat, bei allen Versuchen meinerseits, mich zu isolieren, so habe ich etwa nächtelang auf dem zu kurzen Zweisitzersofa im Wohnzimmer geschlafen und gleich in der ersten Nacht eines der leicht morschen Seitenteile desselben durchgetreten, wir saßen uns beim Essen so weit entfernt wie möglich gegenüber, erinnerte ein bisschen an Putin und seine Staatsgäste, außerdem desinfizierte ich hinter ihm her, herrjeh, was dieser Mann unkontrolliert einfach so alles anfasste und anhustete, Telefon, Fernbedienung, Lichtschalter, Türklinken, Schubladengriffe, Gläser … “wo ist deine Maske?”, schrie ich alle paar Minuten. “Tu me fais chier avec ce masque!” hustete Monsieur zurück und zog sie für ein paar Minuten wieder über Mund und Nase, es hat aber alles nichts genützt: Wir teilen uns also die Omikron-Mutation K417N, in guten wie in schlechten Tagen, n’est-ce pas, haben einen sogenannten milden Verlauf und damit alle bekannten Grippesymptome. Ja, auch dreimal geimpft hilft gar nix, ich will gar nicht wissen, wie es ohne Impfung verlaufen wäre, wir hingen hier beide ziemlich kraftlos, fiebrig und hustend herum (ich hänge immer noch). Der Gatte ist seit heute aus der in Frankreich derzeit nur noch sieben Tage dauernden Quarantäne entlassen, ich habe noch bis Samstag. Gerade rechtzeitig, um am Sonntagnachmittag, den 3. April 2022 um 16 Uhr im CCFA zu lesen, falls ich bis dahin meine Stimme wieder habe. Ächz. Röchel.

Ich “wusste” es auch schon bei den ersten Symptomen und lange vor dem Ergebnis des PCR-Tests, den ich erst gestern machen konnte, und plötzlich lag ich so tief entspannt auf dem Sofa und kam, Halsschmerzen hin oder her, “runter”. Ich war ja, spätestens seit Tetiana und ihre Kinder bei uns wohnen, komplett überdreht, konnte nicht mehr abschalten, weder vom Krieg noch vom Organisieren, es ratterte ununterbrochen in meinem Kopf. Und dank Covid, war von eben auf jetzt die Luft raus. Schluss. Aus. Der Luftballon eben noch an der Decke tanzend, leerte sich, machte noch ein paar hilflose Hüpfer und trudelte ausgeleiert und verschrumpelt auf den Boden. Pffft. Ausatmen. Ich kann nicht. Ich habe Covid. Ich kann meinen Knie-Termin nicht wahrnehmen, das ist bitter, aber tant pis.

Ich konnte auch die Kinder nicht an ihrem ersten Schultag zur Schule begleiten, das tat mir wirklich im Herzen leid. Aber es ging nicht, und Ivan nahm nochmal einen halben Tag frei, um als Begleiter und Übersetzer tätig zu werden. Ich vermute, ich habe der kleinen Familie schon nachts die Ohren vollgehustet, morgens hörte ich hingegen den Kleinen weinen. Jetzt wollte er dann doch nicht mehr zur Schule, vielleicht wollte er auch nur einfach nicht so früh aufstehen. Zu allem Elend ist auch noch Sommerzeitumstellung (die ich fiebrig komplett verschlafe und mich so mit den neuen Uhrzeiten erstmals problemlos arrangiere, die Katze übrigens auch, sie findet es nicht schlimm, eine Stunde früher zu fressen ;-) ). Alle haben in der Schule ein bisschen geweint, als sie sich trennen mussten, erzählte mir Ivan später am Telefon. Der große Junge rief gleich in der ersten Pause an und wollte wieder abgeholt werden. Er durfte dann nach der Mittagspause gehen. Der Kleine, der noch kein Telefon hat, um seine Mama anzurufen, hat seinen ersten Tag tapfer durchgestanden. Als ich sie nachmittags vom Balkon aus sah, wirkten sie alle drei erschöpft. “Wie wars?” Fragte ich vom Balkon herunter. “So-so”, sagte der große Junge in seinem schönen Englisch und macht eine passende Handbewegung. Tetiana lächelte müde.

Gestern Abend kontaktierte mich erstmals die Lehrerin des Kleinen und heute Vormittag rief sie mich erneut an, und bat darum, dass man, wenn es der Mutter möglich sei, den Kleinen bitte noch nicht ganztags bei ihr lassen möge. Er sei so verloren, auch wenn die anderen Kinder lieb mit ihm seien. Er war ja noch nie vorher in irgendeiner “Institution” ohne seine Mama, und ausgerechnet jetzt in dieser ohnehin schwierigen Situation, und er kann sich nicht mal verständigen und sie kann ihm nichts Tröstendes sagen. Bei mir rennt die Lehrerin offene Türen ein, ich spüre aber, was für eine ungeheure Entscheidung es für sie gewesen sein muss, denn hier werden Kinderbetreuung und Schule viel sachlicher geregelt. Es gibt schonmal keine Eingewöhnungszeit, Mamas dürfen vielleicht einmal fünf Minuten dableiben, müssen dann schnell wieder gehen. Und wenn die Kinder weinen? Na, die hören auch wieder auf.

Ich bin also vollkommen einverstanden, mit ihrer Bitte, den kleinen M. zunächst nur vormittags in der Schule zu lassen, ich bin sicher, Tetiana ist es auch. Ich rufe, Covid-Isolation verpflichtet, Ivan an, der wiederum Tetiana anruft, die, kaum, dass sie vom Resto du Coeur zurück ist, losläuft, um den kleinen M. abzuholen. Der große M. hat heute zum ersten Mal Schwimmunterricht und dafür haben sie gestern noch schnell eine Badehose und ein Badehandtuch gekauft. Und überhaupt einen Schulranzen. Genau die Marke, die es hier braucht. Gibt ja nichts Peinlicheres, als mit einem falschen Schulranzen in die Schule zu kommen.

Das Mütterthema, Kinderbetreuung und Schule werden in Frankreich kulturell komplett anders gesehen als in Deutschland. Ich habe, wie Sie wissen, selbst keine Kinder, ich hatte nur hin und wieder die angeheirateten Enkelkinder zur Betreuung, aber ich erinnere mich noch gut, wie ich die Enkelin, die damals vielleicht auch vier Jahre alt war, zu einem der von der Stadt angebotenen Ferienbetreuungskursen gebracht habe. Französische Kinder haben ja gefühlt ständig Ferien, die Sommerferien allein dauern zwei Monate, berufstätige französische Eltern haben aber nur drei Wochen Urlaub, also schickt man die Kinder abwechselnd zu den Großeltern, zu irgendwelchen Verwandten aufs Land und in Ferienkurse, die geliebten und gehassten colonies des vacances. Für die Enkelin war es damals ein einwöchiger Segelkurs mit anderen Kindern. Jeden Morgen um neun brachte ich sie dorthin und jeden Morgen weinte sie und klammerte sich an meine Hand. “Geh nicht!”, bat sie mich. Aber je länger ich blieb, desto schlimmer wurde es. “Kann ich nicht bei dir bleiben?”, bettelte sie. Hätte ich damals nicht auch dringende Arbeit auf dem Schreibtisch gehabt, vielleicht hätte ich sie wieder mitgenommen. Ihrer Mutter erzählte ich davon. “Da mussten wir alle durch”, sagte sie ungerührt. Ich fand sie kalt und lieblos, erlebte aber jeden Morgen andere Eltern, die ihre Kinder nur kurz absetzten, kleiner Kuss, “amüsier’ dich gut!”, und weg waren sie. Die meisten Kinder, so klein sie auch waren, fügten sich klaglos.

Ich habe meinen Kommissar Duval nicht nur mit Kindern aus seiner ersten Ehe ausgestattet, sondern ihm auch mit seiner Freundin Annie ein neues Baby verpasst. Für Annie bzw. für die kleine Julie, habe ich einen Kompromiss aus deutscher und französischer KIeinkindbetreuung “erfunden”, weil ich es mir einfach nicht vorstellen kann (und ich dachte, das ertragen meine deutschen LeserInnen auch nicht), dass man sein gerade drei Monate altes Baby schon einer Kinderfrau Tagesmutter überlässt, auch wenn das hier so üblich ist. Ansonsten habe ich das Vater-Mutter-Kind-Verhältnis so beschrieben, wie es hier ist. Kein französischer Vater nimmt Erziehungsurlaub. “So etwas wolle man im 21. Jahrhundert nicht mehr lesen”, hieß es dazu streng in einer Kritik. Tja, da zucke ich mit den Schultern. Ist aber so. Dass ich dem Kommissar meine Emetophobie mitgegeben habe (er ekelt sich schnell und muss würgen, wenn er seinem Kind die Windel wechselt) sei ja auch total absurd, meint dieselbe Kritikerin spürbar augenrollend. “So etwas gäbe es doch nicht!” Nun ja. Im Prinzip bin ich diejenige, die einmal beinahe ein Baby hat fallen lassen, weil es mir seinen aufgestoßenen Brei auf die Schulter gespuckt hat (Geschichte, die ich dem Kommissar zugeschrieben habe). Ich rettete mich damals würgend in das Badezimmer und kam lange nicht wieder heraus. Alle fanden mich peinlich. Ich mich auch. Ist aber so.

Gelegentlich folge ich einer jungen Frau und ihrem Podcast Oulala – der Frankreichpodcast. Felicia, eine Deutsche in Paris, mit einem Franzosen verheiratet, ist gerade schwanger mit ihrem zweiten Kind. Die Themen Mutterschutz, Erziehungsurlaub und Kinderbetreuung treiben sie um. Ich fürchte zwar, dass Sie, meine lieben Leserinnen und Leser nicht mehr in dem Alter sind, in dem Sie sich diesen Themen stellen müssen, aber vielleicht interessiert es Sie trotzdem, wie es in Frankreich so läuft und in welchem Zwiespalt die junge Feli sich die ganze Zeit befindet: Als sie (erst/schon) nach sechs Monaten wieder zur Arbeit geht, fragen die französischen KollegInnen spöttisch, was sie all die Monate “im Urlaub” zu Hause gemacht habe (sie hat ein ähnliches Erziehungsurlaubs-Modell für sich gebastelt, wie ich es für meine fiktive Annie erfunden habe), die Deutschen hingegen fragen entsetzt “Wie, du arbeitest schon wieder?! Du lässt dein Kind bei einer Tagesmutter? Das könnte ich nicht!” Interessant übrigens auch, dass sie sich von einem deutschen Arbeitskollegen (= Mann !) kritisieren lassen muss, und, dass sie in ihrer Beziehung diejenige ist, die mehr verdient (der frühe Wiedereinstieg in den Beruf hat häufig auch finanzielle Gründe), aber keinesfalls hätte ihr Mann den Erziehungsurlaub übernommen. Frankreich im 21. Jahrhundert.

Der Podcast ist mir persönlich manchmal zu weitschweifig und zu wenig prägnant, ich habe es gern, wenn man in einer Viertelstunde auf den Punkt kommt. Das liegt vermutlich an meinem Alter (man hat ja nicht mehr so viel Zeit, nicht wahr), vielleicht auch nur daran, dass ich vieles, was sie erzählt, aus meiner eigenen Frankreich-Erfahrung schon weiß.

In Folge 23 fragt sie: Sind die Franzosen (sic) emanzipierter als wir Deutschen? Die Frage wird so nicht wirklich beantwortet, aber Felis Hin- und hergerissen Sein zwischen zwei kulturell vollkommen anderen Systemen wird gut deutlich. Und Folge 24 heißt dann auch “Kinderbetreuung : Ein deutsch französisches Dilemma.”

Wie ist es Flüchtende aus der Ukraine aufzunehmen? Katrin hat über ihre Erfahrungen geschrieben. Ich stimme ihr zu, man bekommt wahnsinnig viel zurück. Nein, es ist nicht nur die Dankbarkeit, die ich gar nicht will, es ist ein gutes Gefühl, etwas “Gutes” zu tun. Es euphorisiert fast. Ich bin froh, dass ich aktiv etwas “gegen” diesen Krieg tue. Frau Mutti, die Sie vermutlich kennen, hat ebenfalls “Gäste” in ihr Haus aufgenommen und teilt mit ihnen Küche und Wohnzimmer; sie erzählt davon in ihren Instagram-Stories. Aber keinesfalls ist das ein Aufruf, dass Sie das nun leichtfertig auch machen sollten. Sie haben mit, möglicherweise traumatisierten, Menschen zu tun, mit all ihren Sorgen und Nöten, und es hängt mehr Verantwortung und mehr Engagement daran, als man sich anfangs vorstellt.

Und zuguterletzt: Wir wurden in den letzten Tagen von einem Energieanbieter kontaktiert, der uns ein “günstiges” Angebot für das Gas macht. Günstiger als das, was wir derzeit haben. Heute hatten wir ein telefonisches Rendezvous – Monsieur fragt nach der Herkunft des Gases. Es kommt aus Russland. Damit lehnen wir das Angebot ab. Wir wissen in der Tat nicht, von wo unser derzeitiger Energieanbieter sein Gas bezieht, das bleibt zu ermitteln, aber wir können heute nicht wissentlich russisches Gas kaufen. Die Dame am Telefon kann es nicht verstehen und ruft erneut an. Sie kann preislich vielleicht noch etwas zusätzlich drehen, um das Angebot noch attraktiver zu machen. Monsieur sagt, dass wir eine Familie aus der Ukraine aufgenommen haben, und dass dies unsere Energiekosten sicherlich erhöhen wird, aber dass wir unter keinen Umständen russisches Gas kaufen werden, nur um unsere Energiekosten zu senken. Lieber versuchen wir, energiesparend zu leben: heizen weniger und ziehen einen Pullover zusätzlich an, schalten das Licht aus, schließen die Türen und versuchen, weniger (warmes) Wasser zu verbrauchen. Man traut es sich ja kaum noch zu sagen, aber in meiner Kindheit wurde nicht jeden Tag geduscht, und ich erinnere mich noch gut an autofreie Sonntage. Energiesparen kann man meinetwegen gerne wieder einführen.

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25 Responses to Covid, Gas und Kinder

  1. geschichtenundmeer sagt:

    Gute Besserung!
    Als Kind wurde ich einmal im Frankreichurlaub kurzerhand für ein paar Tage in die örtliche colonie des vacances gesteckt. Ich konnte kein Französisch außer bonjour, au revoir, merci und s’il vous plait. Leider habe ich keine Erinnerungen mehr daran, weder gute noch schlechte. Was der Grund für meinen Kurzbesuch in der colonie war, weiß ich nicht. Vielleicht war ich meiner Oma, die damals Krebs hatte, zu anstrengend geworden. In der Zeit danach schnappte ich aber relativ schnell französische Redewendungen auf.

    • dreher sagt:

      Schade, dass Sie keine Erinnerungen mehr haben, ich höre solche Geschichten ja immer gerne. Aber es war sozusagen der ausgerollte Teppich fürs Französischlernen ;-)

  2. Croco sagt:

    Gute Besserung wünsche ich Dir. Und Ruhe zum Runterkommen.
    Es kommt alles zu seiner Zeit.

    Meine Schwester hat ihr Kind so aufgezogen , in Deutschland. Sie ist sechs Wochen nach der Geburt wieder voll arbeiten gegangen, mit Tagesmutter und Kindergarten. Der Mann war plötzlich weg und hatte ihr Haus und Schulden zurück gelassen.
    Ich habe nicht den Eindruck, dass die Nichte groß Schaden genommen hat. Sie ist eine sehr pragmatische junge Frau geworden.

    Wir hätten hier niemanden aufnehmen können, dafür habe ich eben Geld gespendet.

    • dreher sagt:

      Danke dir (mit etwas Verspätung) –
      Unsere “Enkelkinder” sind wohl auch unbeschadet durch diese Zeit gekommen, sie sind sehr aufgeschlossene und selbstständige Menschen geworden. Nur ich denke noch daran, wie sehr sie als Kleine geweint hat …

      Es muss auch nicht jeder jemanden aufnehmen – das wollte ich keinesfalls so verstanden wissen!

  3. Reinette sagt:

    Ach ja, ich bin ja in Frankreich zuhause geblieben, solange die Kinder noch klein waren. Bis zum dritten Kind wurde ich tasaechlich immer gefragt, was ich denn den ganzen Tag tun wuerde, erst ab dem vierten Kind hoerte die Frage schlagartig auf, das ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Ich weiss nicht, in welche Schublade man dann hier faellt.