Schulvorbereitungen

“Am 8. März sind sie schon angekommen und erst jetzt haben Sie die Kinder für die Schule angemeldet?” Die Direktorin der Grundschule, in die beide Kinder ab Montag gehen werden, ist ein bisschen indignée. Leichte Empörung liegt in ihrer Frage. Keinesfalls will ich einer Schuldirektorin widersprechen, aber ich denke, die kleine Familie hatte auch erstmal genug damit zu tun, anzukommen und zu verarbeiten, dass sie jetzt in diesem Land leben. Ich finde, die Kinder dürfen auch erstmal ein paar Tage nichts tun, spielen, die Stadt kennenlernen und am Strand herumrennen, bevor sie in einer Ganztagsschule verschwinden. Und Tetiana muss sich auch erstmal an den Gedanken gewöhnen, dass der Kleine hier schon schulpflichtig ist. Aber das alles sage ich der Schuldirektorin natürlich nicht.

Ich bin, ohne mein Zutun, zur Ansprechpartnerin für die Schulangelegenheiten der Kinder geworden. Zunächst ging es nur darum, dass ich auf der Liste der abholberechtigten Erwachsenen stehe, im Falle dass … Jetzt aber diskutiere ich mit der Direktorin darüber, in welche Klasse der große Junge kommen könnte – das ukrainische Schulsystem erinnert mich an das deutsche, soweit ich das mit meinen Minimalkenntnissen verstehe, der Junge war auf jeden Fall dort schon in der vierten Klasse und wäre nach den Sommerferien in die weiterführende Schule gekommen. Er spricht auch schon Englisch, und ganz ehrlich, er hilft uns viel bei unseren Kauderwelsch-Situationen, die wir mit Grimassen, Gesten und onomatopoetischen Lauten anreichern. Das französische Grundschulsystem mit all seinen charmanten Klassenabkürzungen (CP, CM1, CM2), das schon ab dem 3. Lebensjahr beginnt, hat sich mir, da ich selbst keine Kinder habe, und in den vergangenen Jahren nur hin und wieder die angeheirateten Enkel abholen durfte, nie wirklich erschlossen. Was man so alles auf seine alten Tage noch lernen darf. Die Direktorin aber sah den Jungen eher in einem Äquivalent zur 3. Klasse. Ich verteidige ihn, als sei er mein eigenes Kind. “Er ist sehr aufgeweckt”, sage ich. “Er folgt täglich dem ukrainischen Unterricht via Zoom, und er spricht ziemlich gut Englisch.” “Hmhm”, macht die Direktorin. Sie notiert das. Am Dienstag wird er von einer Dame getestet, die derzeit durch sämtliche Cannoiser Schulen tingelt, um fremdsprachige SchülerInnen einzustufen. On verra.

Damit wurde ich heute begrüßt!

Der Kleine hingegen, der gestern wie ein Star Passfotos für den Antrag auf “Individuellen Empfang in der Kantine aufgrund von Laktose-Intoleranz” gemacht bekam, die er dann stolz selbst tragen wollte und gleichmal verlor (wir haben sie wiedergefunden), war bislang nicht in der Schule und auch in keinem Kindergarten, sondern zu Hause bei seiner Mama. Die Mama nickt stolz neben mir, als sie mir das mimisch und gestisch erklärt. Ich, mit meiner deutschen Sozialisierung verstehe sie, spüre aber auch die Verzweiflung der Schuldirektorin, als ich das weitergebe. Keine Kinderkrippe? Kein Kindergarten? Unmöglich! Hier wirft man alle Kinder schon mit drei Monaten in die Gesellschaft: Zu einer Nounou, einer Kinderfrau, wenn man es sich leisten kann, oder in eine Kinderkrippe und spätestens mit drei beginnt die Schule, eine Art Vorschule, in der aber schon Dreiecke rot gemalt werden oder Vierecke blau und Dinge ausgeschnitten und in Hefte eingeklebt. Es ist spielerisch, aber es ist kein freies Spiel mehr, wie etwa in deutschen Kindergärten. Französische Mamas gehen früh wieder arbeiten, alles andere gilt hier als “Maman poule”, eine Glucke, die ihre Kinder verhätschelt und festhält. Französische Kinder sollen früh selbständig und vor allem soziale Wesen werden, gruppenkompatibel, möglichst viele Freunde haben. Individualität ist hier keine herausragende Qualität.

Am Montag um 8.20 Uhr haben wir mit der Familie ein erstes Treffen in der Schule, wo die Direktorin uns persönlich empfangen und uns alles zeigen wird. Der große Junge wird am Montagmittag auch schon in der Schulkantine verköstigt. Wie es für den Kleinen aussieht, hängt von der Entscheidung der Dame ab, die ich nun morgen früh mit dem Antrag, Passbildern etc pp. um 9 Uhr im Gebäude X (dritter Stock, ohne Aufzug, meine armen Knie!) treffen werde, und die, wie ich heute am Telefon schon erfahren durfte, noch nichts von der niedrigschwelligen Bürokratie vernommen hat. Sie ist sich ihrer enormen Wichtigkeit bewusst und duldet keinen Widerspruch. Ich will den Zugang zur Schulkantine für den kleinen Jungen nicht gefährden, sowieso wird es kompliziert, die Mama muss ihrem laktoseintoleranten Kind jeden Tag ein von ihr zubereitetes Essen mitgeben (vier Gänge werden gefordert!) inklusive Geschirr und Besteck, und das alles in einer isolierten Box, denn die Kühlkette darf keinesfalls unterbrochen werden. Lehnt die Dame dieses Prozedere morgen aus nur ihr bekannten Gründen ab, dann muss der kleine Junge jeden Mittag abgeholt werden, zu Hause essen, und wieder gebracht werden, womit die Mama den ganzen Tag beschäftigt sein wird, vor allem, weil die Schule nicht in unserem, sondern in einem benachbarten Viertel liegt. So, I’ll do my very best.

Damit Sie noch etwas anderes aus Frankreich erfahren, kommt hier das dritte Filmchen von Macron, man könnte meinen, ich mache Wahlwerbung für ihn, aber das ist es natürlich nicht, ich finde allerdings interessant, was er jedes Mal zeigt. Wir sind mit ihm hinter den Kulissen, wo er sich auf einen Auftritt vorbereitet, fragt nach der allgemeinen Stimmung und wie viel Zeit ihm zur Verfügung stehe. Eine Stunde Programm vorstellen, zwei Stunden Fragen beantworten, schlägt sein Mitarbeiter vor. Dreißig Fragen wären schön, hinge aber alles davon ab, wie kurz (oder nicht) er sich beim Beantworten fasse. Macron nickt. Er werde aber schonmal eine Stunde und fünfzehn Minuten sprechen, sagt er dann. Danach Blick in das “Hauptquartier” (QG, quartier général), wo man eine Pressekonferenz vorbereitet. Was muss gesagt werden, was unterscheidet uns von den anderen Kandidaten? Nach der Pressekonferenz kleiner Spaziergang entlang der Seine: Er will zukünftig Mittel zur Verfügung stellen, dort wo sie nötig sind, um eine égalité, soziale Gleichheit herzustellen, aber den Rest müssten die Menschen machen. Man kann nicht allen alles (Geld, Job, Sicherheit) auf dem Serviertablett anbieten. Seid kreativ, findet Lösungen. “C’est votre job!” ruft er den Menschen zu. Er habe sich am skandinavischen Sozialsystem inspiriert, das sehr viel flexibler sei. Später plaudert er mit einem Mann, der für einen Marathon trainiert, schüttelt ein paar Mädchen die Hand, Selfies mit strahlenden Menschen, dann mit Blick auf den erleuchteten Eiffelturm: “Wir leben doch im schönsten Land der Welt”.

Der Wahlkampf hängt ziemlich tief, dieses Mal. Gestern empörte sich eine Journalistin, dass TF1, ein kommerzieller Privatsender, der aber immer noch ein paar gute Journalisten und eine gewisse Qualität hat, am Wahlabend erstmals keine abendfüllende Wahlsendung anbiete, sondern einen familienfreundlichen Film programmiert habe. Die Franzosen interessierten sich nicht besonders für die Wahlen, ließ der Programmdirektor verlauten, und das Ergebnis des ersten Wahlgangs könne man locker in anderthalb Stunden packen und danach zum gemütlichen Teil übergehen.

So viel für heute. Monsieur ist grippig, vielleicht Covid, wir warten auf die Testergebnisse des PCR Tests. Ich schlief aber schon vergangene Nacht vorsichtshalber auf dem Sofa und bin zumindest bislang symptomfrei und negativ getestet. Ich habe so viel vor in den nächsten Tagen: die Kinder zur Schule, die Katze zum Tierarzt, meine Knie zu einem Orthopäden/Chirurgen und nächste Woche Sonntag findet die schon x-mal verschobene Lesung im CCFA statt: 3. April, 16 Uhr. Ich will gesund bleiben! Drücken Sie mir die Daumen!

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9 Responses to Schulvorbereitungen

  1. Ursula Weber sagt:

    Vielen Dank, liebe Christiane, für den interessanten Bericht und meine große Bewunderung für Dein Engagement!
    Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass Du gesund bleibst und für Monsieur und Deine Knie gute Besserung 🍀🍀🍀
    Viel Erfolg und liebe Grüße❣️ 💙💛

  2. Marion sagt:

    Ich drücke ganz fest die Daumen für alles! Ganz rührend, wie du zur Ersatz-“maman poule’ wirst 💙💛. Das Bildchen ist einfach herzig. Früher hielt ich die Franzosen mal für individuell, also als ich noch nicht soviel wusste 😂. Das Filmchen gucke ich noch in Ruhe an. Wahrscheinlich wird es Macron ja eh wieder werden, alles immer besser als der FN.
    Ich habe gerade einen Trauerfall. Bin noch nicht so geübt im beerdigen wie du… und neben der Kappe, weil ich ihn vor kurzem noch quietschlebendig getroffen habe. 66 ist doch kein Alter… Hoffentlich war es nicht Covid!

    • dreher sagt:

      Das tut mir sehr leid, Marion. Ich habe zwar schon viele Menschen verloren in den letzten Jahren, aber die Trauer ist jedes Mal wieder frisch und schmerzhaft. Man bekommt keine Hornhaut auf dem Herzen. Alles Liebe!

  3. Vinni sagt:

    Ich drücke die Daumen für die Gesundheit!

    Ich bin sehr beeindruckt und gerührt, was du/ihr da gerade stemmt und unterstützt

  4. Sunni sagt:

    Ich bewundere zutiefst, was Sie, liebe Christiane, stemmen! Und ich kenne ja die Knieproblematik dazu nur zu gut. Welche Hürden wird man da noch nehmen müssen, zuerst Sie und dann die 3 gerade Angekommenen, mit den Gedanken immer auch zuhause…Wir wünschen viel, viel Kraft, immer neuen Mut und Hoffnung, dass alles klappt und man einen Neustart für wie lange auch immer hinbekommt. Bleiben Sie so gesund wie irgend möglich!Ich schicke Ihnen ein PDF für Schulbücher Ukrainisch/Deutsch, das kann Ihnen persönlich vielleicht auch helfen. Herzlich, Sunni

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