Le Débarquement en Provence – das andere Débarquement

Ich habe es neulich schon erwähnt, hier wird gerade des 80. Jahrestages des Débarquement en Provence gedacht. Ich hatte gehofft, am 24. August, dem Tag, an dem Cannes “von den Nazis befreit” wurde, eine Fotoausstellung im Rathaus zu sehen, aber nein, der Himmel weiß, wie ich all die Ankündigungen dieses Jahr missverstehen konnte, es gab keine Fotoausstellung. Nirgendwo. Es gab nur klassische Gedenkfeiern mit Fahnen, Reden, Niederlegung eines Blumengestecks vor dem Kriegerdenkmal und so weiter. Was es auch gab, war ein Autokorso mit Militärfahrzeugen und Panzern durch die Innenstadt. Das gibt es jedes Jahr und wird von einem Automobilclub für historische Fahrzeuge organisiert, dieses Jahr waren es anlässlich des 80. Jahrestages ein paar Autos und Panzer mehr. Rund um die Militärautos, die man den Rest des Tages auf einem Platz am Hafen bewundern kann, gibt es einen militärhistorischen Flohmarkt. Mehr gibt es nicht, und das ist alles nicht so mein Ding, und das Publikum auch nicht. Btw. die Fremdenlegion war auch da und warb für sich.

Aber ich mache pflichtschuldigst ein paar Fotos, weil es nichts anderes gibt. Den Korso, für den alle parkenden Autos entlang der Croisette, auch die Luxuskarossen der Superreichen vor den Luxushotels, weggeparkt werden mussten, erlebe ich nicht.

Ich sehe und höre einen Panzer wegrollen, das reicht mir. Ein Gemüsehändler, bei dem ich später im Zelt gegenüber ein paar Tomaten und Zucchini kaufe, erzählt, wie in aller Herrgottsfrühe die Panzer angerollt kamen, um sich auf dem Platz zu formieren, mit einem brüllenden Lärm, der wohl alle Anwohner aus den Betten geschreckt hat.

Aber ich habe einige Artikel gelesen und eine Dokumentation im Fernsehen gesehen. Das alles habe ich leider nicht auf Deutsch gefunden, auch nicht auf arte, das “Débarquement en Provence”, das “andere Débarquement”, das nicht minder wichtig war, wie alle Beteiligten und die Historiker, die sich damit beschäftigen, trotzig sagen, wird in der großen Geschichte der Libération, der Befreiung Frankreichs von den Nazis, gerne vergessen. Und das, obwohl anders als in der Normandie auch die französische Armee an diesem Débarquement beteiligt war! Und zwar die Armée d’Afrique, wo die sogenannten Pieds noirs, die Algerienfranzosen, Seite an Seite mit Algeriern, Marokkanern, Tunesiern und Senegalesen kämpften.

Ab dem 15. August 1944 landeten 260.000 Mann der Armee B, so der Kriegsname der Armée d’Afrique, unter dem Befehl von General de Lattre de Tassigny in der Provence. Diese Armee bestand zu 82 % aus Soldaten, die aus Einheiten der Armée d’Afrique stammten, davon 50 % Algerier, Tunesier und Marokkaner, 32 % der sogenannten Pieds Noirs, das sind Algerienfranzosen, zu 10 % aus Schwarzafrikanern und zu 8 % aus Franzosen aus dem Mutterland.

Übersetzt und zitiert nach Wikipedia

Das Débarquement war erfolgreich, die ersten strategisch wichtigen Städte, die es zu “befreien” galt, sind Marseille und Toulon. Trotz des Widerstandes der Deutschen in Marseille, die erst am 28. August kapitulierten, gelang dies überraschend schnell – man hatte mit viel härteren und längeren Kämpfen gerechnet, so dass sich die Armee bereits einen Monat früher als vorgesehen in Richtung Norden und Paris in Bewegung setzte, um die Deutschen “in die Zange zu nehmen”.

Hier ein leicht verständlicher Teil einer vierteiligen Kurzfilm-Serie, die das Verteidungsministerium herausgegeben hat.

Doch dann beginnt das, was man im Französischen “Blanchiment des troupes” nennt, was man mit “Truppen weißwaschen” übersetzen könnte, denn die schwarzen Soldaten werden durch weiße ersetzt – angeblich, weil die schwarzafrikanischen Soldaten dem bevorstehenden Winter in Nordfrankreich nicht gewachsen wären. Der wahre Grund war jedoch, dass die amerikanische Armee, die noch sehr rassistisch gegenüber ihren eigenen schwarzen Soldaten war, keine Schwarzen beim Siegesmarsch in Paris dabei haben wollte. Also wurden die schwarzen Soldaten der Afrikanischen Armee in ein Lager irgendwo im Süden gesteckt und später wieder nach Hause geschickt, obwohl sie die ersten waren, die heldenhaft den Weg freigekämpft hatten. Da es nicht genügend “französische” Uniformen gab, für die “neuen” weißen französischen Soldaten, die bis dahin im FFI (Forces Françaises de l’Interieur), also im Widerstand, aktiv gewesen waren und jetzt in die Armee eintraten, zog man den nun inaktiv gewordenen schwarzafrikanischen Soldaten ihre Uniformen aus und zog damit die “neuen” weißen französischen Soldaten an.

Raffael Scheck, der Historiker im hier noch einmal verlinkten Film, sagte, dass es aus damaliger Sicht und in den Augen de Gaulles keine rassistische Entscheidung gewesen sei – zunächst hatten die Franzosen, die von der amerikanischen Armee und ihrer Hilfe abhängig waren, keine Wahl, sich deren Wünschen zu widersetzen. De Gaulle habe es außerdem “nützlich” gefunden, die bislang eher rebellisch tätig gewesenen Résistance-Kämpfer, unter denen auch viele bewaffnete Kommunisten waren, nun offiziell in die Armee eingegliedert zu haben, und somit ein waches Auge auf und Kontrolle über sie zu haben.

Erst seit wenigen Jahren wird den schwarzafrikanischen Soldaten bei den Feierlichkeiten rund um das Débarquement der Ruhm und die Wertschätzung zugestanden, die sie sich bei diesen Kämpfen verdient hatten. (Beide im Text verlinkten Artikel aus Le Monde sind teilweise hinter einer Paywall, aber der lesbare Text ist meines Erachtens ausreichend, um die Zusammenhänge zu verstehen.)

Das Stadtarchiv von Cannes hatte auch keine aktuelle Ausstellung zum “anderen” Débarquement konzipiert, aber schon vor Jahren Dokumente zur deutschen Besatzung in Cannes veröffentlicht, darunter auch dieser kleine Film aus privater Quelle über die Ankunft der Amerikaner in La Bocca; im Juni erschien aber ein neuer Artikel, angereichert mit ein paar Fotos, über die Bunker, die entlang der Croisette und auf den vorgelagerten Inseln erbaut worden sind. Die Bunker, die hier auch “blockhaus” heißen, (gesprochen Blokkos) auf der Croisette hat man nach dem Krieg gesprengt, die auf der Insel Ste. Marguerite kann man immer noch sehen, wenn man sich ein bisschen auf die Suche macht.

Ich habe kürzlich erst verstanden, dass das komische Bauwerk in den Bergen, hinter den Gorges de Daluis und kurz vor dem Dorf Guillaumes, auch ein Bunker ist. Irgendwie ist man ja manchmal blind für Offensichtliches. Wollte ich mir nicht vorstellen, dass die deutschen Soldaten auch bis in mein friedliches Bergdorf gekommen waren? Als ich das letzte Mal “runtergefahren” bin, wollte ich diesen Bunker endlich dokumentieren, und siehe da, er hat, anlässlich der 80-Jahr-Feier eine Erklärungstafel bekommen.

Mit Staunen lese ich, dass es ein von den Franzosen gebauter Bunker ist, ein Teil einer Verteidigungsanlage, der alpinen Maginot-Linie, er sollte verhindern, dass die italienischen Truppen im Zweiten Weltkrieg weiter vordringen könnten. Die Italiener kamen aber nicht bis dorthin, der Bunker wurde dann später von der örtlichen Résistance genutzt um gegen die deutschen Truppen zu kämpfen.

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3 Responses to Le Débarquement en Provence – das andere Débarquement

  1. Ute sagt:

    Liebe Christiane,
    vielen Dank für diese Hintergrundinformationen!
    Blanchiment des troupes…davon habe ich noch nie gehört…heftig, aber irgendwie für die Zeit auch wieder nicht verwunderlich…
    Rollende Panzer könnte ich auch nicht gut hören oder sehen…wegfahren würde mir auch reichen…
    Letzte Woche war ich kurz in Metz…Und ganz schnell verliebt in die Stadt, die so fröhlich und lebendig war und so viel französischer auf mich wirkte, als ich mir hätte vorstellen können 😍 Lag vielleicht aber auch daran, dass ich sooo lange nicht mehr in Frankreich war🤣
    Liebe Grüße aus dem Rheinland
    Ute

    • dreher sagt:

      Danke liebe Ute! Ich fand das auch spannend, zu erfahren. Es ist bislang nicht oft darüber gesprochen worden.

      Metz kenne ich gar nicht, aber ich glaube gern, dass es dir dort gefallen hat. Ich persönlich finde eher untouristische Städte auch viel angenehmer und französischer als den überlaufenen Süden beispielsweise.

      LG