Wir sind schon wieder in den Bergen (Handwerker kommen, andere nicht, das alte Lied) – und hier ist es jetzt kalt geworden, wir sind am Tag des großen Schneesturms angekommen, tags zuvor habe ich es tatsächlich geschafft, eine Stunde lang am Strand in Cannes spazierenzugehen und ein bisschen in die Sonne zu blinzeln, und abends, als die Sonne weg war, war ich im Hallenbad schwimmen. Wie immer, wenn ich wochenlang nicht schwimmen war, sind die ersten Minuten mühsam, aber wir waren zeitweise nur zu zweit in meiner Bahn, das machte es recht komfortabel und irgendwann sah ich nicht mehr auf die Uhr an der Wand, wo, so schien es mir, die Minuten nur quälend langsam vergingen, und plötzlich waren die vierzig Minuten um.
Vom Strand also quasi direkt in den Schneesturm – es erinnert mich immer an meinen ersten Winter vor jetzt genau 19 Jahren in den Bergen, möglicherweise wiederhole ich mich, das mögen Sie mir verzeihen, es finden sich ja aber immer auch neue LeserInnen hier, die die Geschichten vielleicht noch nicht kennen. Am 3. November 2005, ich erinnere mich so genau, weil es der Geburtstag meines Großvaters ist, am 3. November also, saßen wir auf dem Hof zum Mittagessen noch auf der Veranda, die Sonne schien mir warm auf den Rücken, ich hatte nur ein T-Shirt an, keine Jacke, es waren vielleicht 18 Grad, vielleicht auch 20, auf jeden Fall war ich so glücklich, dem sonst so graunassen und ungemütlichen November Deutschlands entflohen zu sein und in Südfrankreich in den Bergen in der Sonne zu sitzen. Ich dachte, “das ist der Winter in Südfrankreich!” Und: “So ist es hier!” Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es kalt werden könnte. Und eine Woche später hatten wir Schnee und eine Eiseskälte, ich zog mehrere Schichten Kleidung übereinander, bestellte mir Skiunterwäsche, die ich in den folgenden Monaten nicht mehr auszog, und ich fror, wie noch nie vorher in meinem Leben. Ich schlief ja auf einem ungeheizten und nicht isolierten Dachboden einer Scheune, es zog eisiger Wind durch die Ritzen des Holzes, unter mir lag damals noch die fromagerie, die natürlich nicht geheizt war. Ich schlief mit Mütze und Socken und zwei Bettflaschen und morgens konnte ich mich kaum aufraffen, aus dem Bett aufzustehen, und durch die Kälte und den Schnee zum Hof zu laufen – nur die Tatsache, dass dort in der Regel schon ein Feuer im kleinen Ofen brannte und das Häuschen wärmte, und ich mich mit dem Rücken zum Ofen auf die alte Holzbank setzen konnte und mit beiden Händen die Schüssel mit warmem Milchkaffee umfasste an der ich mir die Finger wärmte, bevor ich ihn schlürfend trank, machte das Aufstehen erträglich.
Es ist immer so. Eben noch war es warm und sonnig, wir haben Pilze gesucht und gefunden, ich wusste kaum noch, was ich mit ihnen machen sollte, so viele gab es, und so habe ich nicht nur Pilze in Öl eingelegt, sondern erstmals auch welche in der warmen Herbstsonne getrocknet. Und schwupps, von eben auf jetzt kündigt die Wettervorhersage so etwas Absurdes wie “morgen 12 Grad weniger” an, und tatsächlich haben wir von nun an nur noch einstellige Temperaturen und nachts hat es erstmals gefroren. Und heute morgen: fünzehn Grad im Schlafzimmer und knapp sechzehn Grad in der Küche – alles versetzt mich immer wieder in den Winter 2005, mal sehen, ob wir auch so viel Schnee bekommen werden.
Ob wir in Cannes im Kino gewesen wären, wurde ich gerade von einer Dorfnachbarin gefragt, aber nein, in Cannes habe ich zügig mehrere Maschinen Wäsche gewaschen und weil ich so viel Platz zum Aufhängen gar nicht habe, in den Waschsalon zum Trocknen geschleppt, husch husch aufgeräumt und dann hatten wir Familienbesuch und haben mehrere Tage in Folge Essen zubereitet und viel zusammengesessen und ebenso viel und lange gegessen.
Danach warteten die Quitten, die ich hier vom Nachbarbaum ernten durfte, dringlich darauf, in Gelee und Quittenbrot umgewandelt zu werden – und trotz guter Vorsätze habe ich schon wieder nicht dokumentiert, wie ich es letztes Jahr gemacht habe, suchte mir also ein Rezept, das mich irgendwie ansprach – und verbrachte meinen kompletten Samstag mit Rühren, erst das Gelee, dann das Quittenbrot, von dem Monsieur gleichmal die Hälfte für seinen Bridgeclub abzweigte. Ich bekam immerhin zwei Rückmeldungen von gestandenen Damen, die in ihrem Leben schon viel Quittenbrot gemacht und gegessen haben, sie fanden meines sei wirklich sehr fein geworden. Da bin ich dann doch auch ein bisschen stolz. Nageln Sie mich darauf fest, dass ich das Rezept demnächst hier teile, damit zumindest ich es nächstes Jahr finde!
Zur politischen Lage kein Kommentar. Ich sah im französischen Fernsehen einen Serie “Dans l’ombre” über eine fiktive Wahl 2025; das Szenario stammt von unserem ehemaligen Premierminister Edouard Philippe, alles ist natürlich Fiktion, nicht wahr, aber vermutlich weiß er, von was er schreibt. Ich vibrierte vor Nervosität beim Anschauen, so spannend ist es und so desillusionierend, im Hinblick auf das, was Politik heute ist. Ebenso desillusionierend, wenn nicht noch mehr, die italienische Serie 1992/1993/1994 auf arte. Hier wird auch in Großbuchstaben beteuert, dass alles reine Fiktion sei, Ähnlichkeiten mit Ereignissen und lebenden Personen rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die ersten zehn Episoden habe ich mir bereits angesehen, man folgt einer Handvoll Personen, Polizisten und Ermittlungsrichtern, mehr oder weniger hochrangigen Politikern, Werbefuzzis, Journalisten und einer ambitionierten jungen Frau, die ins Schauspielgeschäft will und dafür einiges in Kauf nimmt; es geht um den Skandal der verseuchten Blutkonserven, mit denen unzählige Menschen mit Aids und Hepatitis angesteckt wurden, um die Verstrickungen der Politik mit reichen Industrieellen und der Mafia, dem “eine Hand wäscht die andere”-System, es ist die Zeit des Aufstiegs von Berlusconi, und wir erleben die Ermordnung des Mafiarichters Giovanni Falcone. Sehr sehr schwarz alles.
Sehr bunt hingegen, und damit ein abrupter Themenwechsel, schon seit einiger Zeit die Abteilung Adventskalender im großen Supermarkt in Cannes. Man wird vom Angebot an Adventskalendern geradezu erschlagen. Als ich vor fünfzehn Jahren für die Enkelkinder Adventskalender, damals noch aus Deutschland, importierte, gab es diese Tradition hier noch nicht. Ich musste noch erklären, was es ist und warum man das macht (als ich seinerzeit hier im Dorf die Fenster mancher Häuser für einen “großen” Adventskalender schmücken wollte, musste ich auch lange erklären, warum und wieso man mitten im Winter die Fensterläden wieder öffnen sollte – und schmücken soll man da auch noch? Das Prinzip war völlig unbekannt! Hier ein langer Text aus einer anderen Zeit (2009) und Sie wissen es, den Adventsmarkt gibt es immer noch!)
Als ich mit Monsieur zusammenkam, so um 2010 herum, konnte ich die Enkelkinder sogar noch mit einem kleinen Retro-Kalender, in dem es hinter den Türchen nur Bildchen anzusehen gab, entzücken, Schokoladekalender fanden sie natürlich noch großartiger. Etwas mehr als zehn Jahre später gibt es in Frankreich eine Adventskalenderlawine, es ist unfassbar, und zwar nicht nur von den klassischen Schokoladeherstellern, nein, es gibt jetzt welche mit Kosmetikprodukten, mit Tee, Kaffee, mit Spielsachen, Schmuck und Trallala, das kennen Sie in Deutschland natürlich auch, aber in Frankreich ist das absolut neu! Auf Instagram bin ich sogar auf einen Adventskalender mit 24 Salami-Sorten gestoßen: Les saucissons de l’avent. Die Kalender werden immer größer und immer teurer, sogar die klassischen Schokolade-Adventskalender, die ich jetzt nach Lyon auf den Weg gebracht habe. Und nein, es war keine Dubai-Schokolade.
Das Internet schwächelt, ich schaffe es nicht, Bilder hochzuladen. Das muss ich ein andermal machen. Jetzt gehts zurück in die Küche – wir haben Gäste heute Abend. Es wird ein Perlhuhn (wieder mit Thymianbutter unter der Hühnerhaut) geben, dazu Süßkartoffelpüree. Heute mittag habe ich übrigens die finnische Fischuppe gemacht, die gerade im Internet herumgeht, super easy und schnell, lecker ist sie auch, ungewöhnlich für hier, wo man mir gerade erneut einen riesigen Muskatkürbis schenkte, und brachte mir das Lob “originell” ein. Die finnische Mäusedoktorfamilie war übrigens wieder mit dem Zug unterweg, aber ich kanns gerade nicht verlinken … herrjeh, das Internet in den Bergen ist eingefroren, so scheint es.
Ein Adventskalender mit 24 Salamisorten!!!
Ach, ich liebe Frankreich.
😁👍🇨🇵
Wobei ich sagen würde, dass es auch in Deutschland in den letzten 15 Jahren eine bemerkenswerte Adventskalenderinflation gab; insbesondere bei den Modellen für Erwachsene.
Vor nicht so langer Zeit hätte mensch als infantil gegolten, sich mit mehr als 12 Jahren einen Adventskalender zu wünschen, inzwischen ist es ja fast unmöglich einem zu entgehen, selbst wenn man will.
Das sehe ich auch so. Aber dass dieser Trend hier so einschlägt, in einem Land ohne existente Adventstradition, mal abgesehen von elsässischen Weihnachtsmärkten, ist nochmal was anderes, finde ich.
Ach Christiane, Deine wunderbar inspirierten Texte und Taten, 15 Jahre ist das schon her? La nostalgie, ich erinnere mich so gut! Mmhh, die Lachssuppe hört sich köstlich an. Und für die Temperaturschwankungen braucht man vermutlich einen sehr stabilen Kreislauf. “Il faut vivre avec” hab’ ich mal von einem doofen Franzosen gehört, der keine Deutsche mochte 😮.
Ja, die Zeit vergeht – verrückt, wie lange ich schon schreibe und du mich liest!
Die Suppe ist echt easy, man muss nur guten Fischfond kaufen, den man in der Regel nicht zu Hause hat.
Gerade sind wir wieder in Cannes – hier ist es geradezu sommerlich, das ist wie Sauna in groß, dieses Kalt-Warm-Ding. Soll ja gesund sein. Morgen Deutschland, da wird es wieder kalt …
Ich erlaube mir mal, die erste Reiseetappe der Mäusedoktorfamilie zu verlinken:
https://myyratohtori.wordpress.com/2024/10/23/turku-london-mit-dem-zug-1-turku-stockholm-hamburg/
Danke, liebe Vinni, bin derzeit in Deutschland in einem komplett anderen Kontext, komme nicht dazu.
Fischsuppe ist aktuell auch mein Thema. Hab mir in Tschechien wunderbaren
Dill gekauft – im Glas wie es die polnische und tschechische Küche mag. Wundervoll – gut das ich aktuell oft nach Arzberg fahre und Cheb nicht weit weg ist. Dann kann ich meine Vorräte regelmäßig auffüllen.
Grüße Claudia
Klingt toll! Guten Appetit! 🐟🌿😋
Danke für die Fischsuppe.😊
Und so lange kenne ich Dich schon virtuell? Huiiiii.
Bitte gerne! Und ja, die Zeit vergeht!