“Le bonheur est-il affaire de raison ?” Ist Glück eine Sache der Vernunft?
“Vouloir la paix, est-ce vouloir la justice ?” Ist der Wunsch nach Frieden der Wunsch nach Gerechtigkeit?
Heute hat die angeheiratete Enkelin ihre letzte schriftliche Abiprüfung geschrieben: Le bac philo. Alle AbiturientInnen Frankreichs schrieben heute einen vierstündigen Aufsatz zu einem philosophischen Thema. Die Enkelin hat das “Glück” gewählt (hätte ich auch, denken Sie sich!), war aber trotzdem nicht ganz glücklich mit dem Thema. Die Philosophie-Prüfung ist eine Last für die meisten SchülerInnen, und sie wiegt auch noch schwer im Abitur; die letzten Tage hat die Enkelin ächzend den Stoff wiederholt (16 Themen konnten in irgendeiner Form drankommen) und sich Zitate eingepaukt, die man überall einsetzen kann. Nächste Woche hat sie noch die mündliche Prüfung, le grand oral, diese aber in ihren Leistungskursen (das heißt hier nicht wirklich so, aber ich verwende verständnishalber diesen Begriff) Mathe und SVT, science de la vie et de la terre, irgendwie verbinden sie da Bio mit Geo, und das liegt ihr eindeutig mehr als das hochtrabende Gelaber der Philosophie.
Ich bin immer noch überrascht, dass man hier in der letzten Klasse vor dem Abi, in der terminale, Philosophie als Pflichtfach hat. Was dann dazu führt, dass Franzosen, wenn sie einen beeindrucken wollen, einem gerne irgendein Nietzsche Zitat um die Ohren hauen oder eins von Hegel oder von Hannah Arendt. Niehtsch sagen sie allerdings und nicht nur, dass ich nicht wusste, wer das sein sollte, ich verstand auch das Zitat nicht. “Nietzsche, ach so!”, sagte ich dann, wenn der Groschen fiel. Ausgerechnet Nietzsche. Das Zitat, auf Französisch, verstand ich dann immer noch nicht, aber darum gings auch nicht wirklich. Es sollte mich nur beeindrucken und das tat es auch, ich konnte nicht mit einem Zitat von wemauchimmer kontern.
Zu meiner Zeit gab es keine Philosophie an der Schule, wir hatten noch Religionsunterricht, der nur in “evangelisch” oder “katholisch” unterteilt war, und wer weder das eine noch das andere war, das war damals selten, hatte eine Freistunde. Ich hatte katholische Religion bis zum Abi, bei einem ehemaligen Jesuiten, an den ich mich gerne erinnere, und der uns auch mit den anderen großen Religionen und zumindest mit Sartre und dem Existenzialismus vertraut gemacht hat. Spannend eigentlich. Philosophie gabs als Nachmittags-AG, glaube ich mich zu erinnern, ich war da nicht. Schade, denke ich heute, aber ich habe das vermutlich doch ziemlich großartige Lernangebot an der Schule nicht genutzt, mir reichte der Pflichtstoff mit Fächern, die ich nicht verstand (Mathe, Physik), und blöden Lehrern in meinen Leistungskursen (Deutsch und Französisch). Bäh.
Niehtsch, er wird in Frankreich erstaunlich oft zitiert. Geradezu leitmotivisch durchzieht er jedes Gespräch, das an Philosophie grenzt, Leitmotiv, ein Wort, das die Franzosen auch geradezu inflationär nutzen. Erstaunt hat mich auch, wieviele hauptberufliche Philosophen es in Frankreich gibt, die sich stets und ständig zu allem und jedem in den Medien äußern: Bernard Henry Levy etwa, gerne abgekürzt zu BHL (Beh-Asch-Ell), der übrigens mit der, heute nicht mehr ganz so lieblich anzusehenden, Arielle Dombasle verheiratet ist. Oder der hübsche Raphaël Enthoven, dem Carla Bruni seinerzeit ein sehr verliebtes Lied gewidmet hat, das war aber lange bevor sie Madame Sarkozy wurde, die Geschichte ist schön trashig, aber wir wollen ja in der Philosophie bleiben und nicht zum Klatsch absteigen. Oder Alain Finkielkraut – das sind nur ein paar derer, die man ständig in ihrer Eigenschaft als Philosoph zu hören bekommt.
Es regnet. Gerade habe ich wieder das Sonnensegel abgehängt und den Wäscheständer reingewuchtet, wie fast jeden Nachmittag in den letzten Tagen. Herrjeh, das hier ist die Côte d’Azur, oder? Klar, wir sind froh über den Regen, es ist überall zu trocken, schon gut. Ich war schwimmen heute früh, trotz aufgewühltem und etwas schmutzigem Meer, trotz der Wellen, ich schwamm nur bis zur Boje Nummer 8, aber die Strecke immerhin zweimal. Jetzt Gewitter. Es donnert. Heute früh am Strand sahen wir zwei Canadair-Flugzeugen beim Training zu. Es sind amphibische Löschflugzeuge, die quasi auf dem Meer (oder auf Seen) aufsetzen, um Wasser einzusaugen, und um dann zu einem (in der Regel) Waldbrand zu fliegen, der mit gewöhnlichen Löschfahrzeugen nicht oder nur schwer zu erreichen ist und es dann dort ablassen. Heute war Training, sie drehten nur kleine Runden und ließen das Wasser wieder rauschend über dem Meer ab. Derzeit regnet es viel, aber die nächsten Waldbrände sind gewiss. Sie hören mich seufzen. Bitte werfen sie keine Zigarettenkippen einfach so weg! Gerade sah ich den neuesten Film von Christian Petzold (Roter Himmel), in dem auch Wälder brennen, und die Häufigkeit, in der die Schauspieler in ihren Rollen Zigaretten drehten und nervös rauchten, irritierte mich stark.
Etwas ganz anderes, Bodenständiges, ich habe heute Salicornes gemacht, die ich gestern im “Frische-Supermarkt” Le Grand Frais gefunden habe. Im Grand Frais gibt es nur (überwiegend frische) Lebensmittel, kein Toilettenpapier, keine Putzmittel, kein Shampoo und was es sonst in Supermärkten alles gibt, also nur Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch und Milchprodukte. Und ein bisschen Wein und Nudeln, Mehl und Zucker. Ich bin da neuerdings ganz gerne, er liegt fast direkt neben dem Erzeugermarkt, und das ergänzt sich sehr schön, finde ich. Beim Erzeugermarkt gabs gestern die ersten frischen Pfirsiche, noch ein kleines bisschen hart, aber sie werden in ein, zwei Tagen köstlich sein, und bei Grand Frais gabs wie gesagt Salicornes.

Ich wusste nicht, was es ist, irgendwas Grünes, ein wild wachsendes Kraut, oder vielleicht eine Alge. Das Rezept, das es mit dazu gab, schlug vor, eine Gemüsepfanne mit Knoblauch, Petersilie und Pistazienpesto zu machen, das erinnerte mich stark an den Aufenthalt auf den Äolischen Inseln, wo Pistazien und Kapern quasi an jedem Gericht waren, und ich nahm sie also mit, die Salicornes, ungeröstete Pistazien fand ich auch. Für so etwas ist Grand Frais unschlagbar.

Monsieur allerdings schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als er sah, was ich da zubereitete. Kestufais? Himmel! Unkraut sei das! Ich suche es im Internet und weiß jetzt, dass es auf Deutsch Queller heißt oder Meeresspargel, Meeresbohne oder meinetwegen auch Meeresfenchel und als wertvolles Wildgemüse mit leicht pfeffrigem Geschmack gilt. Ich lasse mich von den Einwänden und dem skeptischen Blick des Gatten nicht beirren und rühre mir ein Pistazienpesto zusammen, das ich mit viel Knoblauch zu den erst gewaschenen, dann blanchierten und dann kurz bei großer Hitze angebratenen Salicornes gab. Dazu gabs ein ordentliches Stück in Butter angebratenen Kabeljau. Es sah schön aus und es war zumindest nicht unlecker, wobei der pfeffrige Geschmack vermutlich vom Pistazien-Knoblauch-Pesto überlagert wurde. Monsieur hat es aufgegessen (Sie wissen schon, der Hunger treibts rein) konnte sich aber kaum beruhigen, dass er zum ersten Mal in seinem Leben dieses Unkraut gegessen hat.
Zurück zur Philo – seit drei Jahren gibt es am Tag, an dem das Philosophie-Bac geschrieben wird “le bac philo des humoristes” – verschiedene Humoristen schreiben am selben Tag ihre Sketche zu den in der Regel wenig lustigen Abi-Themen und stellen sie abends im Théâtre Libre in Paris dem Publikum vor. Die Veranstaltung wird tatsächlich live im Fernsehen übertragen! Sie wissen, was wir heute Abend sehen werden!
Ok, es war nicht alles so wahnsinnig witzig – und ich habe es nicht bis zum Ende gesehen. Deswegen habe ich vermutlich Les Coquettes verpasst. Die drei Damen, die mit ihren niedlich klingenden “les petites chansons” bitterböse sind. Hier ein Beispiel vom letzten Jahr (ich habe das aktuelle Video von gestern, das zumindest angekündigt worden war, leider nicht gefunden).



















































































































































































