Wir erhielten gerade einen Anruf der Mairie, ob wir in Not seien, nachdem wir das verneinten, fragten sie nach, ob wir jemanden kennen würden, der in Not sei. Nicht schlecht, bisschen spät vielleicht, aber immerhin. Wir werden immer mal wieder telefonisch von der Mairie mit Informationen versorgt, als es das Hochwasser gab zum Beispiel, gab es automatisierte Anrufe, mit der Nachricht zu Hause zu bleiben, sie riefen so lange an, bis man über eine Tastenkombination eingegeben hatte, dass man die Nachricht verstanden habe. Wir brauchten etwas länger, weil wir die Nachricht nie bis zum Ende anhörten Monsieur ist als „Senior“ gelistet, weswegen wir auch immer wieder Einladungen zu Kaffeefahrten und für nachmittägliche Tanzveranstaltungen bekommen.
Aber wir sind nicht in Not, uns gehts gut, wir kriegen eingekauft und heute sogar gekocht, oder zumindest Essen zubereitet und vor die Tür gestellt. Die Enkelin hat Ravioli selbst gemacht, gefüllt mit la Daube, einem Rindfleischragout. Hier ein Foto aus der Manufaktur. Wie Sie sehen, haben wir Mehl.

Wir aßen sie nur mit zerlassener Butter und etwas geriebenem Parmesan, und es war köstlich!

Alles aufgegessen. On a fait l’honneur aux raviolis, sagt man hier. Man hat den Ravioli(s) Ehre erwiesen.

Dass für uns eingekauft wird, aber nicht im üblichen Supermarkt, ist manchmal tückisch. Gerade habe ich eine knappe halbe Stunde nach einer adäquaten litière, einem Katzenstreu, gesucht. Pepita ist ja etwas kapriziös, wenn ihr das Streu nicht zusagt, dann macht sie ihr großes Geschäft entschieden neben das Häuschen oder ganz verschämt hinter den bodenlangen Vorhang. Nicht schön. Aber das verstehen Sie jetzt sicher, denn es ist so, wie wenn Sie ihr übliches dreilagiges weißes Klopapier nicht bekommen und jetzt irgendein kratziges graues nehmen müssen. Sehen Sie! Andere litière als üblich findet die Katze auch doof. Sie will ihre weißen Körnchen, die, die sie schon immer hatte. Die gibts aber nun nicht in dem Supermarkt, in dem man für uns einkauft, und nein, es ist nicht egal, ob das Zeug zusammenklebt oder eine andere Farbe hat oder biologisch abbaubar ist oder was auch immer. Ihr Klopapier ist auch nicht irgendein Klopapier. Und von wegen „nur“ für die Katze, es ist FÜR die Katze! Und wenn Sie x-mal stinkende Häufchen hinter dem Vorhang aufgeklaubt haben, dann wissen Sie das. Ich habe jetzt also genau Angaben einschließlich Foto weitergegeben und hoffe, wir erhalten das Gewünschte.
Heute früh habe ich die seit drei Tagen entworfenen Briefe beendet, immer mit Hilfe des Gatten versteht sich, ich allein scheitere ja im Schriftfranzösisch schon im Adressfeld oder beim Datum, alles anders hier, oder spätestens mit der förmlichen komplizierten Grußformel am Ende. Dans cette attente, veuillez, Madame, Monsieur, agréer l’expression de mes sentiments respectueux ist noch die einfachste Variante und entspricht etwa den „freundlichen Grüßen“. Mit dieser Grußformel kann man so viel ausdrücken, zumindest wenn man die Feinheiten beherrscht, man kann auch unhöflich sein, aber auf extrem höfliche Art. Ich versuche also die Wiederbelebung meiner Micro-Entreprise rückgängig zu machen, die ich, wie ich jetzt erfahren habe, nicht brauche, mit der ich aber komplett anders und unvorteilhaft besteuert würde, aber das wusste die Dame der URSSAF, die mich „beraten hat“, nicht, sie schlägt alles über einen Leisten, so ist es, wenn die Künstlersozialversicherung aufgelöst wird. Man hat es dann mit Menschen zu tun, die nicht verstehen, wie sich ihre Einkünfte ergeben und warum sie jedes Jahr anders ausfallen können und in Zeiten von Krisen wie dieser, wenn unsere Neuerscheinung, an der wir und andere ein Jahr lang sorgfältig gebastelt haben, irgendwo steckenbleibt und sich keiner dafür interessiert, weil alle nur Hefe wollen oder Mehl oder Klopapier oder Masken und keiner lesen will, wer kann sich schon darauf konzentrieren, und die Buchhandlungen sind sowieso geschlossen und der große böse Wolf liefert gerade auch nur Klopapier und keine Bücher, wenn also unsere Neuerscheinung irgendwo versandet und liegen bleibt, dann haben wir im nächsten Jahr kein Geld und das erklären Sie dann mal der Dame von der Sozialversicherung. Autoren? Künstler? Tant pis pour eux. Pech gehabt. Hätten halt was Ordentliches lernen sollen. Sozialversicherungsfachangestellte zum Beispiel. Ein krisensicherer Beruf. Und vermutlich Systemrelevant.
Die Briefe schicke ich vorsichtshalber per Einschreiben, in Zeiten wie diesen, weiß man nie. Die Post würde heute aber nicht abgeholt, bedauert die Dame der kleinen Poststelle, eigentlich eine Bar und ein Zigarettenladen und Rubbellose bekommt man auch, und jetzt ist es auch eine Poststelle, aber ich bin froh darum, die Dame ist viel netter als der ehemalige Postbeamte der richtigen Postfiliale und außerdem hat sie viel großzügigere Öffnungszeiten, sogar jetzt zu Krisenzeiten. Möglicherweise wird die Post morgen abgeholt, sicher ist es nicht. So ähnlich wird im kleinen Lebensmittelladen auch über die Lieferung von Mehl verhandelt. Ich mache ein Foto, weil das Glücksspielunternehmen darauf hinweist, dass Rubbellose keinen Ausgang rechtfertigen, sie seien nur als Zusatzkauf erlaubt. Die Gewinne aber würden, versichern sie uns, auch noch nach Ende der Ausgangssperre ausgezahlt. Auch das sei kein Grund aus dem Haus zu gehen. #restezchezvous


Ich aber gehe noch zum Bäcker und bin total gerührt, sie haben Schokoladenostereier gemacht und Lämmchen aus einer Art Biskuitteig gebacken. Ich habe die letzten Tage nicht gewagt, die schweigsamen Damen damit zu belästigen, ich dachte, sie springen mir vermutlich wütend ins Gesicht. Was sollen sie denn noch alles machen ohne Mehl?! Aber nein, die Stimmung in der Bäckerei ist auch freudiger. Ich bedanke mich für die Lämmchen und die Schokoeier, sage, wie sehr es mich rührt, dass sie das gemacht haben und die Bäckerin lächelt glücklich. Ich bestelle zwei Lämmchen für Sonntag und sie sagt mir, am Sonntag hätten sie auch noch ein größeres Schokoladensortiment. Ich erstehe dennoch bereits ein paar Schokoeier, sie sind teuer, aber das ist mir jetzt egal. Ich unterstütze den Handel in meinem Viertel. Am Eingang hängt seit ein paar Tagen ein Zettel, dass die Bäckerei nicht reich würde in der Krise mit all den Angestellten, die sie hätten und ohne Mehl.

Es wird Ostern. Wir sind in der Karwoche. Pessach steht auch bevor. Ich suchte gerade Informationen, ob wir Ostermessen virtuell ansehen können und erfuhr, es wird im kleinen Kreis eine Karfreitagsmesse im Inneren von Notre Dame geben. Die Kathedrale wurde gerade vor einem Jahr durch Feuer zerstört, es kommt mir vor, als sei das schon ewig her. Der Papst hat schon den Palmsonntag fast alleine im Petersdom gefeiert und er wird dort ebenso fast alleine die Ostermesse feiern und all das wird über Streaming (die Internetseite des Vaticans) übertragen.
Großes Thema heute: die Masken! Jetzt, wo es bald welche gibt, sagt man uns, wie wichtig sie sind und dass es jetzt eine Maskenpflicht geben wird, haha. Bürgermeister, die es geschafft haben, für ihre Stadt Masken aus China oder von anderswo zu bestellen, sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass man diese Masken bei der Einfuhr sofort für den Staat beschlagnahmt hat und die Gemeinden gehen leer aus. Die Bürgermeister sind entsprechend wütend und schimpfen auf die französische Bürokratie, die nichts selbst hinkriegt. In Cannes aber machen wir unsere Masken selbst, kann noch einen Moment dauern, aber immerhin wird der Staat die wohl nicht beschlagnahmen.

Die Kurpfalz ohne Menschen. Via Friederike Kroitzsch.
Es gibt Momente, da bin ich froh, dass ich so weit weg bin und nicht mitkriege, wie anscheinend über Tagebuchblogs hergezogen wird. Es würde mich sofort einschüchtern. Wie mühsam muss man sich das Gefühl einer Zeit, über die man etwas wissen will, aus Dokumenten zusammensuchen, sei es der Erste oder der Zweite Weltkrieg, sei es die „Zwischenkriegszeit“, die „goldenen Zwanziger“, oder die Nachkriegszeit oder welche Zeit auch immer, die man selbst nicht miterlebt hat. Nicht umsonst hat man ein Feldpost-Archiv und (nicht nur) ein Tagebucharchiv gegründet. Briefe und Tagebücher seien „autobiographische Zeugnisse […] [und] wichtige Quellen für die Geschichts- und Kulturforschung, vor allem für die Erforschung der Alltags- und Mentalitätsgeschichte“ heißt es da. So wahr! Ich freue mich insofern über diesen Beitrag, der das Tagebuchbloggen als „gemeinsame Geschichtsschreibung“ unterstützt. Via Maximilian Buddenbohm.
Amerikanische Schulkinder grüßen ihre Schule und die Lehrer. Via Jessica Smith-Sirten

Und noch mehr Kids. 700 italienische Kinder singen Nessun dorma. Muss eine Wahsinnsarbeit gewesen sein, das zusammenzustellen. Chapeau!
So viel für heute! Bleiben Sie … Sie wissen schon!