Auch Südfrankreichbewohner müssen mal woandershin, um den Alltag für ein paar Tage hinter sich zu lassen – wir fahren da immer gerne nach Italien. Dieses Mal sind wir nicht nur nach nebenan gehüpft, sondern etwas südlicher gereist, wirklich gereist, mit Kofferpacken und Flug und Umsteigen und Fähre bis … auf die Äolischen Inseln, die Vulkaninseln vor Sizilien. Sieben gibt es, und sie sind allesamt vulkanischen Ursprungs, Stromboli und Vulcano haben auch noch aktive Vulkane zu bieten. Wir haben drei von ihnen bereist, Stromboli, Salina und Lipari, und um es vorwegzunehmen, alle (drei) sind unterschiedlich und bieten in kurzer Zeit ein Maximum an dépaysement, wie man hier sagt, Szenenwechsel.
Wir begannen mit Stromboli und es war eine gute Wahl, weil sie, zumindest von den drei von uns besuchten Inseln, die “wildeste” ist. Sagenhaft schöne Blicke aufs Meer, weiße kleine Häuschen im Würfelstil, eine Postkarten-Idylle sozusagen –
und dreht man sich um, hauen einen die struppige Natur, der raue kleine Hafen und der aktive Vulkan um. Dass der Vulkan stets und ständig grummelt und Lava spuckt, und an unserem Abreisetag einen derartigen Ausbruch hinlegte, dass die Aschewolke die Sonne verbarg und es am helllichten Tag grau und kühl wurde, ist durchaus beeindruckend. Ein paar Tage in Folge spuckte der Stromboli nun Feuer, Lava und Asche, und sämtliche Wandertouren zu seinem Gipfel wurden untersagt. Umso mehr fuhren die kleinen Boote hinaus und auf die Rückseite der Insel – zur Sciara del Fuoco, der “Lava-Rutsche”.
Davon leben sie auf der Insel – von den Touristen, die kommen, um den Vulkan zu bestaunen und/oder zu besteigen. Wandern ist für uns nicht mehr drin, so sind wir an einem Abend mit Kapitän Pippo und seinem Ausflugs-Boot rausgefahren, und ich habe etwa eine Million eher unscharfer Handy-Fotos vom Sonnenuntergang auf dem Meer und vom Mondbeschienenen Felsen Strombolicchio gemacht, wir hörten den Vulkan grummeln, graue Wölkchen erhoben sich, habemus papam, dachte ich, alle Gedanken führen nach Rom, und hin und wieder explodierten Steine, Asche und Lava rot im Nachthimmel. Ich fand es ausreichend beeindruckend.
Am nächsten Vormittag aber spuckte der Vulkan ein bisschen mehr als üblich – die Fischer und Ausflugsboot-Kapitäne hatten dramatische Fotos auf ihren Handys, die sie uns zeigten. Heute müssten wir nochmal rausfahren!, versuchten sie uns zu überzeugen. Heute fahren wir weiter nach Salina, sagte ich. Ach Salina, winkten sie ab, was ist schon Salina, wenn der Stromboli so dramatisch aktiv ist! Wir sind trotzdem nicht noch einmal rausgefahren, wir sehen es dann im Fernsehen.
So, ich habe mit dem Ende unseres Aufenthalts auf Stromboli begonnen, aber so haben Sie gleich ein bisschen Insel gesehen. Und auch den Bürgermeister, der von Lipari, der “Hauptinsel” angereist war, und von einem Carabinieri in einem der Inselwägelchen, im Prinzip ein (elektrisches) Golfwägelchen, Golfcart heißt das offiziell, abgeholt wurde. So wurden wir auch abgeholt und eierten auf der etwa einen Kilometer langen Straße zum Hotel. Es war mir vorher nicht klar, dass Stromboli lediglich ein langgestrecktes Dorf am Fuß des Vulkans ist, im Prizip nur ein Sträßchen mit ein paar Verästelungen hat, einen winzigen Dorfkern mit Kirche, Apotheke, Tante-Emma- und einem Trekkingladen und 400 Einwohner, basta! Es gibt zwar noch einen anderen Ort, Ginostra, der lediglich aus ein paar am Hang klebenden Häuschen besteht, es gibt aber keinen Fußweg dorthin, man kann es nur mit dem Boot erreichen, und sind die Wellen zu hoch, fährt die Fähre den Ort schonmal nicht an.
Für den einen Kilometer Straße und engste Sträßchen gibt es verhältnismäßig viele Golfcarts, mit denen die Hotelgäste oder wenigstens ihre Koffer abgeholt werden, und für den Transport von allem anderen dienen die kleinen Ape 50, die dreirädrigen italienischen Lieferwägelchen. Ape heißt übrigens Wespe, Biene, wie ich gerade gelernt habe. Dazwischen rauschen noch ein paar Scooter durch, die meisten sind elektrisch.
Wir waren morgens um 4 Uhr aufgestanden, von Nizza über München nach Catania geflogen, dort wurden wir abgeholt und mit einem sehr effizienten Fahrer über die Autobahn quasi zur Fähre nach Milazzo geschossen; da wir bereits Verpätung hatten und zusätzlich einer der Koffer ums Verrecken nicht übers Band rollen wollte, war alles sehr knapp, wir kamen an und das Boarding auf der Fähre hatte schon begonnen! Die Fähre, ein Hydroglisseur, mit ausgefahrenen Skien, zischte uns dynamisch weiter bis nach Stromboli. Abends liefen wir schon bei lauen Temperaturen und rosa-gelbem Licht über die Insel, hörten zum ersten Mal den Vulkan grummeln, so dass ich vor lauter Ehrfurcht nur ganz leise sprach. Und von überall sieht man aufs Meer. Ich war gleich sehr verliebt in den Leuchtturm-Felsen vor Stromboli, den Strombolicchio, den ich in den nächsten Tagen in allen Farb- und anderen Variationen fotografiere.
Wenn man nicht auf den Vulkan wandern will oder kann, bleibt, im Meer zu schwimmen. Wir haben direkten Meerzugang (mit ein paar Treppenstufen immerhin),
ich höre und sehe morgens juchzende Schwimmerinnen im Wasser, die mir fröhlich winken, und oh, wie ich sie beneide! Ich kann zu meinem großen Bedauern nicht Schwimmengehen, denn ich habe mir kurz vor der Abreise eine Bronchitis zugezogen (beim Schwimmen im saukalt gewordenen Meer!) und mein Sport ist es, in den nächsten Tagen alle Insel-Apotheken aufzusuchen und immer wieder Hustensaft, Aspirin und Kodein-Tropfen zu erwerben. Da es auf den Inseln, außer auf Lipari, keine Krankenhäuser gibt, haben die Apotheker größere Handlungsfreiheit und geben auch Medikamente ab, für die man andernorts ein Rezept bräuchte.
Ansonsten lese ich gemütlich mit Meerblick auf der Terrasse vor dem Zimmer, und alle paar Minuten hebe ich den Blick und finde das Licht noch wundervoller und muss noch ein Foto machen,
und lasse mich nur von kleinen Spaziergängen ins Dorf unterbrechen, um irgendwo Essen zu gehen.
Ich lese zunächst von Dörte Hansen Zur See und finde es ausgesprochen passend, dieses Buch, das auf einer kleinen Nordeseeinsel spielt, auf einer kleinen sizilianischen Insel zu lesen. Schon wenn man nur eine Stunde am Hafen herumlungert sieht man genug Ähnlichkeiten. Bärtige Fischer und Seemänner, die barfuß herumlaufen, und manch einer, der auch mittags schon vom Alkohol rotgeränderte Augen hat und die Inselstraße entlangschlingert, gibt es auch hier. Die Fähre spuckt mehrmals am Tag sehr viele Touristen aus, die dann ratternd über den Landesteg rollkoffern, und das, obwohl die Saison schon fast zu Ende, und die meisten Häuser und manch einer der Souvenirläden schon für den Winter verrammelt sind. Wir rollkofferten ja auch und ich lese von den Personen des Buches, die das Rollkoffergeräusch auf ihrer Insel nicht mehr ertragen und die sich nur noch zu den Touristenfreien Stunden, an den “Rändern” des Tages, frühmorgens oder spätabends bewegen. Ach ja.
Zur See ist kein Feelgood-Buch, ich mag es trotzdem und lese es nur in kleinen Häppchen, um lange etwas davon zu haben. Ich habe sonst nur noch Les Années von Annie Ernaux dabei, das ich vor Jahren schon einmal nur bis zur Seite 29 geschafft habe, das Lesezeichen liegt noch drin. Ich denke, ich sollte ihr als Nobelpreisträgerin eine zweite Chance geben. Aber so richtig reizt es mich nicht.
Stromboli und die Äolischen Inseln haben eine bewegte Geschichte, mit prähistorischen Siedlungen, griechischen und römischen Kolonialisten, später Piratenüberfällen, die die Siedlungen zerstörten und die Bevölkerung als Sklaven verschleppten, und immer wieder dramatische Erdbeben und Vulkanausbrüche. Der letzte Ausbruch, der große Zerstörungen anrichtete und zu einer Auswanderungswelle in die USA führte, war 1930. Erst der Film “Stromboli” den Roberto Rossellini 1954 mit Ingrid Bergman dort gedreht hat, machte die Insel(n) bekannt und zog fürderhin Touristen an. Das Haus, in dem Ingrid Bergman während des Drehs wohnte, ist noch zu sehen. In unserem Hotel hängen Schwarz-Weiß-Fotos von den Filmaufnahmen an den Wänden. Ich habe den Film, den es anscheinend nur in italienischer Sprache gibt, bestellt und bin gespannt! (Trailer am Ende)
Wir essen in den nächsten Tagen zweimal im Restaurant “Retrovo Ingrid” mit einem noch großartigeren Meerblick, als wir ihn sowieso schon haben.
Monsieur geht an einem der nächste Tage, ganz unsolidarisch mit mir, schwimmen. Das Mittelmeer ist hier noch nicht so kalt wie bei uns zu Hause, ich gehe trotzdem nur mit den Füßen rein, ich huste noch zu viel, bin aber ziemlich stolz, weil wir bis zu einer kleinen Bucht durch Lavagestein klettern, meine Knie halten gut durch!
Ich sehe überall Wesen …
Der größte Strand der Insel, der gleichzeitig auch am wenigsten steinig ist, liegt links vom Anlegersteg. Ich finde ihn wenig einladend, aber ich weiß noch nicht, oder sagen wir, ich weiß es schon, kann es mir aber nicht vorstellen, dass die anderen Inseln keinen oder fast keinen Strand haben, und wenn, dann ist der Weg dorthin lang und steil und damit für mich nicht machbar, und der Strand dann unbequem grobsteinig. Insofern gelten die schwarzen und beinahe sandigen schwarzen Strände von Stromboli als “besonders schön”.
Irriterend find ich die Hinweisschilder auf Fluchtwege bei Tsunamigefahr. Könnte ich im Zweifelsfall wirklich so schnell weg und bergauf fliehen? Und renne ich dann nicht dem Vulkanausbruch entgegen?
Und hier der Trailer zu Stromboli, Terra di Dio.
wird fortgesetzt …