Ich weiß, es ist kurz vor Ende des Jahres und da müsste man eigentlich das abgelaufene Jahr Revue passieren lassen. Vielleicht mache ich es noch, ich fürchte, ich habe nicht genug Zeit, heute auf jeden Fall wird es etwas anderes. Schnell noch in dieses Jahr gequetscht wurde die Besichtigung eine der ehemaligen Mühlen in Cannes, eine Ölmühle, die zu einem Museum umgewandelt wurde: Le Moulin Forville – Le Musée Victor Tuby. Das unscheinbare Haus befindet sich am Fuße der Altstadt, dem Suquet.

Le Moulin Forville – Le Musée Victor Tuby
Normalerweise ist die Besichtigung des Hauses an jedem ersten Samstagnachmittag im Monat möglich. Sie ist kostenlos. Das Museum wird von einem rührigen Verein, der Association Moulin Forville – Musée Victor Tuby, ehrenamtlich betrieben. Gerade gibt es dort zusätzlich eine Krippenausstellung – über achtzig Krippen, viele davon die typisch provenzalischen Landschaftskrippen der Region, aber auch große und kleine und allerkleinste Krippen aus aller Welt wurden liebevoll aufgebaut und sind zur Zeit an mehreren zusätzlichen Öffnungstagen zu besichtigen. Kostenlos. Das kann man nicht oft genug sagen.

Es ist rührend. Die Ausschilderung ist armselig, der Empfang umso herzlicher. Jeder Besucher wird in ein Buch eingetragen. “Aus Metz kommen Sie, um unser Museum zu besichtigen?”, freute sich stolz eine der Damen, die seit über 25 Jahren ehrenamtlich in diesem Verein mitwirkt, und sie trägt die Namen des elsässischen Ehepaars sorgfältig in das Besucherbuch ein.

Wegweiser zum Museum

Der Mahlstein

Klopfen und Eintreten
Als ich zum ersten Mal im Musée de la Castre ganz oben im Suquet war, hatte ich eigentlich erwartet, dort eine Art Heimatmuseum vorzufinden, wo ich etwas über die Geschichte Cannes’ erfahren könnte. Aber nein, ich fand mich in einem Ethnologischen Museum wieder. Ein Heimatmuseum gibt es in dem Sinne nicht in Cannes, aber das Musée Moulin Forville – Victor Tuby ist annähernd eines.
Victor Tuby entstammte einer alten Cannoiser Familie, er war Bildhauer, Erfinder, Chemiker, Künstler im weiteren Sinn und erwarb diese alte Ölmühle, die er einerseits als solche erhalten wollte, andererseits richtete er dort sein Atelier ein und gleichzeitig ließ er das Haus im provenzalischem Stil ausbauen. Er hatte eine umfangreiche Sammlung provenzalischer Möbel, Kleider, Bücher und Gegenstände, und begründete die Academie provençal, einen Verein, der bis heute die hiesigen Traditionen pflegt. Nun kann man Volkstanzgruppen und Brauchtum stirnrunzelnd gegenüberstehen. Ist das noch zeitgemäß? Ist es nicht peinlich in diesen Klamotten über die Croisette zu promenieren, und zu Flöten- und Tambourmusik zu hopsen? Sich von Touristen anstaunen und fotografieren zu lassen? Ist es nicht sowieso alles zur kitschig-spießigen Folklore verkommen?
Aber das ist der Blick von außen. Mich rührt es erstaunlicherweise sehr, wenn ich in der Altstadt um den Marché Forville zufällig in einen der Festumzüge, die es im Sommer immer wieder gibt, gerate. Und ich glaube, es liegt daran, dass die Vereinsmitglieder der verschiedenen traditionellen Gruppen, die, das kann man auch sagen, sich gegenseitig Konkurrenz machen, ihre Traditionen mit großem Ernst verteidigen, und sie stolz und gerne zeigen. C’est de chez nous! sagt in dem Film eine Dame. Sie meint, man sieht in dem Umzug “ihr”, das ursprüngliche Cannes. Man sieht vor allem, sage ich, Cannoiser Familien. Denn nur sie sind in den Heimatvereinen aktiv. Und es ist sicher eine Art sich zu zeigen, in dieser von Touristen und Zugezogenen aller Art überschwemmten Stadt. Es ist unsere Stadt! Wir sind noch da! Und unsere Traditionen und Werte sind uns wichtig, da können noch so viele goldfarbene Bentleys über die Croisette rollen.
Nun, nach seinem Tod vermachte Victor Tuby (1888-1945)** das Haus und die Sammlung einem anderen Heimatverein, und wünschte, dass man Haus und Mühle in ein Museum für Cannes umwandeln würde.

Victor Tuby umrahmt von Damen
Und so kam es. Wenn man das sehr heterogene kleine Museum heute besucht, bekommt man eine ins Detail gehende Führung und freut sich über den üppig und liebevoll ausgestatteten ersten Raum im provenzalischen Stil mit all den eigenartigen Möbeln (le pétrin, dem hölzernen Backtrog oder die panetière darüber) staunt vielleicht über die alten Holzpressen der Ölmühle, sowie die Engelskulpturen und den kleinen Lieferwagen im Atelier, und ist irritiert über die vernachlässigt wirkenden Räume des ehemaligen Wohnhauses. Warum ist das so?

Wohnraum

Küche (Ausschnitt)

Pétrin und Panetière (Backtrog und Brot”schrank”)

Atelier, Blick in den Garten

Lieferwagen

Ölpresse

Kostüme

Folgen des Wasserschadens

Wandfresken

Ehrenbanner

Polstermöbel
Auch nach vielerlei Erklärungen fällt es mir schwer, die Kulturpolitik Cannes’ zu verstehen. Welchen Vereinen wieviele Subventionen zugeteilt werden ist, sagen wir, für mich zumindest, nicht nachvollziehbar. Die Association Moulin Forville – Musée Victor Tuby schlägt sich seit zig Jahren quasi ohne städtische Unterstützung durch. Das Haus wurde einmal (lieblos heißt es) von der Stadt renoviert, ein Wasserschaden in neuerer Zeit aber wurde nicht mehr repariert. Die Feuchtigkeit im Haus führt dazu, dass vieles allmählich verkommt. Polstermöbel, Vorhänge, originale Kostüme, die in anderen Museen wie etwa in Grasse, nur hinter Glas zu betrachten sind, und hier ungeschützt ausgestellt werden, haben Stockflecken. Dabei arbeiten viele fleißige Hände daran, alles vorsichtig zu säubern, auszubessern, und so gut es eben geht, zu erhalten.

eine provenzalische Krippenfigur wird augebessert

ein neues Kostüm entsteht in Handarbeit

Anprobe

ein Kleiderschrank im Nähstübchen

Hauben

Edle Kleinigkeiten
Der Verein bemüht sich um vielfältige Veranstaltungen im Rahmen seiner Möglichkeiten. Im Sommer gibt es hin und wieder bemerkenswerte Konzerte im kleinen Garten. Zur Eröffnung der Krippenausstellung gab es ebenso ein Konzert, das sie auf der Facebookseite des Vereins entdecken können (ich weiß nicht, wie ich es aus FB hierher stellen kann).
Hier noch ein paar (wenige) Bilder der vielen, liebevoll gestalteten Krippen. Wenn Sie gerade hier sind und Zeit haben, gehen Sie hin. Sie entdecken ein Stück des alten Cannes. Das Museum liegt übrigens ganz in der Nähe des Parkhauses Forville, in dem man die erste Stunde gratis parken kann.

eine provenzalische Krippe (Ausschnitt)

provenzalische Krippe “Cannes” (Ausschnitt) rechts am Bildrand, der bärtige Herr mit dem Hut in der Hand, eine Figur, die Victor Tuby verkörpert

Krippe aus Vallauris (Keramik)

afrikanische Krippe (Ausschnitt)
Meine Hochachtung und ein großer Dank an die ehrenamtlich arbeitenden Damen und Herren der Association.
——
** Wie ich der heutigen Zeitung entnehme, verstarb Victor Tuby an einem 31. Dezember, und dementsprechende Ehrungen auf dem Friedhof Grand Jas wurden dazu abgehalten. Mehrere der provenzalischen Tradition verpflichtete Vereine waren (festlich provenzalisch gekleidet) anwesend, ebenso die Vereine Anciennes familles cannoises und Anciennes familles boccassiennes (aus dem Stadtteil La Bocca): Man las Gedichte (in provenzalischer Sprache) und sang die provenzalische Hymne Coupo Santo.













am Freitag Abend kurzfristig eine Fuhre Christstollen, mein alljährlicher Beitrag für den Weihnachtsmarkt, und wir fuhren in die Berge. Dieses Mal habe ich mich auch wieder richtig beteiligt und blieb, anstelle mich irgendwo warm an einen Kachelofen zu kuscheln und dem neuesten Dorftratsch zu lauschen, den ganzen Tag draußen, sprach mit allen Besuchern und Ausstellern, schenkte mittags heiße Suppe aus und half abends beim Abbauen und Aufräumen (danach waren wir alle frigorifié, bis ins Mark ausgefroren, es war so kalt!). Später am Abend wurde die frisch restaurierte Dorfkirche, unter Anwesenheit lokaler Politikergrößen, eingeweiht, es gab eine kleine Nikolaus-Andacht und wir gedachten dem verstorbenen Freund, gedachten Johnny (sangen gar eines seiner Lieder karaokemäßig mit!) und ebenso 



Auf zur Buchmesse: Diesmal logierten wir am Rand von Frankfurt. Ein riesengroßes Dankeschön geht an A. und H.! Wir hätten keine bessere Unterkunft und vor allem keine besseren Gastgeber finden können. Unkompliziert, herzlich und hilfsbereit. Wow! Das Haus, ruhig (!) am Rande von Frankfurt liegend und doch prima angebunden. Genial. Von Herzen Dank! Ich hoffe, ich kann das irgendwann genauso zurückgeben. (Ich bin übrigens immer mal wieder stolz auf den funktionierenden Nahverkehr in Deutschland. An diesen grünen Herzen fuhr der Bus jeden Morgen vorbei.)
Champagnerverkostung, Livedrawing und Lesungen von 

Ich hätte den französischen Kindern gern ein bisschen schönen Schnickschnack mitgebracht, aber es gab so viel, dass ich letzten Endes gar nichts kaufen konnte. Und ich verstand zum ersten Mal meinen eigenen Beruf: “Der Sortimentsbuchhändler wählt aus einem großen Warenangebot für seine Kunden interessante Titel aus und hält sie bereit.” (Und Non-books, würde man heutzutage wohl noch hinzufügen, damals gab es das noch kaum und ich erinnere mich wieder an Herrn Paulerberg, in der Zwischenzeit verstorbener, damals vielgehasster Lehrer, der uns drängte, Kleinkram (damals gab es gerade mal Kalenderchen und Lesezeichen, HA!) an der Kasse aufzustellen und überhaupt ins Sortiment zu nehmen!) So oder ähnlich lautet ein Satz, den ich zwar immer noch auswendig hersagen kann, ohne ihn bisher richtig verstanden zu haben. Jawohl! Es lebe der kleine Sortimentsbuchhandel! Wo immer er noch lebt, unterstützen Sie ihn! Später ging ich am Römer vorbei und über den
Eisernen Steg und erinnerte mich an früher, an Flohmärkte und Caféhäuser mit Papageien und Äffchen, und an Spielzeugläden mit Vitrinen voller Puppenhausmöbel, und ich ließ das Städel dann doch links liegen und schlenderte stattdessen durch Sachsenhausen und kaufte in einem netten Schuhladen mit kompetenter und freundlicher Beratung meinen schon Messemüden Füßen ein Paar weiche petrolblaue Schuhe.
Es wurde noch einmal mit Freunden österreichisch gegessen, einen Abend später aber schleppte ich Monsieur in eine Apfelweinstube, er muss Apfelweinsecco probieren und Apfelwein trinken und nach dem ersten halben Liter, den er mit verzogenem Gesicht mutig hinunterstürzte, hatte er sich dran gewöhnt. Hier gab es dann ausnahmsweise ein Kilo Schweinshaxe.

Im Gewühl verlor ich Monsieur und wartete am Verlagsstand, unausgemachter Treffpunkt, auf ihn, er kam aber nicht, stattdessen lief ich in eine beste Freundin von früher, oder sie lief in mich, auf jeden Fall stehen wir uns kurz verdutzt und mit offenem Mund gegenüber. Seit zwölf Jahren haben wir keinen Kontakt mehr. Das Leben eben. In einer Stunde holen wir 12 Jahre auf und es ist sehr aufregend und aufwühlend.





























