8.37 Uhr. Erst! Ich habe schon gefrühstückt, den zweiten Kaffee getrunken, alles Neue im Internet gelesen, schaue auf die Uhr und starre aus dem Fenster: 8.37 Uhr und es ist immer noch bedeckt. Bewölkt könnte man auch sagen. Obwohl France Météo euphemistisch von “éclaircis” spricht, Aufhellungen, Aufklarungen. Ich meine, wenn es drei Monate durchgängig prallen Sonnenschein und stete 30+ Grade hatte, und es dann plötzlich bedeckt ist, ist das für mich eher eine Bewölkung. Aber vermutlich ist das noch der Touristen-Sprech, keine Sorge liebe Leute, es klart schon auf! Gehen Sie ruhig schon mal an den Strand, wird gleich wieder heller.
Ich wollte heute an den Strand. Am ersten Montagmorgen im September, wenn alle wieder zur Schule und zur Arbeit gehen, gehe ich an den Strand, und bin dort fast ganz alleine. Dachte ich. Jetzt sitze ich stattdessen wirklich ganz alleine zuhause am Küchentisch, der Ort, an dem die rauschenden Wellen des Straßenlärms nur wenig vernehmbar, die des Internets aber gerade noch anlanden wollen. Nebenan im Park plätschern die Springbrunnen. Sie sehen, ich suche die Wasser-Metaphern. HA! Ein Sonnenstrahl? Noch ist es nicht sicher.
Nun denn. Der Sommer war anstrengend, in jeder Hinsicht. Heiß, schwül, laut und arbeitsam. Je nachdem von welcher Warte man das betrachtet, liest sich das auch alles ganz positiv. Wer Regen hat und mittlere Temperaturen, der findet sonnig und heiß natürlich klasse. Wer kaum noch etwas hört, wie etwa meine Schwiegermutter, findet vermutlich sogar den Straßenlärm erfreulich. Es gibt ja Studien, die besagen, dass nicht etwa das “Nichts mehr sehen”-können, sondern das “Nichts mehr hören”-können, die Menschen am unglücklichsten macht, weil es sie isoliert. (Sie sehen, ich habe die Worte Blindheit und Taubheit geschickt umgangen, ich weiß ja nicht, ob man die politisch korrekt überhaupt noch anwenden darf.) Meine Schwiegermutter, die trotz zweier Hörgeräte nicht mehr alles, was am Tisch (und auch sonst) gesagt wird, mitbekommt und daher immer schrill “Pardon?” dazwischenrufen muss, und dann ein ärgerliches “Redet doch lauter!” hinterherschiebt, sich aber noch mehr ärgert, wenn sie merkt, dass wir quasi brüllen, damit sie uns versteht, die freut sich vermutlich über jedes Geräusch, das zu ihr vordringt, und sei es die Holzsäge des Nachbarn, gibt es ihr doch das Gefühl noch am Leben teilzunehmen.
Und wer keine Arbeit hat, hätte vermutlich gern welche. Also hören wir mal auf, uns über unser Luxusschicksal zu beschweren. Über den Druck, der monatelang komisch über einem hängt, der uns zu asozialen Wesen macht mit noch komischeren Be- und Empfindlichkeiten. Sehr schön und ehrlich erzählt das Katja Lange-Müller in diesem Interview: “Das sind dann Monate, in denen du wirklich asozial wirst. Man geht einmal die Woche runter und kauft ein, holt einen Kasten Mineralwasser und kommt ansonsten nicht aus dem Bademantel heraus. Man vernachlässigt auch persönliche Beziehungen.”
Das finde ich ja immer tröstlich, denn so ähnlich schreibe ich auch. Halb verwahrlost, ungekämmt und ungewaschen, im Nachthemd und ohne Sozialkontakte, aber mit Bergen von Schokolade (bei Katja Lange-Müller sind es Zigaretten, sagt sie aber nicht), was mir bei jedem neuen Band mit Commissaire Duval etwa drei Kilo Gewichtszunahme beschert, die ich dann versuche bis zum nächsten Band wieder halbwegs herunterzuhungern oder wenigstens mit Sport in Muskelmasse umzuwandeln. Denn auch wenn ich mir jetzt immer mal schicke dicke Frauen im Internet ansehe, bin ich selbst ungern so dick. Hat natürlich auch mit dem Alter zu tun. Jung und dick ist immer doch attraktiver als alt und dick. Ich blogge übrigens bei den Blogs 50+, und wissen Sie was? Ein Beitrittskriterium war, dass man (hin und wieder) das Alter zum Thema macht! Könnse haben. Machen Sie sich auf was gefasst!
Ich schweife ab, ich war bei Sonne und Lärm. Und eigentlich stimmt es auch gar nicht, ich war nämlich die meiste Zeit in den Bergen, und da war es gar nicht so heiß und auch nicht so laut, obwohl … Über die vermeintliche Stille auf dem Land hat Friederike vom Landlebenblog schon einmal geschrieben, das muss ich hier nicht wiederholen: Wiesemähen, Holzsägen, Hundegebell… alles sehr intensive Geräusche, die in der Bergwelt weithin hörbar sind.
Monsieur musste sich in all der Zeit daher auch in Stillarbeit beschäftigen, wie das früher in der Schule hieß: wenn man mit seiner Aufgabe fertig war, durfte man gern etwas anderes machen, sollte dabei aber vor allem die anderen nicht stören. Das ist ja alles nicht so leicht. Monsieur schlug als erstes mal auf die feuchte Wand im alten Sommerhaus ein. Er glaubte, nur weil er das im Treppenhaus alleine machte und ohne mit mir zu sprechen, würde es mich nicht stören, dass das ganze Haus unter den Schlägen des Vorschlaghammers wummerte, der Verputz bröckelte, das Treppenhaus voller Schutt lag und das Haus komplett eingestaubt war. Warum schreist du so? fragt er verwundert und ließ dann resigniert den Hammer fallen, weil ich ihm diese Tätigkeit strikt verbat! Nächste Baustelle: Fensterläden streichen. Klingt friedlich und still. Ist es natürlich nicht. Leitern müssen gehalten werden, während Monsieur am Klettergurt in mindestens fünf Metern Höhe schwingt, balanciert und werkelt. Manche Fensterläden mussten, weil sie trotz aller Akrobatik ungünstig zu erreichen sind, auch abgehängt werden. Abseilen ist das passendere Wort. Auch das ging nicht ohne meine Hilfe und Fluchen und gegenseitigem Anraunzen. Wenn Monsieur dann nachmittäglich entspannt ein paar alte Vinyplatten auflegte und dazu in Stillarbeit friedliche Patiencen legte, meckerte ich schon wieder. Wie jetzt? Nicht mal Musik? NEIN! Sie sehen, ich komme nicht weg vom Lärm, dabei wollte ich dieses Mal noch gar nicht darüber schreiben.
Geschrieben haben wir, Christine und ich, so gut es eben ging, so lange die Familie in den Bergen war, ging bekanntermaßen nicht viel und so fuhr ich wieder runter nach Cannes, aber ganz egal wo, wir haben die letzten Monate vor allem drinnen verbracht. Sitzend an unergonomischen Tischen, auf unergonomischen Stühlen, vor dem PC, die Hände auf der Tastatur und den Ellenbogen komisch in der Luft, was zumindest mir eine Art Tennisarm bescherte. Typewriter-Ellbow sagte Dr. D. in Ferndiagnose und bietet eine Kortisonspritze ins Zentrum des Schmerzes an. Noch hoffe ich, dass es auch von alleine wieder besser wird.
Natürlich versuchte ich, wie jedes Jahr, draußen zu schreiben. Ich erinnere mich, in einer frühen Werbung für WLAN oder WIFI, wie das hier heißt, Menschen gesehen zu haben, die mit ihrem Notebook stimmungsvoll und gut gelaunt unter Apfelbäumen saßen und vorgaben zu arbeiten. Werbung natürlich. Also, vielleicht können Sie das, ich kann es nicht. Denn selbst wenn ich Kontrast und Licht auf dem Notebook-Bildschirm auf Anschlag stelle, bleibt der Text blass und schwach sichtbar, es ist anstrengend für Augen und Hirn, und immer verschwindet der Curser im Nichts, das wird nach einer gewissen Zeit so nervig, dass ich es wieder aufgebe und mich seufzend ins Innere des kühlen Hauses begebe, ein Strickjäcken anziehe und den Sommer nur noch am geöffneten Fenster vorbeiziehen sehe. Gottseidank dauert er hier so lange wie es Rudi Carrell mal besang, nämlich von Juni bis September, so dass ich auch jetzt noch Sommer haben könnte, aber heute wie gesagt “éclaircis”, daran hat sich auch um 10 Uhr noch nichts geändert.
Ich habe das in der Sonne sitzen schon einmal probiert dieser Tage, in den Bergen, direkt nach Abgabe des Manuskripts, aber kaum saß ich erwartungsvoll im Gartenstuhl, ausnahmsweise mal wirklich nur umgeben von Geräuschen der Stille, dem Summen und Brummen und Sirren von fliegenden Insekten, dem Zirpen der Zikaden und dem schrillen Pfeifen der Murmeltiere, zogen dicke Wolken auf, Tropfen fielen und ich rannte, um die Wäsche abzuhängen.
So. Zwischenzeitlich habe ich gekocht, wir haben gegessen und kurz zuvor habe ich ein stinkendes Katzenhäufchen aus dem Treppenhaus entfernt. Sie scheint noch etwas verwirrt, die Katze. Eben noch in den Bergen und Aug’ in Auge mit dem Fuchs, jetzt schon wieder in Cannes. Wie soll man sich da noch auskennen? Es ist viel zu heiß und vermutlich ist der Weg über die Mauer bei diesen Temperaturen zu beschwerlich und zum Katzenklo zu lang. Anders kann ich mir das nicht erklären. Das mit dem Fuchs war wirklich aufregend, zumindest für Pepita. Dass irgendetwas nicht stimmte, merkte ich, als Pepita auch nach wiederholter lieblicher Futterdosenschüttelei, ein Mittel, das eigentlich immer funktioniert, um 23 Uhr noch immer nicht zu Hause war (ja, ich weiß, Katzen sind eigentlich nachtaktiv und nachts draußen, aber meine sind dank meiner mütterlichen Fürsorge nachts eher Sesselaffin). Da kriegt mein Mutterherz immer gleich ein angstvolles Rasen, ich sehe in Gedanken Pepita schon tot, vom Wolf oder anderen wilden Tieren zerfetzt. Mit zwei Taschenlampen bewaffnet ging ich zu später Stunde durch das stockfinstere Dorf, die einzige Straßenlaterne wurde von einem Anwohner zerstört, weil sie ihn beim Sternegucken störte. Wir sehen jetzt also die Milchstraße und wundervolle Sternbilder wie Kassiopeia und was weiß ich noch alles, stolpern dabei aber über jeden Stein. Ich leuchtete also die Feldwege ab und rief meine Katze. Irgendwann kam sie angesaust, aber nur um sofort wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Uff! Immerhin lebte sie noch, aber sie wollte einfach nicht mit mir nach Hause laufen. Ich begriff es erst, als ich beim Herumleuchten das rötliche Tier hinter dem Vorderreifen des Autos entdeckte: der Fuchs! Direkt vor dem Haus! Glücklicherweise hatte er vor mir mehr Angst als ich vor ihm und er verschwand alsbald lautlos und Pepita konnte jetzt auch endlich zisch ins Haus sausen. Ohne zu fressen, hoch ins Zimmer und auf den Sessel. Dort blieb sie zwei Tage, ohne sich zu rühren. Nach all diesen überstandenen Abenteuern ist Cannes ja gähnend langweilig. Deswegen wird hier auch nur noch geschlafen.
15.30 Uhr kleiner Ausflug auf den Antikmarkt, nur mal so, Monsieur ist dort Stammkunde für alte Bücher und fand natürlich zwei wunderbare alte Schätzchen. Ich hingegen habe mir nur die Füße in meinen Sommersandalen wundgelaufen, die ich vermutlich zum dritten Mal in diesem Jahr trug. Ich sollte aufhören, irgendwas für den Sommer zu kaufen, ich komme eh’ nirgends hin und trage monatelang ganztägig nur Nachthemd. Es ist in der Zwischenzeit dann jetzt doch sonnig geworden und immer noch erschöpfende 29 Grad warm, aber mittags und abends gehe ich ungern an den Strand: zu heiß, zu voll, zu laut. Man ist ja dann doch etwas verwöhnt mit dem Meer vor der Haustür. Badeanzüge habe ich übrigens auch gekauft dieses Jahr. Zwei sogar. Nach diversen Versuchen, Sie erinnern sich vielleicht, bleibe ich bei Seafolly und dem Modell Goddess, dem ich allerdings jedes Mal die Polster aus dem Oberteil fummele. Ich hoffe, sie kommen dann auch noch zum Einsatz, die Badeanzüge, meine ich. Und nein, an dieser Stelle kein Kommentar zum Burkiniverbot in Cannes.
18.04 Uhr. Das komische Geräusch in der Küche ist eine riesige afrikanische Heuschrecke, die sich durch den Lorbeerblattvorrat auf dem Kühlschrank frisst. Ich staune. Ich kann eigentlich alles mögliche Gewürm und Getier anfassen seit meiner Bauernhofzeit, aber hier habe ich Hemmungen. Jetzt habe ich sie mit einem Teil des Lorbeerblattvorrats über die Mauer in den Park geworfen.
So: Die Pflanzen im Vorgarten und im Hof werden gegossen, dann vielleicht noch ein bisschen in halb-alten Zeitungen gelesen, mein gerade begonnenes Probe-Abo einer deutschen Sonntagszeitung stapelte sich nämlich seit drei Wochen hier in Cannes. Später gibt es dann meine montägliche Lieblings-trash-Sendung L’amour est dans le pré, auf die ich ja auch drei Wochen lang verzichtet habe, live streaming gibt es zwar, aber dafür ist unser Berg-Internet-Anschluss zu schwach.
So, jetzt wissen Sie in etwa, was ich im Sommer und heute so gemacht habe, und weil heute außerdem der 5. ist und weil Frau Brüllen mit ihrer allmonatlichen Frage WMDEDGT dran ist, verlinke ich dorthin!