Mimosen im Regen

Ja, so gehts. Eben noch strahlender Sonnenschein, heute dann Regen. Der Zeitungsausträger war wohl auch überrascht, denn unsere Tageszeitung, die bei Ankündigung von geringster Feuchtigkeit eigentlich in ein Tütchen verpackt wird, lag ungeschützt im Garten und ist entsprechend durchnässt. Im Hintergrund sehen Sie etwas unscharf Monsieur mit Schirm, sowie den schon zartgelb scheinenden Mimosenbaum, es braucht nur noch ein, zwei sonnige Tage und dann gehts los mit der Mimosenblüte.

Hier und da blüht sie schon. Unsere Mimose ist nicht die allererste, aber immerhin unter den frühblühenden Sorten. Was wir allerdings dieses Jahr nicht haben, sind Orangen. Also der Baum hängt durchaus voll mit kleinen Früchten, nur sind sie noch lange nicht reif, wie sie es eigentlich sein sollten und auch bisher all die Jahre waren, nein, derzeit sind die Orangen noch grüne Bällchen. Wir vermuten, dass der Mimosenbaum und ein anderer Baum im Garten, Pittosporum für die mitlesende Gartenfraktion, “Klebsamen” ist der deutsche Name, und genau das tun sie, die Dinger kleben ganzjährig an den Schuhen fest; der Pittosporum ist gemeinhin ein Busch, unserer aber hat sich zu einem ausgewachsenen Baum gemausert, und nimmt, wie gesagt, zusammen mit der Mimose dem Orangenbaum Sonne und vielleicht auch Wasser weg. Mal sehen, wo ich dieses Jahr Orangen herbekomme, um meine Marmelade zu kochen.

Die allgemeine Aufregung um das neue Parlament von Präsident Macron legt sich langsam wieder – sehr schön hat es auch dieses Mal Nils Minkmar ausgedrückt: “Es war, als hätte man eine Dose Tennisbälle in das Gehege gelangweilter Waschbären gekippt.” Ich bin absolut entzückt über dieses Bild, wie kommt man auf sowas, frage ich mich, denn ja, es ist vollkommen passend! Den Link haben Sie vielleicht schon beim deutlich reaktiveren und in der Regel täglich bloggenden Herrn Buddenbohm gelesen, vielleicht haben Sie den Newsletter von Herrn Minkmar auch abonniert, das ist sicherlich eine gute Entscheidung, wenn Sie die deutsch-französische Szenerie interessiert. Ich kann immerhin noch etwas ergänzen, denn Rachida Dati, unter Sarkozy kurze Zeit Justizministerin, verhaspelte sich seinerzeit mit dem Wort Inflation und sprach von einer gegen Null gehenden Fellation. Haha, großer Skandal. Aber sie versank nicht vor Scham im Boden, sondern lachte souverän sämtliche Fragen “Ja, was denn nun, Frau Dati, Fellation oder Inflation?” mit einem “Na, beides!” weg.

Dass die Tochter marokkanischer Einwanderer es bis nach ganz oben geschafft hat, gefällt nicht allen. “Hat die überhaupt schon ein Buch gelesen?”, wird gehässig gefragt. Außerdem hätte sie gefälligst links zu sein, Einwanderer und Kultur will man links besetzt sehen, wie kann sie rechts sein? Und dann noch unter Sarkozy? Nun, man wird sehen, was sie machen wird. On verra.

Ich habe Crème Caramel gemacht. Mein absolutes Lieblingsdessert, ich weiß gar nicht, warum ich es nicht öfter mache – doch, ich weiß es natürlich schon, es ist nichts für mal eben schnell, es muss lange vor dem Genuss zubereitet werden, am besten am Vorabend, es muss lange bei niedriger Temperatur im Wasserbad köcheln, danach lange kühl stehen, und man muss den Karamell dafür selbst machen, eigentlich alles nicht schwierig, und dann irgendwie doch. Aber es lohnt sich. Ich habe es immerhin schon so oft gemacht, dass ich mein Rezept aus zwei Rezepten zusammengestellt habe. Aus dem hier nämlich und dem hier. Sehr nett liest sich auch dieses Rezept von Aurélie Bastien für “umgekippten Vanillepudding” (Crème renversé heißt die Crème nämlich auch, weil man den Flan am Ende stürzt). Ich nahm einen halben Liter Milch, drei Eier, etwas mehr Zucker als alle anderen, Vanilleextrakt, und ich habe die Puddingform mit Butter ausgerieben, dann wird der hineingegossene Karamell nämlich etwas cremig und schmeckt wie Werthers Echte. Délicieux! Außerdem habe ich es eine Stunde bei nur 140°C im Wasserbad köcheln lassen (das muss man mit seinem Backofen austesten), sonst bekommt der Flan Löcher und die löchrige Konsistenz stört erheblich beim Genuss. Doch doch, man wird anspruchsvoll in diesem Land.

Einen Filmtipp wollte ich noch loswerden. Falls Sie bei Schnee und Glatteis lange nicht raus können, lohnt sich die vierteilige Serie über Magellans Weltreise auf arte. Spannend, gut gemacht und sehenswert! Und die ganze Reise wurde nur wegen der Gewürznelken gemacht! Unglaublich!

à bientôt! Schönen Abend!

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12 von 12 im Januar 2024

Heute ist der 12. Sie wissen schon, was das bedeutet: wir veröffentlichen 12 Bilder von unserem Tag. Los gehts.

Das Grau hat ein Ende. Die Sonne scheint wieder. Blick aus dem Fenster mit morgendlichem Berufsverkehr.

In der Küche (ohne Morgensonne im Winter) hat Monsieur schon Geschirr gespült.

Den Vormittag verbringe ich am PC. Erst suche ich einen neuen Stromanbieter und schließe einen Vertrag ab. Dann glätte und bearbeite ich ein wenig einen Lebenslauf und Anschreiben eines französischen Freundes, der zurück nach Deutschland geht und sich dort mit der Handwerkskammer herumschlägt. In Frankreich hat er selbstständig als Installateur und Elektriker gearbeitet, das möchte er in Deutschland auch machen, seine Art der Ausbildung (vor allem der fehlende Meisterbrief, so etwas gibt es hier gar nicht) stehen ihm da im Weg.

Es ist schon fast halb eins, als ich fertig bin, Monsieur tigert schon nervös und hungrig durch die Wohnung und deckt demonstrativ den Tisch. Das Mittagessen muss schnell gehen. Ich haue zwei Stück feines Rindersteak in die Pfanne (l’onglet, falls Sie es genauer wissen möchten) und dazu gibts das restliche Kartoffel-Maronenpüree von gestern. Käse. Ein Fertigdessert. Basta. Ein wenig schönes Foto vom hungrig hinuntergeschlungen Mittagessen. Ein Beitrag für den Hashtag #fürmehrrealitätiminternet.

Sie bekommen als Zugabe ein Foto von Monsieurs Serviettenring. Er ist zur klassischen Stoffserviette zurückgekehrt. Und nein, wir haben keinen Serviettenring für Madame.

Mittagsroutine: Sieste. Kann aber nicht einschlafen, mir geht zu viel im Kopf herum. Außerdem scheint die Sonne so stark, dass die Wohnung total hell ist. Ich merke aber erst, dass es die Sonne ist, als ich vergeblich versuche, das Licht auszuschalten.

Wir gehen raus. Monsieur will eine Ausstellung im Stadtarchiv sehen. Ich will in die Sonne. Machen wir beides. Im Garten blüht es. “Ja, ist denn heut scho’ Ostern”, könnte man fragen, frei nach Franz B.

Unterwegs zum Stadtarchiv mit Blick aufs Meer.

Kleine Ausstellung über die Brüder Seeberger in Cannes, allesamt Fotografen. Sie gelten als die ersten Mode- und Streetstylefotografen. Der verlinkte Artikel stammt jedoch von einer Ausstellung in Deauville (in deutscher Sprache gibt es nicht viel über sie).

Danach gibt es Tee und heiße Schokolade am Boulevard du Midi. Sieht schön aus, aber der kalte Wind tut mir am (unbedeckten) Kopf weh. Lange halte ich es nicht aus und dränge zum Aufbruch.

Zum Abendessen gibt es ein sahnig-sämiges Kürbissüppchen. Und dann sehen wir die restlichen Folgen der australischen Serie Mystery Road, die wir gestern angefangen haben zu sehen.

Danke fürs Anschauen und Lesen! Die anderen 12von12er wie immer bei Caro von Draußen nur Kännchen.

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Ein paar Links am Dienstag

Hier ein paar Neuigkeiten (nicht nur) aus Frankreich: die Ministerpräsidentin Elisabeth Borne musste gehen. “Borne out” titelt Annika Jöres in der ZEIT dazu.

Ok, Franz Beckenbauer, “ja, ist denn heut scho’ Weihnachten” ist tot. Das muss ich Ihnen nicht verlinken, ich lese jetzt viel über seine “Skandale”, von denen ich nicht viel mitbekommen habe, aber ich glaube, gemessen an den heutigen Fußballern, die sich in Dubai, wo sonst, gerne mal ein vergoldetes Steak servieren lassen (Franck Ribéry im Video), war er grundsolide. Ich interessiere mich nicht besonders für Fußball, aber mir fehlen diese schlecht angezogenen und schlecht frisierten (erinnern Sie sich noch an die Dauerwellen-Mode?), aber motivierten Fußballer meiner Kindheit: Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, Gert Müller – alle schon gestorben. Tatsächlich habe ich (mit meinen fünfzig Pfennig Taschengeld!) seinerzeit Kaugummi zum überteuerten Preis an der Tankstelle gekauft, weil da Fußballerbildchen drin waren! Kann sich daran noch jemand erinnern?

Schon lange plane ich, einen Beitrag über das, was ich gerne gelesen habe, zu machen. Es scheitert daran, dass ich die Bücher, die ich gerne zeigen möchte, immer gerade nicht da habe, wo ich bin – und so dümpelt der Artikel herum und wer weiß, ob er je veröffentlicht wird. Hier aber ein Link zu Nils Minkmar, dessen Newsletter, immer mit einem deutsch-französischen Blick, ich seit kurzem abonniert habe. Gefunden habe ich den Newsletter via Herrn Buddenbohm, wie könnte es anders sein. Herrn Minkmar und seinen deutsch-französischen Blick, er sei für die Deutschen ein undisziplinierter Franzose, für die Franzosen aber ein pedantischer Deutscher, wie er anlässlich eines Vortrags beim CCFA in Nizza erzählte, schätze ich sehr! Falls Sie etwas zum Film Napoléon wissen wollen, dann lesen Sie hier (dies war auch der Beitrag, der bei Herrn Buddenbohm verlinkt war, nur damit Sie nicht zweimal dasselbe lesen).

So viel für heute.

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Sonntag

Monsieur hat vom Markt etwas Frühling mitgebracht, nein, keine Tulpen, keine Mimosen auch keine Anemomen, aber Radieschen! Und Artischocken, und frischen Fisch! Ich hatte zwar gestern erst Dorade, sie war auch ziemlich lecker, aber frischer Fisch vom Fischmarkt, heute früh gefangen, “er hat sich noch bewegt” sagte Monsieur, ist doch noch mal etwas anderes.

Wir essen heute mittag die Dorade, das ist der grummelig schauende Fisch im Vordergrund, (sie hatte sich vermutlich auch nicht vorgestellt, heute schon bei uns auf dem Teller zu enden, es tut mir leid), den kleinen Thunfisch (eigentlich ein Bonito) schneiden wir in dicke Scheiben und frieren ihn ein. Und jedes Mal seufze ich, denn keine Katze maunzt jämmerlich nach dem Fisch, keine Katze knabbert leidenschaftlich eine Fischgräte ab. Sie fehlt immer wieder die Katze.

Die Dorade mache ich in einer Papillote aus Backpapier, ihren Bauch fülle ich mit Zitrone, frischem Thymian, Petersilie und etwas Rosmarin, ein bisschen Salz und Pfeffer, anschließend wird sie mit dem sehr französischen filet de l’huile d’olives begossen (ein “Schuss Öl” hört sich längst nicht so genießerisch an),

und dann kommt die Dorade etwa 20 Minuten in den Ofen. Nach zehn Minuten drehe ich sie herum, werfe schon einmal einen Blick in die Papillote und dann entscheide ich, dass es etwas weniger als zwanzig Minuten werden. That’s it. Sehr einfach und sehr lecker! Dazu gabs feinen Reis aus der Camargue mit etwas Kurkuma schön gelb gekocht.

Nachmittags waren wir im Kino. Im noch ziemlich neuen Cineum von Cannes, ein nicht uninteressantes Gebäude von außen, von Innen echt ein Graus. Nicht nur, dass es unübersichtlich und schlecht konzipiert ist, es sieht aus wie eine Mischung aus U-Bahn-Haltestelle und nächtlichem Alptraum-Szenario.

Aber die Säle sind groß, die Sitze bequem, man hat viel Beinfreiheit und die Technik ist top. Wir haben die Vorpremiere eines Films über den Maler Pierre Bonnard und seine Frau Marthe gesehen. Der Film heißt in der Tat: Bonnard, Pierre et Marthe. Es gibt im Nachbarort le Cannet, der zwar mit Cannes so zusammengewachsen ist, dass man es optisch kaum noch wahrnimmt, aber eine eigenständige Gemeinde ist, das Bonnard Museum. Kleines, feines Museum, das in Zusammenarbeit mit dem Musée d’Orsay in Paris immer wieder neue Ausstellungen konzipiert. Die Ausstellungen ändern sich, der Stil bleibt derselbe, vieles hat man im Laufe der Zeit auch schon gesehen. Es wundert mich (gerade überprüft), dass ich noch nie über eine Ausstellung geschrieben habe, dabei habe ich schon viele gesehen. Es gibt in Le Cannet sogar einen Spazierweg zu den Orten, an denen Bonnard gelebt und gemalt hat. Le Cannet ist überhaupt ein nettes kleines Städtchen mit einer niedlichen Altstadt(straße), in der es ein paar hübsche kleine Kunsthandwerkerlädchen gibt.

Fazit: Sehr sehenswerter Film mit einer tollen Cécile de France in der Rolle der Marthe Bonnard. Nach dem Film erzählte uns die Direktorin des Bonnard Museums noch einiges zu den Hintergründen. Die nächste Bonnard Ausstellung werde ich mit anderen Augen ansehen!

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Im Januar am Meer

Vor zwei Tagen habe ich mir den Rücken gezerrt und konnte mich kaum noch bewegen. Ich lief stöhnend und wie ein Klappmesser gebeugt herum und fühlte mich sehr alt. Wärmflasche, Bett, Schmerzmittel. Nicht so heiter. Gestern erreichte ich dann den Physiotherapeuten, kinésitherapeute heißt das hier, abgekürzt kiné (sprich: kineeh), für den Fall, dass Sie das mal brauchen und dann nicht, wie ich anfangs, glauben, es handele sich um einen Chinesen. Mein kiné ist ein älterer Herr, der aber immer noch praktiziert, in einer allerdings etwas heruntergekommenen Praxis. Wenn ich ihn nicht kennen würde (ein Schulfreund von Monsieur) fände ich das alles nicht vertrauenerweckend. Die Praxen insbesondere älterer Ärzt*innen und anderer im Gesundheitswesen Arbeitender sehen hier oft aus wie angegammelte Wohnzimmer oder erinnern an spartanische Klosterzellen. Anyway, der kiné hat heilende Hände und die Situation erinnerte mich lustigerweise an den Anfang des Films “Iris et les hommes”, bei dem die Zahnärztin sich von ihrem kiné wieder einrenken lässt. Um sie zu entspannen und abzulenken, während er ihre verrenkten Wirbel manipuliert, stellt er sehr persönliche Fragen. Mein kiné stellt persönliche Fragen, kurz bevor er mir auf die schmerzenden Stellen drückt. Die Technik ist wohl, so vertrauensvoll rüberzukommen und weiterhin persönliche Fragen zu stellen, so dass ich mich trotz allem wieder entspanne.

Nun gut, den restlichen Tag verbrachte ich im Bett. Repos! Ausruhen, hatte er mir streng verordnet. Ich war auch irgendwie k.o. und der Rücken tat eher mehr weh als weniger.

Heute aber ist es erstaunlicherweise besser, nicht ganz gut, aber besser, ich kann aufrecht stehen und gehen und mich fast normal hinsetzen. Das Wetter ist auch besser. Gestern schüttetet es den ganzen Tag wie aus Kübeln. Wir beschlossen, mittags am Strand essen zu gehen.

Und siehe da, zwischen 12 und 13 Uhr war es kurze Zeit so sonnig und warm, dass wir nicht nur auf der Terrasse des kleinen Restaurants essen können, sondern sogar die Jacken ausziehen. Im Januar! Das ist jedes Jahr aufs Neue geradezu ein Wunder für mich und absolut beglückend!

Das Meer ist spiegelglatt und ein paar Stand-up-Paddler gleiten vorbei.

Das will ich dieses Jahr lernen! Trotz Rücken und Knie und Alter. Ich will das schon lange lernen, aber erst kamen mir die “jiblets” dazwischen (ein Phantasie-Wort von Stasia), meint kritische Stimmen, die immer so gemeines Zeug zischen, wenn unser vorwitziges Ich sich einen Schritt “zu weit” vorwagt. “Mach dich nicht lächerlich” zum Beispiel. “In deinem Alter!” “Denk an deine Knie!” “Du wirst nur ständig ins Wasser fallen!” Dann tatsächlich die kaputten Knie, denn, was wenn ich falle und mir zusätzlich weh tue? Aber jetzt, und nicht zuletzt dank meines kleinen Jahresanfangs-Workshops, verbanne ich die fiesen Stimmen ins Off. Ich will Stand-up-Paddeln lernen! Yes!

Heute ist auch Dreikönigstag und man müsste traditionell eigentlich den Dreikönigskuchen, la Galette des Rois essen. Das haben wir heute allerdings versäumt. Hier immerhin ein aktueller Beitrag inklusive Rezepte bei Hilke von Mein Frankreich. Aber man kann la galette noch während des ganzen Januar essen, genau wie man sich auch den ganzen Januar noch ein frohes neues Jahr wünschen darf!

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Heiter bis wolkig am Meer

Jeden Tag etwas Heiteres tun oder fühlen – zumindest versuchen will ich es. Das Wetter ist wie die Überschrift, aber raus kann man ja trotzdem gehen. Ans Meer vorzugsweise. Wir waren dort um die Mittagszeit, aber das Gegenlicht macht daraus eine eher abendliche Stimmung.

Im letzten Herbst wurde in Cannes ein kleiner Skatepark eröffnet, den ich mir gerne ansehen wollte. Er liegt am unteren Ende der Strandpromenade, ist nett, aber wirklich klein. Er wurde heute von eher jungen Jungs genutzt, die mit Tretrollern herumsausten.

Nach einer Stunde waren wir durchgeweht und ausgekühlt, obwohl es zweistellige Temperaturen hatte. Schnell nach Hause, warmen Tee trinken und ein letztes Stück Christstollen essen.

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Heiter bis wolkig

Einfach anfangen. Hier liegen ja immer noch ein paar halbfertige lange Texte auf Halde, mit seinerzeit aktuellem Bezug, die ich alle nur noch ein bisschen abhängen lassen wollte, um zu sehen, ob meine kritisch-flapsigen Töne mich am Folgetag noch überzeugen würden, und dann war am Folgetag schon wieder alles anders oder keine Zeit oder was weiß ich. Jetzt sind diese Texte irgendwie hinfällig.

Und jetzt ist es schon da, das neues Jahr. Was tun, um nicht von Schwermut und Verzweiflung erdrückt zu werden? Ich suche mir ein Jahresmotto, das “Wort des Jahres”. Keine Vorsätze, sondern eine Haltung. Wie möchte ich sein in diesem Jahr? Was brauche ich in diesem Jahr? Wie soll dieses Jahr für mich werden? Das expandiert in den einschlägigen Kreisen, ich bin immer noch treuer Fan des zweiwöchigen Workshops bei Stasia. Und hier noch einmal Stasia über die Art, wie man das Wort des Jahres sichtbar (durchs Jahr) “trägt”. Das erste “Wort des Jahres”, das ich je gewählt habe, war Liebe, es war auch mal Ease, nachzulesen hier. Ich habe seit etwa sieben Jahren jedes Jahr ein “Wort des Jahres”, auch wenn ich nicht immer und schon gar nicht immer amüsant darüber schreibe. Letztes Jahr war es Vertrauen. Vertrauen als Bollwerk gegen die Ängste. Dieses Jahr wird es vermutlich Heiterkeit. Klingt, als ich anfangs darauf herumkaue, etwas nunuche (sprich: nühnüsch), wie man hier für einfältig oder dümmlich sagt.

Aber wussten Sie, dass Heiterkeit im Buddhismus ein Merkmal der Erleuchtung ist? Da kommt einem dieses harmlose Wort plötzlich sehr gewichtig vor. Lesen Sie mal hier, wenn Sie mögen. Dass als Antonym, also als Gegenteil von Heiterkeit, die Schwermut aufgeführt wird, ein Gefühl, das mich schnell befällt, hat mich dann doch sehr auf die Seite der Heiterkeit gezogen. Ich tue aktiv etwas gegen die Schwermut, ich suche und lasse die Heiterkeit in mein Leben.

Ich wollte am ersten Tag im neuen Jahr wenigstens einmal laut lachen und bin ins Kino gegangen. Iris et les hommes wird vermutlich nicht vom deutschen Filmverleih erworben werden, dafür ist der Film, nach einem sehr amüsanten Beginn, ein wenig zu leer und hat außerdem ein banales Ende. Aber ich habe dennoch gelacht. Zweck erfüllt.

Worüber ich mich auch amüsiere, eine Weile schon, ist das Magierduo Siegfried und Joy. Ihre Art, Menschen auftauchen oder verschwinden zu lassen, ist so wenig magisch wie clownesk und die vielen kleinen und großen NachahmerInnen, die bei Instagram verlinkt werden, sind auch herzallerliebst.

Kann das helfen, die Weltlage zu ertragen? Das werden wir sehen.

Es hilft mir heute auf jeden Fall schonmal, dass ich bei den diversen Abos, die ich kündigen will, und die mich in ihrer Absurdität des Prozederes, eigentlich schreien lassen wollen, nur kurz schnaufe, alles wegklicke, den PC neu starte und hoffe, dass es später vielleicht doch geht: Um den Streamingdienst Canal+ Serien, über den Internetanbieter free für ein Jahr kostenlos erworben (vollkommen sinnlos, nicht eine einzige Serie gesehen), zu kündigen, muss man sich zunächst bei free einwählen (ich hoffe, Sie haben ihr Login und das Passwort gespeichert), dort auf “Fernsehen” klicken, die Serien von Canal+ anklicken und dann werden Sie gebeten, zwecks Änderung des Abonnements sich nun bei Canal+ im “espace privée” einzuklicken. Das hätte man auch direkt machen können, aber dafür brauchen wir das Passwort von Canal+, das wir leider nicht eingespeichert haben und an das wir uns ums Verrecken auch nicht erinnern können. Ich dachte via free könnte man das umgehen. Nix is. Ich teste mal alle Variationen der möglichen für “banale-Seiten-gewählten-Passwörter” durch. Keines funktioniert. Passwort vergessen also, neues Passwort anfordern. Ich bekomme zwar einen Link geschickt, der führt aber ins Leere. Ich versuche es mehrfach, in der Zwischenzeit ist die Seite bei Canal+, wo ich versuche ein Passwort einzugeben, erloschen. WTF. Warum muss man das 2024 immer noch erleben? Wieviel Lebenszeit geht mit diesem Mist verloren? Kein Mensch will mehr solche Szenarien lesen, sehen oder erleben. Nie wieder ein kostenloses Probeabo, schwöre ich mir. Einatmen, ausatmen, ich werde erstmal einen heiteren Text darüber schreiben und es später noch einmal versuchen.

Ich will auch versuchen, häufiger zu schreiben, kürzere Texte über kleinere Begebenheiten aus dem französischen Alltag. Heitere Grundstimmung. Was man sich eben so vornimmt am Anfang des Jahres. Wird das reichen? Auch das werden wir sehen.

Ein gutes, friedliches (zumindest im privaten Bereich, auf die Weltlage haben wir vermutlich alle keinen Einfluss), möglichst gesundes und heiteres Jahr 2024 wünsche ich Ihnen und uns allen!

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Weihnachtsmarkt im Bergdorf: L’important c’est d’aimer!

Gestern vor dem Einschlafen war mir ein amüsanter Titel für den Bericht über den immergleichen Weihnachtsmarkt im Bergdorf eingefallen, zweizeilig wäre er geworden, das weiß ich noch, aber leider erinnere ich mich heute an gar nichts mehr. “Alle Jahre wieder” hatten wir letztes Jahr, “Baby it’s cold outside” wurde im anderen Zusammenhang auch schon verwendet. “Sozialkater” möchte ich ihn nicht nennen, obwohl es sich bei mir nach ein paar intensiven Dorftagen, an denen ich mich, nicht nur gefühlt, ununterbrochen mit vielen Menschen über immer wieder dieselben Dinge austauschen muss, so anfühlt. Es ist mir zum Beispiel unbegreiflich, dass wir jedes Jahr aufs Neue versuchen, die Zelte irgendwie anders zu stellen und darüber auch noch diskutieren müssen. Aber gut. Fangen wir von vorne an.

Wir kamen am Donnerstag an, zur besten Mittagszeit, die Temperaturen im leicht bewölkten Hinterland immer kurz über Null, stellenweise war die Natur von Rauhreif überzuckert, die Straßen feucht, aber nicht gefroren. Auf den Serpentinen zum Dorf hingegen fanden sich an vielen Stelle plattgefahrener Schnee. “Ihr könnt nicht bis zum Haus fahren”, schrieb mir die Freundin mit vielen Ausrufezeichen, und wir könnten auch nicht direkt hinlaufen, “bitte riskiert nichts”, flehte sie mich auf Whatsapp an, das ganze Dorf sei eine Glatteisfläche, es gäbe nur einen kleinen freigeräumten Weg, den wir nehmen könnten. Wir schleppten also die Taschen zickzack durchs Dorf und die Treppen hinauf, stapften durch Schnee und schlugen uns zum Haus durch. Die Freundin hatte direkt vor unserem Haus immerhin Schnee geschippt und sie hatte außerdem geheizt, sodass wir im Haus bereits 14 Grad hatten, als wir ankamen! Mit uns kam zeitgleich der Postbote an, den kenne ich noch aus meiner Zeit von ganz früher, er brachte damals die Post auf den Bauernhof. Wir plauderten, er hatte überraschenderweise Post für mich und natürlich den Postkalender im Angebot, und selbstverständlich kaufte ich ihm einen ab. Den Postkalender zu kaufen, genau wie den Kalender der Feuerwehr, gehört hier zum guten Ton (auch wenn ich zumindest den der Feuerwehr sofort entsorge) man zeigt damit seine Wertschätzung. Der Postkalender ist auch nicht mehr das, was er mal war, ich hänge ihn auch keinesfalls auf, sondern lege ihn in eine Schublade, immerhin ist er eine verlässliche Hilfe bei den Namenstagen, aber einen guten Draht zum Postboten zu haben, ist allemal wichtig und in den Bergen nochmal mehr als in der Stadt.

Ich suchte ein Paar Spikes, die ich Monsieur letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt habe, die schnallte ich an meine Schuhe und kam so von nun an rutschfrei durchs Dorf.

Am Donnerstagnachmittag verpackten wir Plätzchen in Tüten und dekorierten schon einmal die Dinge im ebenerdigen Keller, denen Feuchtigkeit nichts anhaben kann (wir stellten beispielweise die Santons, die provenzalischen Krippefiguren auf), durch den Keller floss nämlich Wasser – der viele Schnee, das Schmelzwasser, was auch immer, ein breiter werdendes Rinnsaal kam uns aus den Tiefen des vollgestellten Kellers entgegen. Wir informierten die Besitzerin, machten Bestandsfotos – wir wollten nicht Schuld sein, wenn dort Gelagertes unbrauchbar geworden ist. Wir nutzten den Keller natürlich trotzdem – es gab keine Alternative.

Zwei Männer versuchten das Eis auf dem Platz aufzuhacken und wegzuschippen. Einer von ihnen maulte, er sähe das gar nicht ein, dass er das machen muss, er habe bereits vor seinem Haus geräumt, basta, außerdem würde es am Freitag sowieso wieder schneien.

Lange Diskussionen, aber wenn ich etwas kapiert habe in all den Jahren, dann, dass das Dorf nur funktioniert, wenn jeder ein bisschen mehr als nur “seins” macht und eine Mitverantwortung für das Dorf übernimmt. Und das vor allem im Winter! Ich hackte dann auch das Eis vor dem Haus eines älteren Nachbarn auf und schaufelte es weg, und als ich gerade aufhören wollte, stand eine alte Dame im Schnee vor mir. Bis hierher kam sie, vor ihrem Haus aber ist es glatt. Sie sei mit ihren Kindern gekommen, sagte sie stolz. Ich murmelte etwas in meinen nichtvorhandene Bart, ob der Kinder, die sie bei diesen Bedingungen nicht mal zum Haus begleiten und den Weg freiräumen wollten, und hackte schnell auch vor ihrem Haus etwas Eis und schippte es zur Seite. Das alles mit der neuen Schneeschaufel übrigens. Es gab nur eine einzige im Baumarkt! Später am Abend backte ich mehrere Fuhren salzige Tarteletts für den Weihnachtsmarkt, die ich dann einfror.

Nachts begann es wieder zu schneien, es schneite auch den ganzen nächsten Tag. Morgens packte ich beherzt die Schneeschaufel und schippte den kleinen Pfad vor dem Haus frei und hatte im Nu nasse Füße. Ich verstand es erst gar nicht, ich hatte doch die Super-Schnee-Schuhe an, die ich noch aus meiner aktiven Berg-Zeit besitze, und die ich kaum getragen habe. Das Plastik aber, ungetragen oder nicht, ist im Laufe der Jahre, in der die Schuhe im Schrank standen, mürbe geworden und brach beim ersten Schritt im Schnee entzwei. Mit klitschnassen Füßen tauchte ich bei der Freundin zum Kürbis- und Gemüseschneiden für 30 Liter zu kochende Suppe auf. Die Freundin steckte mich erstmal in Fellhausschuhe und leiht mir dann warme schneetaugliche Allroundschuhe in meiner Schuhgröße. Ich wüßte echt nicht, was ich ohne sie gemacht hätte!

Nach und nach kamen die die Dorfbewohner fürs Wochenende an. Man begrüßte sich, redete, aber so gut wie keiner gibt und will Küsschen, viele sind erkältet, manche hatten und manche kommen nicht wegen Covid. Es gab gleichmal Diskussionen wegen der vielen großen Hunde, die unangeleint und außer Rand und Band durchs Dorf rannten. Ein großer, sehr süßer, aber sehr ungestümer Hund hat Tendenz, Leute zur Begrüßung anzuspringen. Das mögen nicht alle und bei Glatteis, bei dem sowieso alle herumeiern, ist es nicht so geschickt. Jemand brüllte den Hund an, ein andere gab ihm einen Tritt. Das mochte widerum sein Besitzer nicht. Es wurde laut.

Wir machten noch hunderterlei Dinge, suchten die Waffeleisen für den Waffelstand, die Töpfe für den Glühwein und den heißen Apfelsaft, bereiteten eine Tombola vor, stellten vier Geschenkkörbe zusammen, schrieben Nummern auf Zettelchen, bauten einen kleinen Heizkörper zusammen, der am nächsten Tag den Keller heizen soll (was ihm nicht gelang), stellten Tische im Festsaal, und dort sollte später noch ein Lichterhimmel aufgehängt werden; spätabends backte ich erneut, dieses Mal salzige Muffins und eine letzte Fuhre Tarteletts und stellte fest, dass mir jetzt Eier fehlen. Ich schickte Monsieur zur Freundin. Auf seinem Rückweg zog das Eis auf den Wegen schon wieder an.

Am frühen Morgen des Weihnachtsmarkttages rutschten wir alle wieder mühsam über Glatteis durchs Dorf (nur ich nicht, ich habe Spikes!); die Männer, die sich zusätzlich auf dem Platz zum Helfen einfinden, warfen nun überall Erde und Schotter hin, der Platz sah jetzt dreckig aus, aber immerhin war er nicht mehr glatt. Wir transportierten und dekorierten Süßes und Salziges und auch alles andere. Zwei Ausstellerinnen haben sich bis zu uns durchgekämpft. Mutter und Tochter, sie bieten Honig und Honigprodukte (Honigkuchen, Bonbons, Propolis) und Schmuck an. Wir stellten ihnen ein Zelt auf, ein zweites Zelt bleibt leer, es kommt kein weiterer Aussteller mehr. Also stellten wir selbst einen Tisch auf und verteilten unser Angebot.

Später wurde es wärmer, die Sonne kam sogar heraus, was aber vor allem bedeutete, dass Schnee und Eis nun tauten, und von allen Dächern tropfte, floss und platschte es. Regenrinnen haben in diesem Dorf, genau wie Schneebremsen auf dem Dach, eher Seltenheitswert. Rund um die beiden Zelte platschte es und spritzte. Da man den Musikern wegen der Witterung abgesagt hat, hatten wir nun keine Musik. Jemand stellte uns kurzfristig eine fahrbare Anlage in den Keller, alle fummelten daran herum, aber niemand weiß, wie sie funktioniert, und wir kriegen keinen Ton aus ihr raus.

Die Bürgermeisterin plante erstmals ein Krippenspiel mit den Kindern, brauchte dafür aber Kissen, damit die Kinder in der Kirche auf dem Boden sitzen können. Wir haben große und lose Kissen auf dem Sofa, ich packte sie in große Plastiktüten und stapfte damit zur Kirche. Mit mir stapft noch ein Elektriker dorthin, der sich trotz des Wetters als Nothelfer einfand, denn in der Kirche geht entweder Licht oder Heizung, wenn man beides anschaltet, fliegt die Sicherung raus. Ohne Heizung ist es in der Kirche aber definitiv zu kalt.

Fast alle Dorfbewohner, die zum Weihnachtsmarkt-Event gekommen sind, sind jetzt auf dem Platz, alle plaudern mit allen, begucken die Dinge, die es zu kaufen gibt, kaufen auch das eine oder andere, der Aubergist serviert Kaffee, die ersten Waffeln werden gebacken, kleine Kinder rennen herum und auch die Hunde sind wieder überall, auch in unserem Weihnachtsmarkt-Keller liegt immer ein Hund im Weg herum, nicht alle finden das toll, aber man will auch niemanden vergraulen. Wir Organisatorinnen kaufen alle etwas von den beiden einzigen Ausstellerinnen, denen wir außerdem Glühwein und Waffeln spendieren. Man muss die Damen ja ermutigen, wiederzukommen. Am späten Vormittag kommt wie jedes Mal der als Nikolaus verkleidete Schäfer, verteilt Mandarinen, Kekse und Schokolade an die Kinder, und die, die mögen, und das sind in der Regel alle, dürfen eine Runde auf dem braven Esel drehen.

Wir wärmen derweil die Suppe auf, lassen uns die schweren Töpfe auf den Platz tragen und servieren dort für alle gratis Kürbissuppe. Viele suchen die letzten Sonnenstrahlen in einer Ecke des Platzes, essen, plaudern und trinken Glühwein.

Dann flüstert uns jemand zu, dass im Festsaal zwar der Lichterhimmel angebracht, nicht aber die Tische gedeckt worden seien. Wir sehen uns an und verdrehen ein wenig die Augen. Es ist seit letztem Jahr eigentlich nicht mehr unsere Aufgabe, oder sagen wir, man hat uns letztes Jahr hinauskomplimentiert, es fühlt sich aber anscheinend niemand anders dafür zuständig, wir machen es also zähneknirschend und schweigend trotzdem. Als wir zurückkommen, werden händeringend Kartenspieler für den Belote-Wettbewerb gesucht. Zusätzlich zum Konkurrenz-Markt im großen Nachbardorf gibt es nämlich in einem anderen Dorf eine weitere Konkurrenzveranstaltung: einen großen Belote-Wettbewerb, den viele passionierte Kartenspieler interessanter fanden als unseren. Ich meine, kann man sich in diesen Dörfern, in denen sich alle kennen, auch die Bürgermeister, nicht ein bisschen besser abstimmen? Ich wecke den Gatten aus seiner Sieste und schicke ihn zum Kartenspielen in die Auberge; sie sind dort so wenige, dass am Ende alle etwas gewinnen. Immerhin etwas.

Die Bürgermeisterin sammelt nun die Kinder ein und probt mit ihnen ein Krippenspiel, eine provenzalische Pastorale, das/die abends in der Kirche aufgeführt werden soll; dass die Kinder nach der Probe das Lebkuchenhaus aufessen dürfen, hat dabei einen gewissen Überzeugungsfaktor.

Natürlich sprechen die Kinder die Rollen später nicht, dafür war es viel zu kurzfristig, das tun der Pfarrer, die Bürgermeisterin und eine Freundin von ihr, die Kinder mimen aber ihre Rollen: Der kleine Sohn des Schäfers spielt mit lässiger Größe einen Schäfer, bedauert allerdings, dass er keinen echten Hund mit in die Kirche hat bringen dürfen, zwei Kleine gefallen sich in der Rolle der freundlichen Ochsen und Esel, der kleine schüchterne Joseph muss von seiner Maria immer mal geschubst werden, damit er sich bewegt, und sie bringt dann, sehr zackig, das Jesuskind auf die Welt, in der Provençe, klar.

Es gibt noch ein paar mehr Rollen, darunter der “Ravi”, ein einfacher und naiver Charakter, der sich über alles freut (und der als Santon immer mit freudig erhobenen Armen dargestellt wird)

freudig und sehr stolz gespielt von der (cleveren!) kleinen Tochter der Schäferfamilie – bis hin zu den heiligen drei Königen – und natürlich sind alle Eltern und Großeltern anwesend, machen stolz und gerührt Fotos – durchaus ein kluger Schachzug, um die Kirche voll zu kriegen, und tatsächlich sind dieses Mal ein paar Leute da, die sonst nicht in die Kirche gehen. Wir nehmen also die Weihnachtsgeschichte vorweg und vom Heiligen Nikolaus, obwohl anwesend, spricht keiner mehr. Alles ist anders heute und der Pfarrer erlaubt sogar, dass wir zum Abschluss ein profanes Lied singen: L’important c’est d’aimer von Pascal Obispo, das wir dann durch die Kirche schmettern: Wichtig ist, dass wir lieben!

Hier die Karakoke-Version, falls Sie mitsingen wollen (nicht ganz einfach!)

Und danach gibt es einen geselligen Apéro in der Kirche. Dann schlittern wir zurück, ziehen uns ein bisschen weniger winterlich und weniger warm an, und es geht in den Gemeindesaal für das festliche Abendessen – das der Metzger und Traiteur aus dem “großen” Dorf liefert und serviert. Er konnte wegen des Glatteises natürlich auch nicht mit dem Auto bis zum Festsaal fahren, sodass sie mit seiner Frau und Tochter alles in riesigen Thermosbehältern haben tragen müssen. Das Leben in den Bergen kann, insbesondere im Winter, echt anstrengend sein.

Das Essen ist lecker, die Stimmung ist nett. Die Bürgermeisterin hält eine kleine Rede und dankt uns namentlich für unsere Arbeit und bedauert die Konkurrenzveranstaltungen, die uns Gäste von außerhalb abgezogen haben. Aber alle sind sich einig, es war ein schönes Event, mit dem wir am Ende des Jahres noch einmal die Dorfbewohner versammelt haben. Die Geschenkkörbe werden verlost und der Inhalt gefällt sehr. Wir sitzen an einem Tisch, an dem lustig erzählt wird und man muss uns gegen Mitternacht beinahe rauswerfen. Es regnet natürlich schon wieder, als wir nachhause laufen. Sehr sehr müde falle ich ins Bett.

Am Sonntag sind wir bei den Schäfersleuten zum Essen eingeladen und ich muss nicht kochen, hurrah, (ich backe nur schnell morgens einen Kuchen, denn so macht man das hier – man fragt, ob man etwas mitbringen kann und wenn ja, dann ist es in der Regel das Dessert). Auch dort ist es nett und gesellig und wir kommen satt und müdegequatscht erst am späten Nachmittag zurück – weshalb ich erst spät abends hier zu tippen beginne und dann irgendwann wieder erschöpft ins Bett falle.

Und heute, am Montag, war Aufräumen angesagt! Und auch die Natur räumt auf, es ist unglaublich, es taut wie verrückt, es liegt fast kein Schnee mehr und vor allem ist nirgends mehr Glatteis! Und das Dorf ist leer. Was für ein Kontrast! Gestern war es noch wuselig und laut im Dorf, heute ist es wie ausgestorben. Andere finden das immer deprimierend, mir tut die Stille gut. Ich bin nach solchen intensiven trubeligen Tagen, so euphorisierend es im Moment sein kann, völlig erschöpft und ausgelaugt. “Sozialkater” nenne ich es, denn nach Tagen voller Kontakte fühle ich mich, als habe ich Nächte durchgezecht. Ich verpacke also heute früh alleine und in aller Stille die kleinen Santons und freue mich an ihren nett gezeichneten Gesichtern: was für eine Arbeit! Sie sind alle handgefertigt und handbemalt von einem Santonnier, einem Krippenfigurenhersteller, der seinerzeit als “bester” seiner Zunft ausgezeichnet wurde. Leider hat er sich zur Ruhe gesetzt; sein Atelier wurde zwar übernommen, der neue Santonnier hat aber nicht mehr diesen feinen Strich, der jeder Figur ein besonderes Aussehen gibt.

Aber schon kommt die Freundin dazu und wir entfernen nun zügig die weihnachtliche Deko, sämtliche Girlanden und Lichterketten und auch die weihnachtlichen Duschvorhänge. Nur der Baum auf dem Platz bleibt, und der Schneemann an der Tür darf auch hängenbleiben bis zum nächsten Jahr! Die beiden anderen Schneemann-Duschvorhänge, die wir eigentlich noch hatten, sind übrigens verschwunden, bevor sie dekoriert werden konnten. Die Freundin zweifelt schon an ihrer Wahrnehmung. “Wir hatten doch drei?” Fragt sie mich. Ja, wir hatten definitiv drei davon, ich erinnere mich gut. Ich bin durchaus nicht traurig, dass wir nur noch einen haben, kann mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie jemand geklaut haben sollte. Und nein, ICH habe sie nicht verschwinden lassen, ich schwöre!

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Wmdedgt Dezember 2023

Heute ist der 5. des Monats, Eingeweihte wissen es schon, Tagebuchbloggen ist angesagt: Wmdedgt, kurz für “Was machst du eigentlich den ganzen Tag” fragt Frau Brüllen jeden Monat wieder.

Gegen halb acht wache ich auf. Es regnet wohl nicht mehr. Der rauschende Autoverkehr, den ich hinter den geschlossenen Fenstern und Fensterläden wahrnehme, hört sich nach trockener Straße an. Es hat mehrere Tage geregnet. Im Bergdorf hingegen geschneit und der Schnee blieb liegen. Alles ist seither ungewiss. Für Donnerstag und Freitag wird dort nämlich erneut Schnee angekündigt. Werden wir den Weihnachtsmarkt absagen oder nicht, wurde gestern lange diskutiert. Ich suche im Handy nach einer neuen Information dazu. Nichts. Ich blättere die aktuelle Lage durch, lese dann aber zwei völlig unaktuelle Texte, Gaza kann ich mir noch nicht antun.

Monsieur öffnet energisch die Fensterläden (Sonne, hellblauer Himmel) und sagt, wir müssen HEUTE den Waschbeckenunterschrank und dies und das für das Bad der Baustelle in den Bergen kaufen, da der Installateur von dort oben uns bis eben nichts vorgeschlagen hat. Ich stehe auf und suche noch vor dem Kaffee die dazu geschriebenen Mails und Angebote in der Hängeregistratur. Habe ich schon einmal darüber geklagt, dass die Ablage in Frankreich vollkommen anders funktioniert? Die Ordner werden anders organisiert und anders eingehängt, mit dem Schild an der hinteren Pappe, das heißt, der Hänge-Ordner öffnet sich nach vorne, das Aktuelle wird dann aber hinten eingeordnet. Ich kann mich an dieses System nicht mehr gewöhnen und finde nie etwas, und muss, wann immer ich etwas suche, den ganzen Ordner rausnehmen und durchsuchen. Ich finde die Mail mit dem Angebot dennoch nicht und suche sie jetzt im PC und drucke sie aus. Wir diskutieren über dies und das. Was wollen wir? Wo gehen wir hin und warum. Nebenbei trinke ich einen Kaffee und esse ein Stück Rührkuchen.

Dann gehe ich ins Bad. Um halb zehn sind wir bereit, als eine dringende Mail mit einem angehängten Video eintrifft: Wasser dort, wo es nicht sein soll, in der Küche bei einem Mieter. Im alten Haus, in dem vor zwei Wochen schon ein Keller voller Wasser stand, weil ein Abflussrohr außerhalb des Hauses (das Stück unter dem Trottoir, das zur Kanalisation führt) kaputt ist. Es wurde zwar kurzfristig behoben, aber das Rohr muss repariert werden. Im Prinzip gibt es ein Gesetz, das besagt, dass Reparationen der Kanalisation außerhalb des Hauses von der Stadt übernommen werden. Davon will die Stadt aber nichts wissen. Wir werden es wohl selbst zahlen, warten aber noch immer auf den Kostenvoranschlag vom Abwasserentsorgungsdienst. Monsieur begibt sich also mal wieder als ersthelfender Laieninstallateur zum Ort des Geschehens.

Ich fange an hier zu tippen und mache mir einen weiteren Kaffee und nasche probehalber zwei Vanillekipferl, die ich gestern für den Weihnachtsmarkt (es ist eigentlich ein Nikolausmarkt, wissen Sie aber schon) gebacken habe. Nach dem ersten missglückten Versuch (mürbe, aber fade), habe ich nun schon zum zweiten Mal Kipferl nach dem Familienrezept meiner Freundin A. gebacken. Herzensdank! Sie wurden sehr lecker! Kleiner Tipp: für Vanillekipferl, die nach Vanille schmecken sollen, nicht mit echter Vanille sparen!

Der Mieter ruft nun aufgeregt an (er spricht kein Französisch, weshalb die Kommunikation meistens über geschriebene Nachrichten oder die Tochter erfolgt). Ich versichere ihm, dass Monsieur schon unterwegs ist, frage mich aber auch, warum er noch nicht da ist. Ich hoffe, es ist nicht gleichzeitig auch irgendwas mit dem Auto. Monsieur hat – aus Gründen – kein Handy. Dass ich ihn nicht erreichen kann, ist manchmal etwas anstrengend, und das, obwohl ich es ja auch noch kenne, ohne Handy und ohne die stets und ständige Rückversicherung zu leben. Mit Anfang zwanzig habe ich zwei Monate in Italien verbracht, meine Eltern genau einmal angerufen, dass ich gut angekommen bin und vermutlich noch ein freundliches Kärtchen geschrieben, dass dann zwei Wochen später ankam. Damit mussten sie klarkommen. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen.

Ich frage die Freundin nach den Neuigkeiten im Dorf, bekomme Fotos von Menschen, die kniehoch im Schnee stehen und Autos freischaufeln. Ich habe gestern via Internet beim Baumarkt und bei einem Gartencenter schon nach einer Schneeschaufel geschaut, das Angebot in Cannes ist verständlicherweise stark reduziert. Eine (überschaubare) Schneeschaufelauswahl wird es nur in den landwirtschaftlichen Cooperativen im höher gelegenen Hinterland geben. Die sind bei Schneefall dann aber auch schnell ausverkauft. Ich werde froh sein, überhaupt etwas zu finden. Die Musik für den Weihnachtsmarkt wurde abgesagt, erfahre ich, und die kleinen Zelte werden erstmal nicht aufgebaut, unter der kommenden Schneelast würden sie zusammenbrechen. Was wir konkret damit machen, sehen wir am Samstag, wird mir geantwortet. Am Samstag! Da findet er schon statt, der Weihnachtsmarkt! Voilà, das ist südfranzösische Spontanität. Bis zum Schluss wissen wir nicht, wie und was wir machen, oder ob wir doch alles ganz anders machen oder nicht. Manchmal macht es mich auch nach über 18 Jahren noch wahnsinnig.

Wie schon in den letzten Tagen, überprüfe ich den Lieferstatus von zwei Bestellungen. Einmal ein riesiges Paket mit viel Dresdner Christstollen und einmal Funktionsunterwäsche für die frierenden Enkelkinder in Lyon. Wird wohl beides nicht rechtzeitig ankommen. Die Christstollenlieferung, obzwar schon lange unterwegs, wurde wohl durch den Schnee irgendwo blockiert und kommt nicht weiter. Ob sie noch vor meiner Abfahrt in die Berge ankommt, ist ungewiss. Das ist doof, ich wollte einen Teil gerne da oben verschenken. Danach werden wir uns in alle Winde zerstreuen und uns erst im nächsten Jahr wiedersehen, bisschen zu spät für Christstollen. Die Funktionsunterwäsche sollte ein Geburtstagsgeschenk für beide Enkelkinder sein, die im kalten Lyon frieren. Der Geburtstag ist morgen, die Eltern werden am Wochenende nach Lyon fahren – aber meine Bestellung harrt noch in den Starlöchern, so wie es aussieht.

Es kommen noch diverse Nachrichten aus dem Bergdorf, auf die ich reagieren muss, unter anderem wird gefragt, ob ich auf dem Weg nach oben Kommissions-Ware von einer Ausstellerin, die am Samstag lieber im “großen” Bergdorf verkaufen will, mitbringen könne. Kann ich, klar. Das zukünftige Prozedere muss mehrfach hin-und hergesendet werden. Immerhin, der Weihnachtsmarkt soll wirklich stattfinden. Ich hatte ihn gestern in Gedanken, und durchaus mit einer gewissen Erleichterung, schon abgehakt. Nun also, erneut Motivation dafür zusammenkratzen.

11.50 Uhr. Ich bereite Essen vor. Ofengemüse, Polenta und ich mariniere uns je eine Scheibe Lammkeule mit Knoblauch und Rosmarin und Olivenöl.

12.20 Uhr. Das Handy ploppt wieder auf. Die Tochter des Wasserschaden-Mieters teilt mir mit, dass Monsieur noch eine Weile bei ihnen bleiben wird, um mit dem richtigen Installateur weiter zu arbeiten. Das immerhin ist ein (neu erworbenes) Zugeständnis von Monsieur, mich über andere informieren zu lassen, da er weiß, dass ich mir ab einer gewissen Zeit doch Sorgen mache, vor allem, wenn er zum Essen nicht rechtzeitg da ist!

Da ich Hunger habe, schiebe ich das Ofengemüse und die Polenta in den Ofen. Das werde ich schonmal braten und dann essen. Später, wenn Monsieur kommt, brate ich ihm das Lammfleisch. Ich decke den Tisch, stelle fest, dass ich kein Brot mehr habe, auch keines mehr im Gefrierschrank. Tant pis, dann eben ohne Brot.

13 Uhr esse ich Ofengemüse (Blumenkohl, Karotten, Lauch) und Polenta. Danach die Hälfte einer überreifen Mango.

Ich tippe hier ein bisschen und will mich dann zur 20 minütigen Verdauungssieste hinlegen. Im Bad sehe ich den Wäscheberg und ich erinnere mich, dass ich dringend Bettwäsche waschen wollte. Wenn die Sonne scheint, kann ich die großen Wäschestücke nämlich draußen trocknen. Drinnen dauert es zu lang. Ich werfe also schnell noch die Wäsche in die Maschine, stelle ein Kurzprogramm an, so dass die Wäsche später wenigstens noch etwas Nachmittagssonne bekommen wird. (Ich könnte mich erneut aufregen über den französischen Supermarkt, wo Nachfüllprodukte teurer verkauft werden als das Produkt in der Originalverpackung. Was soll das? Wer ökologisch denkt und weniger Verpackung will, soll gefälligst mehr zahlen? Es interessiert hier einfach keinen! Ich habe also gestern knurrend wieder eine große Flasche Waschmittel erstanden.)

14 Uhr: Kaum liege ich, kommt Monsieur nach Hause. Er ist erschöpft. Also mache ich ihm erstmal sein Essen warm. Es war nicht das Abflussrohr-Problem, sondern ein anderes. Es ist ein altes Haus. Glücklicherweise hat er einen Installateur gefunden, der bereit war, sofort zu kommen und außerdem seine Mittagspause durchzuarbeiten. Selten in Frankreich.

14.40 Uhr Sieste.

15.37 Uhr. Ich war tatsächlich über die zwanzig Minuten hinaus eingeschlafen. Hänge dann eilig die Wäsche auf den Balkon. Monsieur hat keine Energie mehr, um nach Waschbeckenunterschränken zu schauen, ich gehe also kurz in die Stadt, um das zu machen, was ich eigentlich heute früh schon vorhatte, ein paar Dinge einzukaufen, die ich zu Tetiana in die Ukraine schicken will. Schon beim Gedanken daran bricht mir das Herz. Die Ukraine. Israel. Es ist nicht zum Aushalten.

In der Innenstadt laufe ich nur schnell von A nach B und C und wieder zurück, den Weihnachtsmarkt lasse ich schnöde links liegen, und habe auch keine Muße, die Weihnachtsbeleuchtungen zu fotografieren. Bin am Ende leider nicht so erfolgreich, wie ich gern gewesen wäre und werde das Paket nicht mehr morgen fertig bekommen. Dann also erst nächste Woche. Hoffen wir, dass es dann noch einen Transporteur gibt, der vor Weihnachten hinfährt.

Ich warte lange auf den Bus, kaufe beim Aussteigen beim Bäcker noch ein frisches Brot und bin um 19 Uhr wieder zuhause. Monsieur schaut Nachrichten. Ich bekam eine Mail für eine Textfreigabe, die ich überfliege, deren Kürzungen ich später oder morgen noch einmal genauer ansehen muss. Ich hole die Wäsche wieder vom Balkon, besonders trocken ist sie nicht geworden. Dann koche ich Karotten-Ingwer-Kürbissuppe mit dem Kürbis der auf deutsch “Langer von Neapel” heißt. Hihi. Ausgezeichneter Kürbis! Viel mehr wird heute nicht mehr passieren. Doch, das Handy ploppt gerade noch einmal auf: die Weihnachtsmarkt-Freundin aus den Bergen schickt mir nochmal eine kleine Einkaufsliste mit Dingen, die ich morgen besorgen und am Donnerstag mitbringen soll.

20.40 Uhr: Wir essen Suppe und den Rest des Fleisches von heute Mittag.

Danke fürs Lesen meines Dienstags. Schönen Abend! Die anderen Tagebuchblogger finden Sie wie immer verlässlich bei Frau Brüllen!

ps: gerade bei einer anderen Bloggerin gefunden und mich erinnert: ich habe heute irgendwann auch den heutigen Text in meinem Adventskalender “der andere Advent” gelesen. Aber heute ist das Innehalten dabei nicht so richtig gelungen, deswegen habe ich wohl auch vergessen, es aufzuschreiben.

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Südfrankreich kann sehr kalt sein

Gerade komme ich von zwei unterkühlten Bergtagen halswehkrank zurück an die Küste und freute mich auf eine warme Wohnung, nix is, nach einem langen und ungeklärten Stromausfall nachts und vormittags, springt die eigentlich nagelneue Heizungstherme nicht mehr an. Ich komme also in eine ausgekühlte Wohnung und muss mir gar keine der vielen Kleidungsschichten ausziehen, ich lasse sogar die Mütze auf dem Kopf, und lege mich nach dem Mittagessen komplett angezogen und zuzüglich Wärmflasche ins Bett. Ich habe an der Gastherme, die “spielerisch einfach” zu bedienen ist, wie das Youtube-Tutorial behauptet, alle Knöpfe in jeder beliebigen Reihenfolge schon gedrückt, sie aus- und wieder eingeschaltet, sie springt kurz an, um dann erschöpft wieder runterzufahren. Errror 118. Was immer das bedeutet. Am Samstag könnte jemand kommen, um nach der Therme zu sehen, sagt man dem Gatten am Telefon, da muss ich leider im Hintergrund hörbar losmeckern, was dem Gatten zwar unangenehm ist, aber doch wirkungsvoll – es ist in der Tat besser, wenn ich nicht selbst am Telefon bin, denn meine in diesem Fall eisig-unterkühlte Aggressivität könnte bewirken, dass gleich gar niemand mehr kommt. Das kenne ich schon, ich lasse es also gerne den Gatten höflich aber bestimmt regeln, wenn es dann nicht läuft, meckere ich hörbar im Hintergrund. Da bekommen die Abwimmel-Sekretärinnen Mitleid mit dem Gatten und schicken uns jemanden “schon” für Mittwoch. Ich hätte ja gerne noch dringlich etwas von “fragiler Person eines gewissen Alters” und “ich bin krank” hinzugerufen, aber da hat der Gatte schon aufgelegt. Das mag er ja nicht, wenn ich auf sein Alter und seine gesundheitliche Fragilität anspiele, aber beides ist doch langsam spielentscheidend.

Später ist uns eingefallen, dass wir im Keller noch ein Gasöfchen haben. Ich glaube, diese Art von Ofen gibt es in Deutschland nicht – kann mich da aber auch täuschen; in Deutschland lebte ich (als Erwachsene zumindest) immer in gut mit Heizkörpern ausgestatteten Wohnungen, die mollig warm wurden. Oh, wie ich sie im südfranzösischen Winter vermisse, diese gut isolierten, warmen deutschen Wohnungen. Gut, das ist vielleicht auch eine Illusion, Heizkosten explodieren auch in Deutschland, ich lese vom Frieren in deutschen Dachwohnungen zumindest bei Herrn Buddenbohm. Petroleumöfen gibt es hier auch noch, die sind aber vermutlich wirklich eine sehr französische Sache. Stinken auch sehr, vor allem beim Ausschalten, weshalb man dann lüften muss, und die gerade schön erarbeitete Wärme wieder zum Fenster hinausfliegen lässt. Wenn man hingegen nicht lüftet, besteht immer die Gefahr von Kohlenmonoxydvergiftung. So kamen vor ein paar Jahren ein paar Jugendliche, die in einer Gartenhütte gefeiert und dann neben dem Öfchen geschlafen hatten, ums Leben. Wir haben aber ein Gasöfchen und das schieben wir jetzt vom Wohnzimmer in die Küche und wieder zurück. Ich kann der Wohnung beim Auskühlen zusehen, waren es 17 Grad als ich ankam, sind es jetzt, wo die Sonne weg ist, nur noch 15.

Im Bergdorf waren es am Samstag hingegen 14 Grad indoor, am nächsten Tag schon nur noch 12, und das, obwohl ich den Wohnraum immer mit ordentlichem Feuer im Kaminofen warm gehalten habe. Draußen wurde es natürlich auch immer kälter, und kaum war die Sonne weg, sanken die Temperaturen unter Null. Es erinnert mich an meine Zeit, als ich ganzjährig im Bergdorf gelebt habe, die meiste Zeit draußen war, und abends dann bis auf die Knochen ausgekühlt und kaum noch warm wurde. In dieser Zeit lernte ich immerhin ein ordentliches Feuer zu machen, eine der Fähigkeiten, auf die ich stolz bin. Auf dem Bauernhof räucherte ich seinerzeit noch ziemlich unfähig das ganze Haus ein.

Ich schlafe mit Skiunterwäsche, Mütze, Socken und Bettflasche und sage mir aufmunternd, dass ich es doch eigentlich mag, im Kühlen zu schlafen, aber erstens bin ich entwöhnt, zweitens älter geworden, dann wuselten irgendwelche Viren im Dorf herum, und einer hat sich vorwitzig bis zu mir durchgeschlagen, und aus dem Halsweh wurde eine Erkältung. Ich hoffe, es bleibt dabei und will nicht noch C*** werden.

Warum also mache ich das? Bei sportlicher Kälte im Dorf herumhängen? Weil wir den traditionellen Weihnachtsmarkt vorbereiten, darum! Wir sind die meiste Zeit nur zu zweit, die Vereinspräsidentin des Eichhörnchenvereins und ich, plus der Lebensgefährte der Präsidentin. Er macht die männlich-technischen Dinge: er schlägt drei Weihnachtsbäume und transportiert sie ins Dorf und wir stellen sie gemeinsam auf, er säubert das Dorf von all dem Laub und kümmert sich auch um Elektrizität im alten Gewölbekeller, in dem wir traditionell Glühwein und heiße Schokolade ausschenken, Waffeln backen und wo man sich bei sehr ungemütlichem Wetter ein bisschen aufwärmen kann. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Der Keller gehört nicht uns, sondern wird uns nur freundlicherweise zur Verfügung gestellt, er wird allerdings von der großen Familie, der er gehört, das ganze Jahr über als Abstelldepot genutzt; wir räumen also jedes Jahr aufs Neue den vorderen Teil des Kellers leer und teilen ihn mit Vorhängen, die wir auf sehr abenteuerliche Art vorsichtig anbringen (der Putz bröckelt schon ab, wenn man ihn streng ansieht) vom vollgestopften Depot dahinter ab. Die Vereinspräsidentin hat vor Jahren schon Duschvorhänge im weihnachtlichen Design erstanden, dieses Jahr hat sie unseren Weihnachtsduschvorhangbestand erneut aufgestockt, unter anderem mit drei fröhlich grinsenden übergroßen Schneemännern. Mich macht das fertig. Duschvorhänge schön und gut, sie sind strapazierfähig und können Feuchtigkeit problemlos ab. Geniale Idee eigentlich, aber dieses Design! Und wer kommt eigentlich auf die Idee, sich Schneemänner in die Dusche zu hängen? Gibt es dafür wirklich einen Markt? Unfassbar. Und ja, ich lasse es zu, dass wir mit diesen Duschvorhängen und anderem mir nicht wirklich gefallendem Dekokram arbeiten.

Der Geschmack im französischen Bergdorf ist ein anderer als in der deutschen Großstadt. Und der Geschmack der Vereinspräsidentin ist noch einmal sehr besonders. Die Idee für den Weihnachtsmarkt war zwar ursprünglich meine, im Laufe der Jahre ist es aber ihr Herzensprojekt geworden, und ohne ihren Eifer und ihre Hingabe gäbe es den Markt sicherlich schon nicht mehr, ich mag sie daher weder kritisieren noch in ihrem Elan bremsen, ich versuche nur etwas vorsichtig ordnend einzugreifen. Einen Schneemann an der Tür zum ebenerdigen Keller, kann ich mir vorstellen, er hat sowas Einladendes, mit den ausgebreiteten Armen. Ob die Bürgermeisterin, die es gerne schick haben will, und die beispielsweise die verschrammten bunten Kugeln an den Weihnachtsbäumen nicht mehr erträgt, es jetzt aushält, dass sie auf dem Platz von einem riesigen Schneemann angegrinst wird, ist allerdings fraglich. Aber da muss sie durch, nicht wahr. Wir haben noch zwei weitere Schneemann-Duschvorhänge, wer weiß, wo wir die noch unterbringen.

Wir sind die meiste Zeit zu zweit, das Rauf und Runter von der Leiter und das Gefummel in der Kälte mit Vorhängen, Lichterketten und Draht (draußen muss ja alles zusätzlich mit Draht angebunden werden, damit die Deko Wind und Wetter unbeschadet übersteht) ist anstrengend und ich bin weihnachtsdekomäßig schon gut saturiert, zuhause mache ich dieses Jahr nix, das ist so gut wie sicher! Nur einmal haben wir eine “Art-Direktorin”, die uns mit einem gewissen Hang zur Perfektion anweist, wie wir die Federboa-Girlanden um den Weihnachtsbaum auf dem Platz in möglichst symmetrischen Wellen anbringen sollen. Es sei “viel zu ordentlich” raunt mir später jemand anders auf dem Platz zu. Man kann es wirklich nicht allen Recht machen.

Wir haben schon letztes Wochenende damit angefangen, alte Lichterketten zu sichten und die Deko zu ordnen. Beim Abbauen und Aufräumen wird nämlich in der Regel alles immer nur schnell zackzack in Kisten und riesige Plastiksäcke geworfen und niemand hat Lust, das alles vor dem nächsten Weihnachtsmarkt mal schön zu ordnen. Und ja, wir sind früh dran dieses Jahr, weil wir logistisch noch eine Beerdigung eingeplant haben, von der wir nicht wissen, wann sie sein wird: Die derzeitige Dorfälteste liegt im Sterben. Es geht dem Ende zu, aber es ist ein langer und schwerer und auch schwieriger Abschied. Niemand mag sich ausmalen, dass sie möglicherweise kurz vor dem Weihnachtsmarkt sterben wird, wir müssen es aber mitbedenken. Die Präsidentin und der Lebensgefährte sind davon unmittelbar betroffen, sie tragen schwer daran, die Vorbereitungen des Marktes im Dorf und die Besuche im Pflegeheim in Nizza zu koordinieren. Schon deswegen will ich dieses Mal besonders viel mithelfen, werde auch wieder Plätzchen und am Vortag des Marktes salzige Tartes und Muffins backen. Für das Backen sind wir nur zu dritt. Die anderen Damen des Dorfes, die sich früher engagiert haben, sind entweder zu alt geworden, aus irgendwelchen Gründen gekränkt, oder sie haben sich entschieden im Dezember lieber in die Karibik zu reisen. Es sei ihnen gegönnt.

Ob wir dieses Jahr wieder mehr Publikum haben werden, ist leider auch ungewiss, denn im größeren Nachbardorf ist zeitgleich auch Markt und die Aussteller, die traditionell gerne zu uns kamen, ziehen es nun vor, lieber dorthin zu gehen. Wir tun und machen trotzdem, was wir können.

Die Dorfälteste, die ich gerne als eine kleine energische, strenge, aber auch fröhliche Dame mit blitzenden Augen und roten Apfelbäckchen in Erinnerung behalten werde, hat sich, Weihnachtsmarktlogistisch gesehen, perfekt verabschiedet. Am Sonntagnachmittag haben wir es erfahren. Die Beerdigung wird am kommenden Freitag sein. Adieu Antonia!

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12 von 12 im November 2023

Ich habe lange überlegt, ob ich heute mitmachen werde, ich erinnere mich an all die Fotos auf denen Pepita sonst dabei war. Das Frühstücks-Kaffeetrinken, bei dem sie immer auf meinen Knien lag, zum Beispiel. Das Kaffee-Foto ohne sie ist doof, finde ich. Ich mache es, mag es aber nicht. Hier also der Ihnen schon bekannte Blick aus dem Fenster. Blauester Novemberhimmel.

Spät am Vormittag gehe ich Schwimmen. Die Schranke zum Parkplatz will aber nicht aufgehen. Ich versuche es zweimal, dann suche ich mir einen anderen Parkplatz, sonntags geht das recht problemlos.

Ich nährere mich dem Schwimmbad von einer anderen Seite.

Ich schwimme meine vierzig Minuten mit drei anderen Damen in der Bahn. Wir haben den selben Rhythmus, das klappt ganz gut. Das letzte Mal hatte ich meine Flossen vergessen, das war schrecklich, ich hatte das Gefühl, überhaupt nicht voran zu kommen. Heute, mit den Flossen, bin ich beglückend schnell (naja, in der langsamsten Bahn!). Nach dem Schwimmen ziehe ich meine Kontaktlinsen aus.

Zuhause mache ich ein schnelles Mittagessen mit (teilweise) Resten. Riesiges und leckeres Schweinekotelett (vom Bio-Metzger, ein Genuss!), das wir uns teilen, dazu Rest-Reis mit Speck, Zwiebeln, Kreuzkümmel und Tomate aufgepimpt, und Rest-Kartoffelstampf. Anschließend Käse und eine kleine Apfeltarte (mit einem Rest-Teig), die ich gestern Abend gebacken habe.

Die französische Alternative zum Lüften heißt Papier d’Arménie. Man verbrennt Duft-Papier.

Sieste mit Einschlafmeditation.

Ich kriege nochmal die Erinnerung für die Versammlung gegen Antisemitismus in Nizza. Bis zum Schluss bin ich unentschieden, ob ich nicht doch hinfahren soll.

Hier gibt es ja weder Stolpersteine noch Mahnwachen. Niemand erinnerte sich an die Kristallnacht. Dafür werden in Paris (und anderswo) schon wieder Häuser mit Judensternen markiert und “Für Juden kein Zugang” aufgesprayt (wörtlich: Juifs out und Interdit aux juifs). Über 1250 antisemitische Straftaten gab es seit dem 7. Oktober. Ich fand die Franzosen bislang unangenehm schweigsam diesbezüglich. Über den Aufruf zu einem Marsch “Gegen Antisemitismus” heute Nachmittag in Paris war ich richtiggehend erleichtert. Aber dann begannen die Streitereien. Wenn Marine Le Pen käme, dann käme Melenchon nicht (das war in der Tat so), Präsident Macron kam auch nicht (bedauerlich finde ich), immerhin schrieb er einen offenen Brief. In Nizza hatte der Bürgermeister Christian Estrosi zu einer Veranstaltung für heute morgen aufgerufen. David Lisnard, Bürgermeister von Cannes und Vorsitzender aller französischen Bürgermeister, rief zu einer anderen Veranstaltung auf, allerdings nicht etwa in Cannes, sondern in Nizza vor der Präfektur. Er forderte Estrosi auf, seine Veranstaltung zugunsten der von ihm am Nachmittag organisierten abzusagen. Estrosi lässt sich als Bürgermeister in seiner eigenen Stadt natürlich nichts von dem konservativen Bürgermeister aus Cannes sagen. So gab es also zwei Veranstaltungen in Nizza, heute morgen eine mit Estrosi und heute nachmittag die mit David Lisnard. Mich nervte dieses Gerangel der Platzhirsche und ich ging zu keiner Veranstaltung – in Cannes wäre ich allerdings präsent gewesen und hätte mein Rendezvous mit der Samstags-Nathalie zum Papiere ordnen dafür auch abgesagt. (Foto=Endergebnis!)

Ich sah mir den Marsch in Paris dann im Fernsehen an und war gerührt, dass mehr als 100.000 Personen versammelt waren, die friedlich demonstrierten. Hier ein kleiner Film. (FAZ)

Der Gatte ist vom Bridge zurück und ich koche uns ein Karotten-Ingwer-Kürbis-Süppchen.

Abends schauen wir in der Arte-Mediathek einen großen Klassiker: Die große Freiheit. Habe ich als Kind zum ersten (und letzten) Mal gesehen und hatte mich damals sehr beeindruckt.

Ich konnte mich an Vieles nicht mehr erinnern. Ist immer noch ein toller Film!

So war mein Tag. Vielen Dank fürs Anschauen und Lesen! Jetzt gehe ich ins Bett!

Die anderen 12 von 12er gibts wie immer bei Caro von “Draußen nur Kännchen”. Oh Mann, es sind schon über hundert! Und ich bin die Hundertelfte! Wie hübsch!

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WmdedgT November 2023

Sonntag. Ich wache auf und liege lange im Bett herum, ich genieße es, es ist mollig warm, denn wir haben gestern endlich die Leintuch-Decken-Variante gegen das Übergangsdeckbett getauscht, es ist eine Wohltat, außerdem ist seit gestern die Heizung an; ich denke an das Telefonat, das ich gestern Abend geführt habe (ein Freund aus Göttinger Tagen, stark erkrankt an MS, hat sich assistiert das Leben genommen, ich wusste nicht, dass das in Deutschland jetzt geht), und ich denke an den Film, den ich gestern spät noch gesehen habe (Nyad). Als Pepita noch da war, konnte ich das nicht, lange wach im Bett liegen – sie hörte sofort, wenn ich aufwachte und miaute sogleich neben dem Bett, egal ob Sonntag oder Montag: Hallo! Futter! Wenn ich nicht baldigst aufstand, hüpfte sie ins Bett und quengelte und schnurrte und stapfte auf meinem Bauch herum.

Und schon weine ich ein bisschen. Ich denke den ganzen Tag an sie. Beim Frühstück hüpft sie nicht auf meinen Schoß, beim Mittagessen sitzt kein Kätzchen auf dem Stuhl links von mir und legt das Köpfchen auf den Tisch. Sie läuft auch nicht angelegentlich in die Küche, wenn ich koche, um dann, je nachdem, nach was es roch, jämmerlich bis wild miauend um Fleisch oder Fisch zu betteln, oder, wenn es weniger interessant roch, bei Tomatensoße vielleicht, energisch die Tür des Unterschranks zu bearbeiten, hinter der ihr Futter lagerte. Und auch das zeitlich stets unpassende Geräusch des Schabens und Kratzens im Katzenklo, das durch die ganze Wohnung drang, wenn etwa Monsieur gerade mit einer wichtigen Person telefonierte oder wenn wir mit Gästen zu Tisch saßen: Schrrrbbb, schrrrbbb, schrrrrbbb, dann ein kurzer Moment Stille, gefolgt von noch energischerem Schrrrbbb, schrrrbbb, schrrrrbbb, ist nicht mehr. Ich höre allerdings manchmal Fress- und Schrrrbbb-Phantomgeräusche. Dabei habe ich das Futter verschenkt und das Katzenklo entsorgt. Phantombilder habe ich auch. Aber das dunkle Ding unter dem Couchtisch ist keine zusammengerollte Katze, sondern sind die nachlässig abgestellten Schuhe des Gatten.

Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee, lese im Internet herum und beantworte eine Mail. Dann schaue ich nach den abgetropften Quitten. Ich fürchte, es wird nicht mal zwei Gläser Gelee geben.

Die Sonne scheint wieder (nach mehreren Tagen Regen), aber es ist sehr windig. Am Donnerstag war ich in Nizza, es war grau und das Meer war aufgewühlt wie selten. Es passte zu meiner Stimmung. Schwere See, schwere See, mein Herz klang es in meinem Kopf. Seitdem höre ich wieder alte Alben von Element of Crime. Entdecke das neue Album, verlässlich schwermütig. Und immer wieder Texte mit Katzen. Ist mir vorher nie aufgefallen.

Monsieur aber legt jetzt Moustaki auf, passt stimmungsmäßig auch.

Ich gehe ins Bad, dusche und wasche mir die Haare. Bis ich fertig bin, ist es Zeit zu gehen. Zur Vorpremiere dieses Films mit dem komischen Titel La passion de Dodin Bouffant – es geht ums Kochen und um die Liebe.

So viel wusste ich zumindest vorher. Nun, es ist ein sehr ästhetisch gedrehter Film, ruhig, lang und langsam, es wird viel französisches Essen zubereitet und gegessen, andeutungsweise lieben sich der Schlossherr (Benoît Magimel) und seine Köchin (Juliette Binoche), sie haben über die Jahre eine stille Vertrautheit erreicht (sie waren btw. im echten Leben ein Paar und kochen beide leidenschaftlich gern), und sprechen wenig, die Handlung ist eher nebensächlich. Monsieur musste mehrfach mit einem beherzten Kneifen ins Knie vor dem Einschlafen bewahrt werden. Anschließend gingen wir essen. Klar. Aber jetzt dann doch nicht, wie vorher angedacht, zum Griechen, sondern zu einem klassischen Franzosen, ich hatte Lust auf Pot au Feu. Trotz des Windes sitzen die Menschen auf den Restaurantterrassen und schauen verweht in die Sonne. Für einen Platz mussten wir anstehen, bekommen aber recht bald einen netten Tisch, wenn auch im Inneren, dafür ohne Wind (Pot au Feu gabs nicht, wir essen gegrillte Sardinen und Ceviche de Dorade als Entrée, Magret de Canard und eine Variante von Bouillabaisse als Hauptspeise, sehr satt, daher kein Dessert, Espresso). Während des Essens erfahre ich, dass der Jugendfreund von Monsieur nebst Gattin nicht am Donnerstag zum Mittagessen kommen, sondern schon am Mittwochnachmittag und sie zum Abendessen bleiben. Das wirft meine ganze Planung durcheinander.

Zuhause liegt ein Paket von A***, wo ich der Schnelligkeit halber zwei Bücher von Rebecca Dautremer, meiner langjährigen Lieblingsillustratorin, bestellt habe, damit ich sie am Mittwoch von ihr signieren lassen kann. In der Mediathek von Ranguin, einem eher sozial schwachen Stadtteil von Cannes, ist derzeit eine überraschend tolle Ausstellung über sie und ihre Buchillustrationen. Am Mittwochnachmittag wird sie ebendort einen Vortrag halten. Da kann ich jetzt leider nicht mehr dabeisein, es betrübt mich, bin aber froh, dass ich mir wenigstens die Bücher gegönnt habe. Vergnügt blättere ich im “Stundenbuch des Jacominus Gainsborough” und in ihrem Artbook.

Die Ausstellung hatte ich mir am Freitag angesehen, um mir etwas tröstlich Schönes zu gönnen – ich habe ehrlich gesagt nicht viel erwartet, aber die Ausstellung, die Mediathek selbst, insbesondere die Abteilung für Kinder- und Jugendbücher dort, sind toll und bedauerlicherweise an einem verregneten Nachmittag in den Schulferien so gut wie gar nicht besucht.

Zurück zu dem, was wir heute machen. Sechzehn Uhr. Zeit für eine späte Sieste.

Um siebzehn Uhr nehme ich mich dem Quittengelee und dem Quittenbrot an, das ich gestern vorbereitet habe. Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal Quittengelee gemacht und Quittenbrot – beides mochte ich bislang nicht besonders, aber ich hatte die super aromatischen Quitten der Nachbarin aus dem Bergdorf geschenkt bekommen und wollte sie nicht umkommen lassen. Man kann es ja immer auch verschenken, dachte ich, und siehe da, das Gelee gelang und ebenso das Quittenbrot, man riss es mir aus den Händen, und ich selbst mochte es zu meiner großen Überraschung auch.

Dieses Jahr bekam ich erneut die wundervollen Quitten, kann mich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern nach welchem der tausendundein Rezepte, die es gibt, ich vorgegangen bin. Ich habe mir nichts notiert und erinnere mich an gar nichts mehr. Das erschüttert mich auch zunehmend, ich hatte früher mal so ein gutes Gedächtnis, jetzt vergesse ich Dinge quasi sofort. Habe ich es mit Zitronensaft gekocht? Oder mit einer Vanilleschote? Habe ich die zerkochten Quitten mit dem Pürierstab kleingekriegt oder nur durch ein Sieb gestrichen? Oder hatte ich mir einen Flotte Lotte geliehen? Dieses Jahr schreibe ich es auf, wenn es gelingt, weiß ich, wie es ging, wenn nicht, probiere ich es beim nächsten Mal anders.

Mit den Quitten verbringe ich den Abend bis 21Uhr. Ächz. Ich weiß, warum ich mich nicht mehr daran erinnere, zu viel Arbeit. Das Quittenbrot scheint gelungen zu sein, es trocknet jetzt vor sich hin, und Monsieur hat den Topf ausgeleckt. Ob das Gelee fest werden wird, sehen wir morgen (nur dreieinhalb Gläser!).

Keine Ahnung, ob etwas im TV läuft. Zu mehr habe ich jetzt keine Kraft mehr.

So war mein Tag. Danke fürs Lesen!

Ich reihe diesen Text in die gesammelten Tagebuchbloggereien bei Frau Brüllen ein, die uns jeweils am 5. des Monats fragt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Kurz: Wmdedgt. Wissen Sie natürlich schon alles. Hier sind die anderen November-TagebuchbloggerInnen.

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Pepita

Sie denken es sich schon bei dieser Überschrift und wenn Sie hier bereits eine Weile mitlesen. Meine Katze Pepita, die vor fünfzehn Jahren in meinem Auberge-Schlafzimmer im Bergdorf auf die Welt kam, ist gestern hier unten in Cannes eingeschlafen. Eingeschlafen worden, um genau zu sein, damit hatte ich nicht gerechnet, als ich sie gestern Nachmittag nochmal zum Tierarzt schleppte; ich dachte, es gäbe noch eine Möglichkeit, sie wieder etwas aufzupäppeln, damit sie den nächsten Bergaufenthalt besser übersteht als den letzten, wo sie kaum noch Luft bekam. Was man eben so denkt, in Verkennung der Lage. Hätte ich verstanden, dass es wirklich ihre letzten Tage oder Stunden sind, hätte ich sie in Ruhe und auf dem Sofa liegen gelassen, das Atmen fiel ihr hier unten wieder etwas leichter, aber dennoch war sie erschöpft und fraß nichts mehr. Meine ultra-verfressene Katze wollte nichts mehr zu sich nehmen, nicht mal das kleinste bisschen leckeres Hähnchenfleisch, das ich ihr angeboten habe! Ich hätte es mir vielleicht denken können, aber sie hat bis vor ein paar Tagen noch wie immer alles Katzenübliche getan. Gut, man musste ihr in der Zwischenzeit einen Stuhl hinstellen, damit sie zum Wassertrinken am Wasserhahn in zwei Stufen hüpfen konnte, aber sie hielt Wache, spazierte hin und wieder ein bisschen ums Haus, sie fraß, sie trank, sie schlief, sie miaute, putzte sich, sie lag abends schnurrend auf unseren Knien und schlief nachts an mich gedrängt im Bett. Sie war vielleicht ein bisschen anhänglicher und schläfriger. Ich habe es nicht kommen sehen.

Aber immerhin weiß ich so, dass ich nichts mehr tun konnte, und sie musste nicht mühsam ersticken, denn darauf wäre es am Ende hinausgelaufen. Und ich war, wenn auch in einem klinisch reinen Behandlungszimmer, mit ihr allein, um Abschied zu nehmen und konnte dabei sein und sie halten, während sie einschlief. Ich habe nicht geweint, zumindest nur ganz leise, weil ich wollte, dass trotz der Umstände alles vertrauensvoll und friedlich ist. Sie hat, und das ist eigentlich unfassbar, noch einmal den Kopf gehoben und mich ganz klar und mit großen Augen angesehen. Meine Pepita. Mein kleines Katzenkind.

Sie haben in all den Jahren ja schon viele Fotos von Pepita gesehen. Ich kann mich gerade nicht entscheiden, welches ich hier noch einmal zeigen mag. Das hier ist auf jeden Fall das letzte Foto von ihr.

Ivan, der Bruder von Tetiana, der (vielleicht nicht nur) vorübergehend in unserem Haus lebt, hat, ein bisschen versteckt im Vorgarten und unter dem Mimosenbaum, ein Loch gegraben. Dort habe ich Pepita vorhin beerdigt. Hier ist es erlaubt, Kleintiere auf seinem Grundstück zu bestatten, ich musste es allerdings beim Tierarzt angeben. Und das Loch sollte tief genug sein, damit selbst der gerne in der Erde buddelnde Nachbarhund nicht bis zu ihr vordringen kann. Ich wollte zwar keinen Grabstein setzen, habe aber zum Schutz, zumindest vorübergehend, dennoch einen großen Stein darauf gelegt. Und die letzte kleine Rose des Gartens. Adieu Pepita. Du bist immer noch bei uns. Und auf jeden Fall für immer in unseren Herzen.

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Schallendes Schweigen

Seit Tagen möchte ich etwas zum Israel-Krieg sagen und kann nicht. Ich bin nicht allein damit. Der Publizist Christian Nürnberger schrieb gestern auf Facebook, er sei zunächst “sprachlos” gewesen angesichts des Grauens, dann voller Hass auf die Hamas, und die Worte, die in ihm brodelten nicht druckbar, und nur das Mitgefühl für jüdische Freunde und Mitbürger auszudrücken wäre ihm “zu klein” gewesen, angesichts dessen, was passiert. Für all das gibt es kaum richtige Worte. Ratlos sei er und ohnmächtig fühle er sich. Es tröstet mich und ich bin dankbar für den Text des besonnenen Mannes.

Ich war ebenso sprachlos, zutiefst schockiert und heartbroken. Es half mir erstmals nicht, “Liebe” ins Netz zu senden, Friedensbotschaften, Gedichtzeilen, Herzen oder was auch immer. Ich wusste lange nicht, wo ich mich positionieren sollte. Auf welcher Seite stehe ich? Ich bin nicht Jüdin, nicht Palästinenserin, ich lebe nicht dort, was weiß ich schon vom Leben in Israel und Palästina? Aufgrund unserer Geschichte stehe ich zu Israel. Immer. Aber ich lehne die israelische Siedlungspolitik ab. Und ich bin entschieden gegen das Massaker, das die Hamas angerichtet hat und gegen den Terrorismus. Dass ich beides sein kann, für Israel, aber gegen die Siedlungspolitik, gegen die Hamas, aber für den Schutz unschuldiger palästinensischer Kinder, muss ich mir erst innerlich erarbeiten.

Ich kenne eine israelisch-amerikanische Malerin, von der ich schon das eine oder andere Bild erworben habe, sie lebt mit ihrer Familie in Israel. Ihr habe ich immerhin geschrieben, um zu hören, ob es ihnen gut geht. Sie sind alle zusammen und in Sicherheit. Aber sie hat Freunde und Nachbarn, die jemanden verloren haben oder vermissen. Susie hat über das Shiva-Sitzen bei Freunden geschrieben, die ihren Sohn am ersten Tag des Krieges verloren haben: an sieben Tagen kommen alle zusammen, Nachbarn, Freunde, Familie, selbst Fremde, um den oder die Toten zu betrauern, des es in der Familie gibt. Ich habe es übersetzt.

Sieben Tage. Die Familie bleibt zu Hause, und die Gemeinschaft ist Tag und Nacht bei ihnen und bringt ihnen Essen, kocht, putzt, erzählt, kümmert sich um ihre Bedürfnisse, weint, manchmal lacht sie. Hunderte von Menschen sind in der letzten Woche jeden Tag durch das Haus unserer Freunde gegangen. Familie, Freunde, Kollegen, Soldaten, Gemeindevertreter, Nachbarn, Fremde, die gerade erst von der Tragödie erfahren hatten. Unsere Kinder waren mit ihren Kindern da. Zig Jugendliche saßen im Hof im Kreis und redeten einfach nur. Jeden Tag. Während der Shiva weinte ich. Ich hörte zu. Ich habe abgewaschen. Ich habe Eier gemacht. Ich habe grüne Bohnen angebrannt. Ich habe ein paar Mal den Kühlschrank aufgeräumt. [[…]] Ich weinte mehr. Ich habe meine Freunde umarmt. Ihre Kinder. Ich habe neue Freunde gefunden. Menschen, die ich seit Jahren kenne, aber nie gekannt habe. Jetzt sind wir uns nahe. Wir sind eine Familie.
In der letzten Woche gab es 1300 dieser Treffen. Viele Leute gingen zu mehr als einem. Mehr als zehn. Jeder kennt jemanden. Und dann gibt es noch diejenigen, die noch keine Schiwa halten können, was ein Segen und ein Fluch ist. Sie warten darauf, das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren, die als Geiseln in Gaza sind. Ich wache jeden Morgen auf und weine um sie und ihre Familien.

Susie Lubell

Seit Tagen habe ich Lust auf Hummus. Hummus habe ich zum ersten Mal in Israel gegessen; ich war siebzehn oder achtzehn, als ich mit einer Gruppe der evangelischen Kirche nach Israel gereist bin. Es war meine erste Reise außerhalb Europas, sie hat mich nachhaltig beeindruckt. Aber darüber muss ich vielleicht ein andermal erzählen (ich war im übrigen fest davon überzeugt, es schon getan zu haben, aber ich habe überraschenderweise nichts gefunden) – auf jeden Fall wollte ich Hummus essen. Aber kein fertig gekauftes, ich wollte es selbst machen – und habe dafür gestern im Supermarkt bewusst israelisches Tahin (Sesampaste) erstanden und statt irgendwelcher Kichererbsen im Glas, bereits püriertes Kichererbsenmus gewählt, und das, ich gebe es zu, nur, weil es libanesischer Herkunft war. Zumindest in meinem Einkaufswagen und in meiner Küche sollte es möglich sein, Israel und in diesem Fall den Libanon friedlich zusammenzuführen. Gut, das Hummus ist nicht so lecker wie sonst geworden – frisch mit dem Mixer zerkleinerte Kichererbsen schmecken einfach besser, aber es ist ok.

Am Sonntag wollten wir zu einer Vorpremiere des Films über das Leben von Abbé Pierre. gehen. Ich hatte zwar schon beim Anschauen des Trailers Tränen in den Augen, aber ich war und bin überzeugt, dass es ein sehenswerter Film ist; er ist beim diesjährigen Filmfestival gelaufen und hatte gute Kritiken bekommen. Wir fuhren extra in den großen neuen Kinokomplex am Rande der Stadt, wir waren ein bisschen spät, aber wir hofften, dass die Einführung unseres Kinovereinspräsidenten sich noch ein bisschen hinzöge. Die Schlange an der Kasse war lang, es dauerte ewig, bis wir dran kamen, und dann, siehe da, stellten wir fest, dass wir im völlig falschen Kino waren! Abbé Pierre lief gerade in der Innenstadt. Das schafften wir zeitlich nicht mehr. Ich war soo wütend auf mich selbst, weil ich zwei Mails des Kinoclubs durcheinandergebracht habe. “Je m’en veux”, zischte ich und stampfte mit dem Fuß auf. Monsieur entschied, dass wir, wo wir jetzt schonmal da sind, kurzfristig “Bernadette” ansehen werden. Der neue Film mit Catherine Deneuve, die die Gattin von Jacques Chirac spielt. Eine Komödie. Hätte ich mir nie im Leben angesehen. Auch dieser Film hat schon begonnen, also schnell, schnell, wir schlichen uns auf unsere Plätze und kaum saßen wir, musste ich schon lachen. Der Film ist wirklich komisch. Sogar Monsieur lachte laut an der einen oder anderen Stelle. Ok, es ist kein Film, der bleibt, aber er ist wirklich amüsant. Und Catherine Deneuve hatte sichtlich Spaß, die Rolle der Bernadette Chirac zu spielen. Die Familie Chirac hingegen ist weniger amused, aber nun gut.

Darf man lachen, angesichts all dessen, was passiert? Am letzten Freitag, fast auf den Tag genau drei Jahre nachdem der Lehrer Samuel Paty enthauptet worden ist, hat ein fanatischer junger Mann, schon wieder einen Lehrer ermordet, diesmal in der Stadt Arras. “Messerangriff” heißt es dezent in der Presse. Er wurde an der Kehle “getroffen”. Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten. Darf man also im Kino lachen? Ich habe gemischte Gefühle.

Dankbar sehe ich abends beim Scrollen im Handy ein kurzes Statement eines amerikanischen Stand-up-Comedien, Pete Davidson, den @dragos (den ich Ihnen vor ein paar Monaten vorgestellt habe) bei Instagram verlinkt hat – und ich jetzt hier. Ok, man muss ein bisschen scrollen und es ist ein englischer Text: Pete Davidson erzählt, dass er sieben Jahre alt war, als er seinen Vater bei einem Terrorangriff verloren hat [[am 11. September 2001, beim Angriff auf das World Trade Center]], und dass seine Mutter monatelang alles versucht habe, um ihn aufzuheitern; versehentlich lässt sie ihn ein Eddy Murphy Video anschauen, sie glaubte es sei ein Disney-Film. Als sie sich bewusst wurde, welchen Quatsch Eddy Murphy erzählte, wollte sie es ausschalten, merkte dann aber, dass ihr Sohn zum ersten Mal seit Monaten wieder lachte. Warum das so ist, sei ihm nicht klar, sagt Pete Davidson, aber manchmal sei die Komödie das einzige Mittel gegen Tragödie. Und deswegen würde er, wie jeden Abend, auf der Bühne stehen und versuchen witzig zu sein und andere zum Lachen zu bringen.

Bevor ich diesen Text schreiben konnte, suchte ich natürlich auch ein Gedicht, das viel eleganter Schmerz und Verzweiflung ausdrücken würde, als ich es könnte. Um aber nicht schon wieder auf Hilde Domins “Auch an blauen Tagen bricht das Herz” zurückzugreifen, das ich schon so oft verwendet habe (hier nachzulesen), suchte ich dieses Mal bei Rose Ausländer. Von ihr habe ich mir die Überschrift geliehen, gefunden im Text des Freitag, in dem es über den Sinn von Anti-Kriegs-Lyrik geht (nicht ganz aktuell, aber immer noch passend).

Indem sie Worte für das Unfassbare finden, tragen sie dazu bei, die aus dem Lot geratene Welt besser zu erfassen. Ohne sich auf einen Trostcharakter reduzieren zu lassen, bieten sie eine Grammatik in Zeiten des Chaos. Metaphern, Vergleiche, Assoziationen sind Gegenmittel zur Sprachlosigkeit. Mit ihnen gelingt Literatur ein Stück weit die Selbstermächtigung. Nicht im Sinne einer verbalisierten letzten Wahrheit, aber in einem steten Ringen um den passenden Ausdruck. Allein dieses fortwährende Suchen offenbart eine kaum zu unterschätzende Signalwirkung. Sie zeugt vom bewussten Willen, das Feld nicht dem Schweigen, man könnte auch sagen: dem Tod zu überlassen.

Björn Hayer in: Freitag 10/22

Das ist doch ein schönes Schlusswort für heute.

Salam. Shalom.

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12 von 12 im Oktober 2023

Am 12. jeden Monats machen wir 12 Bilder und veröffentlichen Sie bei uns und anschließend bei Caro Kännchen. Wissen Sie natürlich alles schon.

Los gehts. Heute ist ein italienischer Tag. Wir sind mal kurz nach nebenan gefahren, in erster Linie, um ein Autoradio zu erwerben, und um es dort auch einbauen zu lassen. Verstehen Sie nicht? Ganz einfach. Wir haben letztes Jahr ein neues kleines Auto einer italienischen Marke erworben, es hatte einen sehr niedrigen Preis aufgrund der sehr niedrigen Ausstattung. Es gab zum Beispiel kein Autoradio. Wir fragten, was es kosten würde beim Autohändler ein Autoradio einbauen zu lassen, der Preis, der uns dafür genannt wurde, war jenseits von Gut und Böse. Kam nicht infrage. Ich suchte dann bei den Werkstatt-Ketten, die man in der Regel im Gewerbegebiet findet. Sie verkaufen Autoradios, ja, aber sie bauen sie nicht mehr ein. Wir beauftragten den Enkel, der grundsätzlich auch bereit war, uns ein Autoradio zu suchen und einzubauen, aber bislang dafür keine Zeit fand. Jetzt ist er aus dem Haus und schickt manchmal lustige Nachrichten von unterwegs, unser Autoradio ist nicht mehr wirklich auf seiner to-do-Liste. Bislang habe ich mein Handy als Radio benutzt, geht, ist aber nicht toll. Monsieur entschied, dass wir zu Fiat nach Italien fahren würden, die seien kooperativer und weniger teuer. Und das ginge, na klar, auch ohne Termin, wie früher eben, sagt er. Ich bin ja immer noch sehr deutsch, aber auch schon sehr französisch, ich dachte mir, wenn es nicht klappt (wovon ich als Deutsche ausging, ich bitte Sie, ohne Termin!), haben wir wenigstens einen Ausflug nach Italien gemacht und mindestens einen guten Cappuccino getrunken.

Wir fahren nicht allzufrüh los, es ist ja aber nicht so weit und wir kamen noch vor elf in Ventimiglia an, bis elf darf man Cappuccino! Auch wenn die Italiener um uns herum schon beim Espresso waren.

Den Cappuccino also hatten wir schonmal. An einer Tankstelle fragen wir nach einem Autozubehörladen, wir landen bei einem Elektroladen, der Bügeleisen und Staubsauer verkauft, aber keine Autoradios, er schickt uns aber weiter, immer am Meer entlang, das ist zumindest das, was wir verstehen. Wir entscheiden uns aber, jetzt zunächst zu Fiat zu fahren, also zurück ins Gewerbegebiet, auf dem Weg dahin muss Monsieur aber auch noch einmal bei einer kleinen Werkstatt fragen. Der Mechaniker schickt uns zu “Troni” (“Richtung San Remo und irgendwann links”) und ist bereit, uns das Autoradio einzubauen, aber erst nach seiner Mittagspause, nicht vor 14.30Uhr.

Wir lassen also Fiat sein und suchen “Troni”. Unterwegs fragen wir nochmal. Nächste links und dann zwei Kilometer heißt es. Wir fahren (ich fahre) einmal mehr durch ein Gewerbegebiet und finden nichts. Wir fragen das einzige Fußgängerpaar im Gewerbegebiet nach “Troni”. Sie verstehen es nicht. Troni? Troni? “Ottroni!” fällt der Dame ein. Sieh an, wir stehen exakt davor.

Ottroni ist wohl der ehemalige Name, jetzt heißt der Laden “Brico-io” (“ich handwerke”) und Unieuro, eine Art Baumarkt und Elektromarkt gleichzeitig. Die Auswahl an Autoradios ist überschaubar, es gibt exakt drei. Nur eines mit Bluetooth. Das nehmen wir.

Es ist kurz vor zwölf, wir fahren ein bisschen weiter Richtung San Remo, wir wollen irgendwo am Meer essen. Die erste Abzweigung “Zum Strand” nehmen wir (in Bordighera). Wir fahren durch abenteuerliche Unterführungen und kommen an einer Meerpromenade raus. Es kommt uns bekannt vor, wir waren hier schonmal. Wir laufen auf der Promenade entlang und entscheiden uns für ein Restaurant, und ich glaube, genau da waren wir auch schon einmal. Es sind nur wenige Menschen da (Deutsche und Franzosen!), wir haben Meerblick, es ist wie Urlaub.

Wir essen lauwarmen Tintenfischsalat und danach (ich) Muschel-Pasta und (Monsieur) Carbonara, Zitroneneis und Espresso.

Am Steinstrand finde ich einen Kunst-Stein.

Wir fahren zurück nach Ventimiglia zur kleinen Werkstatt am Rande der Stadt. Dort, wo die Flüchtlinge unter der Brücke hausen. Wir haben dieses Mal einen Bogen um den Bahnhof gemacht, ich wollte das Elend nicht sehen. Ich sehe es trotzdem.

Sehr junge und sehr dünne Afrikaner, den Kopf tief in Kapuzen verborgen, laufen entlang der Schnellstraße, auf der Suche nach einem Weg aus Italien raus, wo sie festhängen. Es hat sich nichts geändert, seitdem ich für meinen vierten Kriminalroman (“Endstation Côte d’Azur”) hier recherchiert habe. Ich weiß, noch ein Elendsthema wollen Sie nicht, aber ich kann es wirklich nicht NICHT sehen in Ventimiglia.

Ich laufe einmal hin und her und schon ist das Autoradio eingebaut. Und funktioniert! Und das alles ohne Termin!

Und schon fahren wir wieder zurück. Nicht ohne vorher noch im letzten (und vermutlich hässlichsten) italienischen Supermarkt vor der französischen Grenze einzukaufen. Hier kaufen alle ein, Touristen, Franzosen, Italiener, und ein paar Afrikaner kaufen Wasser in Plastikflaschen. Der Weg der Flüchtlinge ist auch am herumliegenden (Plastik-)müll erkennbar.

Bis nach Menton fahren wir am Meer entlang. Die Grenze wird stark kontrolliert, aber wir haben nur Mortadella, frische Pasta, Pesto und eine Flasche Campari erstanden, das ist ihnen egal. Dann nehmen wir die Autobahn zurück.

Blick zurück zum Grenzübergang.

Und nein, ich habe auch keine Lösung. Für gar kein Problem.

Das waren meine 12 am Zwölften. Danke fürs Lesen und Anschauen. Alle anderen finden Sie wie immer verlässlich hier.

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WmdedgT Oktober 2023

Heute ist der 5. des Monats und Eingeweihte wissen es schon, Tagebuchbloggen ist dran! WmdedgT steht für, “Was machst du eigentlich den ganzen Tag?” Die Alltagsprotokolle sammelt seit Jahr und Tag die liebe Frau Brüllen.

Ich fahre heute Nachmittag wieder runter an die Küste, ich war nach einem Wochenende am Meer nämlich schon wieder hier oben, die Baustelle, Sie wissen schon. Aber siehe da, es ist gar niemand da, auf der Baustelle. Gut, es kommen dann doch zwei, um etwas mit mir zu besprechen. Egal, ich bin in den Bergen geblieben und genoss knapp drei Tage Stille und Alleinsein und ein bisschen Schreibklausur. Wobei das Schlafen erstaunlich ungewohnt und schwierig war, so alleine, und wenn man die vertrauten Geräusche des anderen, die einen ja manchmal durchaus stören, nicht wahr, nicht hört, und auch sonst gar nichts (außer dem Röhren der Hirsche, le brame du cerf heißt das hier, das hört man weit im Tal spät abends und auch sonst immer mal wieder, eindrucksvoll laut) und wenn sich nachts heimlich keine Katze ankuschelt. Insofern schlafe ich immer erst spät in der Nacht ein, eigentlich schon am frühen Morgen, wenn ich wirklich wirklich müde bin, wache dafür entsprechend spät auf. So auch heute, es ist schon Viertel nach Acht, aber es kommt ja auch heute anscheinend kein Handwerker, der irgendwas will, sodass ich nicht gehetzt aus dem Bett springe, sondern mir einen Kaffee und ein Stück Apfeltarte ins Bett hole, das Badezimmer heize und ein bisschen durchs Handy scrolle.

Dann ruft Monsieur an – der hatte schon am Tag, an dem ich wegfuhr, kein Internet mehr und kein Telefon und kein Fernsehen, bei uns ist alles “dégroupé”, alles läuft übers Internet, wenn es nicht da ist, dann geht gar nix. Ich habe ihn nur über das Handy der Nachbarin erreichen können, und von hier oben versucht, Hilfe anzufordern. “Was wird auf der Box angezeigt?” fragt mich mein unsichtbarere Chat-Gesprächspartner. “Keine Ahnung” chatte ich zurück, ich bin ja nicht vor Ort und meinen Mann kann ich nicht erreichen, um ihn das zu fragen. Nun gut, der Chat-Partner, ich weiß nicht, ob es sich noch um einen echten Menschen handelt oder um KI, ist auf jeden Fall reaktiv, er probiert allerhand, und schickt uns letzten Endes einen Techniker, der kam heute morgen, stellte fest, dass man uns außerhalb des Hauses vom Netz getrennt hat, ob absichtlich oder aus Versehen, man weiß es nicht. Auf jeden Fall geht alles wieder und Monsieur kann mich anrufen. Wir erzählen uns, was es Neues gibt.

Anschließend stehe ich auf und gehe ins warme Bad.

Danach beantworte ich ein paar Mails und Nachrichten auf dem Handy. Gehe zur Baustelle und mache ein paar Fotos, damit ich Monsieur zuhause zeigen kann, wie weit die Arbeiten gediehen sind, begrüße einen Nachbarn, der seinerseits in seinem Haus herumwerkelt.

Es ist wieder so warm geworden! Draußen ist es sogar wärmer als im Haus! In der Sonne sind es bestimmt 25 Grad. Ich sehe mit kritischem Blick unsere vom Baustellendreck verschmutzten Fenster, und putze kurzentschlossen zumindest die schmutzigsten, die der Baustelle zugewandt sind, und außerdem die Windschutzscheibe des Autos innen und außen. Dann will ich nur schnell die Küchenabfälle in den Futtereimer für die Hühner (von Freunden) bringen, treffe dabei aber eine der älteren Damen des Dorfes (im nächsten Monat wird sie 94, vertraut sie mir an) und werde festgequatscht. Im Dorf ist kaum noch jemand, sie hat Redebedarf. Die Dame gießt mithilfe eines Untertellerchens die Blumen, die um das ehemalige Lavoir, das Becken, in dem man früher die Wäsche gewaschen hat, herumstehen. Das ist ein bisschen mühsam, die Gießkanne aber, auch wenn sie sie nicht voll machen würde, ist ihr zu schwer. Ich verspreche zu helfen, bringe die Abfälle weg und wasche die Schüssel am Lavoir aus, und gieße damit dann energisch den Rest der Blumen, auch die, die weiter weg auf der Mauer stehen. Sie dankt mir dafür und begleitet mich jetzt zurück zum Hühnerfuttereimer, den sie nicht kennt (für sie ein kleiner Ausflug, zwanzig Meter steil bergab und wieder bergauf, “man muss immer beweglich bleiben!”), auf den ich meine Schüssel jetzt umgedreht lege, damit nicht irgendwelche anderen Tiere die Küchenabfälle wegfuttern, bevor die Freunde, die gerade “unten” sind, wiederkommen. Wir betrachten zusammen die letzten Rosen, es blüht auch noch ein wenig Lavendel, wie wundervoll, aber ach, klagt sie, niemand schneidet mehr die Rosen zurück und den Lavendel!

Es grämt sie sehr, dass sich da niemand mehr so kümmert, die junge Generation kommt nur noch zum Vergnügen in das Bergdorf, keiner macht mehr Gartenarbeit, sagt sie. Wir plaudern noch über alles und nichts (die Bettwanzenplage, die kennt sie noch aus dem Krieg, damals musste man die Wanzen täglich mit der Hand ablesen, die aufgegebenen, und verwahrlosten Gärten, das erstaunlich warme und zu trockene Wetter, wo uns das nur hinführt) und sie wünscht mir dann einen “guten Appetit”. Es ist tatsächlich schon halb zwölf. Ich räume ein bisschen auf, werfe einen Blick auf die Fotos von den Rosen und dem Lavendel, letztere sind unscharf geworden, ich sehe so schlecht im Gegenlicht. Ich stelle den Topf mit Nudelwasser auf. Da ich aber die Regel “a watched pot nevers boils” beherzige, lasse ich das Wasser alleine und gehe noch einmal schnell Fotos vom Lavendel machen.

Als ich zurückkomme, kocht das Wasser und ich werfe eine, wie ich finde, kleine Portion Spaghetti hinein, ich will sie mit dem Spaghetti-Rest von gestern und der selbst gemachten Tomatensoße essen. Es werden dann natürlich doch wieder zu viele Spaghetti, es bleibt erneut ein Rest.

Ich fülle alle Reste (Spaghetti, Tomatensoße, Zucchinisuppe)i in Mitnehm-Behälter, räume die Spülmaschine mit allem voll, was herumsteht und stelle sie an. Ich spüle den Rest Geschirr, der nicht in die Spülmaschine darf, putze den Herd, die Waschbecken im Bad und in der Toilette, entscheide, welche von Monsieurs Kleidung für hier oben nicht mehr ausreichend warm sein könnte, unten aber genau richtig ist und stecke sie in einen große Tasche. Es wäre schön, wenn man nicht mehr ständig alles hin und herschleppen müsste. Dann erinnere ich mich, dass es der fünte ist und beginne, diesen Text zu schreiben.

Schwupps ist es 15 Uhr, wenn ich um 16 Uhr loswill, dann muss ich mich jetzt sputen. Was ich tue:

Müll wegbringen, Kühlschrank leeren, alles, was ich hochgeschleppt habe (Laptop, Bücher) wieder ins Auto packen, Gas abstellen, Gasflasche im Keller zudrehen. Ich ziehe mich wieder für “die Küste” an (leichtere Hose, leichtere Schuhe, T-Shirt statt Wollpullover). Die fertige Spülmaschine ausräumen. Noch mal schnell beim jungen Aubergisten vorbeischauen, fragen, wie es weitergeht. Sein Enthusiasmus für die Auberge ist nämlich nach der ersten richtigen Saison ein wenig erlahmt; er wird erstmal drei Monate “Auszeit” nehmen, und unten an der Küste Hunde ausführen – das sei weniger Arbeit und besser bezahlt. Ich sage dazu nichts. In drei Monaten entscheidet er sich, ob er die Auberge weiterführen wird oder nicht.

Punkt 16 Uhr fahre ich los. Ich höre mir auf dem Handy eine weitere Folge des Mare Podcasts “Übers Meer” an. Das habe ich auch schon beim Hochfahren gemacht. Sehr amüsant, weil Nikolaus Gelpke dort von seiner Playlist mit französischer Musik spricht, die er einschaltet, sobald er in Frankreich ist. Ich hingegen höre deutsche Podcasts vom Meer, wenn ich in die französischen Berge fahre. Auf dem Hinweg habe ich die Folge mit Arezu Weitholz gehört – sehr gemocht! Auf dem Rückweg höre ich zunächst die mit Mathijs Deen und denke, der Krimi “Der Holländer” könnnte mir vielleicht gefallen.

Ich nähere mich nach knapp zwei Stunden der Ebene und dem zähflüssigen Berufsverkehr und mache daher einen Abstecher zum blau-gelben Möbelhaus, das extrem praktisch auf dem Weg liegt. Die Gläser, die ich suche, gibts wohl nicht mehr, die hübschen Dosen, die ich neulich bei @kleinefluchten entdeckte, gibt es noch, aber nicht alle Größen. Ich nehme dafür noch ein paar andere Kleinigkeiten mit. Dann wieder zurück und auf die jetzt freie Autobahn. Die Sonne geht unter, direkt vor mir glüht ein orangefarbener Ball, und ich erinnere mich, dass ich schon letztes Jahr einen Text schreiben wollte mit dem Titel “die tiefstehende Sonne im November” – ok, wir haben Oktober, aber die Sonne steht im Winterhalbjahr grundsätzlich tief und blendet auch dann so stark, dass man ohne Sonnenbrille nicht fahren kann. Gut auch, dass ich die Windschutzscheibe von innen und außen saubergemacht habe! Um zwanzig nach sieben bin ich in meiner Straße, lade vor dem Haus das Auto aus, suche noch zehn Minuten lang einen Parkplatz, und finde einen nicht allzu weit entfernt! Ein Dank ans Universum. Doch doch, ich bestelle mir immer einen Parkplatz. Das klappt auch fast immer. Sonnenuntergang beim Parken, nur echt mit Stromleitung.

Ich begrüße Monsieur und streichele die jetzt krächzende Katze (als ich wegfuhr quietschte sie). Morgen werde ich einen Termin beim Tierarzt ausmachen. Meine erste, die deutscheste der deutschen Gewohnheiten, die man auch nach 18 Jahren Frankreich nicht lassen kann: Ich lüfte! Sehr zum Ärger von Monsieur, dem es ungemütlich wird mit der vielen frischen Luft. Und natürlich blieb das Katzenklo auch an mir hängen. Ist ja auch meine Katze. Klar. Ich mache Abendessen (Zucchinisuppe und Schinken). Anschließend versuche ich ein Video von 2 Minuten 40 via We transfer abzuschicken. Es braucht knappe drei Stunden. In der Zeit sehe ich fern “Sous controle” – eine Mini-Serie auf arte. Sehr französisch. Gegen Mitternacht gehe ich ins Bett und schlafe bei den vertrauten Geräuschen sofort ein.

Gestern viel zu müde, um das hier zu Ende zu bringen. Also mit etwas Verspätung für das offizielle WmdedgT, dafür bekommen Sie noch den Freitag vormittag:

Um neun Uhr haben wir einen Termin beim italienischen Autohaus. Wir haben einen zweiten Autoschlüssel bestellt, er kam endlich und jetzt muss er neu codiert werden (passen Sie schön auf Ihre Autoschlüssel auf, das alles kostet nämlich insgesamt schlappe vierhundert Euro!). Ich lasse den Schlüssel da, zwei Stunden später können wir das Auto und die zwei neu codierten Schlüssel abholen.

Wir fahren (mit dem anderen Auto) beim Tierarzt vorbei, ich habe Katzenfutter bestellt, das ich abhole, und mache gleichzeitig einen Termin für die krächzende Katze aus. Für Mittwoch, herrjeh! Dann gehen wir kurz schwimmen. “Elle est toujours aussi bonne”, ruft mir Monsieur beglückt aus dem Meer zu, während ich noch die Handtücher ausbreite. Anfang Oktober und das Wasser hat noch gute Schwimmtemperatur. Die Flossen sind aber im Auto, das beim Autohändler steht. Ich habe das Gefühl, dass ich kaum vorwärts komme und schwimme weniger lang als sonst.

Wir legen uns dann aber doch nicht hin, sondern ziehen uns wieder an, um das Auto und die zwei Schlüssel abzuholen. “C’est pour la Fiat” sage ich ein bisschen dumm am Empfangstresen bei Fiat, aber der junge Mann weiß natürlich, dass es um den Panda geht. Nur, der Schlüssel konnte nicht codiert werden, er funktioniert nicht. Es ist ein bisschen kompliziert, ich erspare Ihnen die Erklärungen und das neuerliche Prozedere, es wird voraussichtlich nochmal drei Wochen dauern. Ich sage nicht, dass ich extra wegen dieses Termins aus meiner Mini-Schreibklausur aus den Bergen runtergekommen bin. Aber immerhin haben Sie mir das Auto gewaschen. Das ist vermutlich der Service, den sie jetzt anbieten, damit man weniger meckert. Es gibt bislang bei jedem meiner Besuche bei Fiat IMMER jemanden, der hysterisch schreit, dass sie VON ANFANG AN NUR ÄRGER mit diesem Auto hätten! In meiner Jugend sagte man, Fiat bedeute “Fehler in allen Teilen” oder “First in all trouble”.

Dann Mittagessen: Lammkotelett und Nudeln mit Tomatensoße, (es bleibt schon wieder ein Rest!), Salat, Eis. Ich tippe hier fertig. Bestelle nebenbei via Chat bei dem mir schon bekannten Assistenten von Free eine neue Box fürs Internet, die Box, die wir haben, sei nämlich auch am Ende, ließ der Techniker noch verlauten. Jetzt fahre ich Monsieur zum Bridge und werde dann am PC tatsächlich auch mal arbeiten.

Schönen Dank fürs Lesen meines Alltags! Die anderen TagebuchbloggerInnen gibt es wie immer bei Frau Brüllen!

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Im Herbst am Meer

Und zack, schon wieder am Meer. Das ist das Besondere hier und ein großes Glück, dass ich beides haben kann: gestern noch die Berge, heute das Meer.

Jetzt, Ende September, ist außerdem Regatta-Zeit, das hatte ich gar nicht mitbedacht, als wir vorhin zum Schwimmen aufgebrochen sind. Es war kurz atemberaubend, als die Segler auftauchten und wir auf die geblähten Segel zuschwammen. Aber bis ich wieder am Strand war, um sie zu fotografieren, waren sie schon weit draußen. Trotzdem toll!

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13

Nein, natürlich ist heute ist nicht der Dreizehnte, auch kein Freitag, aber heute ist der 26. September, und es ist unser 13. Hochzeitstag! Und der Tag fing damit an, dass ich früh am Morgen schon eine charmante Zucchini-Skulptur vor unserem Fenster fand, einfach so. Ich habe so liebe Nachbarinnen! Ich weiß nicht, ob die Nachbarin sich an unseren Hochzeitstag erinnerte, oder ob es Zufall war, aber die kleinere Zucchini, die sich an die große anschmiegt, erinnert mich an unsere Art, am Strand zu liegen :-)

Nun heute liegen wir nicht am Strand, wir sind noch immer in den Bergen und es ist schönstes Herbstwetter, gerade bekam ich aber eine Nachricht von unserer Bürgermeisterin aufs Handy, dass es heute noch zu einer schlimmen Wetterverschlechterung kommen wird, und wir sollten unter keinen Umständen das Haus verlassen, und uns weder zu Fuß (zum verlockenden Pilzesammeln) noch mit dem Auto irgendwohin begeben. Es scheint gerade ganz unwirklich, wir haben bestes Herbstwetter – heute Nachmittag erwarte ich auch eine Freundin aus dem Nachbardorf zum Kaffee – mal sehen, was daraus wird.

Erneut bekamen wir von der Mairie eine Nachricht, dass wir unter keinen Umständen aus dem Haus gehen sollten. Ich zeigte sie verstört Monsieur, aber haha, es war nur ein “éxercise”, ein Probealarm, der Gatte hat das natürlich sofort gesehen! Kurz darauf wurde mir aufs Handy ein lauter Alarmton geschickt und gleichzeitig eine SMS mit den Anweisungen, was wir im Falle einer Hochwasserkatastrophe machen sollten.

Nun gut, wir standen auf unserem Berg auf 1300 Höhenmeter, es hat die letzten Tage nicht geregnet, es sah nicht so aus, als würde unser Berg unter den Wassermassen abrutschen wollen, und der kleine Fluss rauscht tief unten im Tal. Ich klickte “ok” und der Alarm war vorbei. Uff!

Schauen Sie mal, das war heute vor dreizehn Jahren! Ist das nicht ein niedliches Foto? Vor dem charmanten Hintergrund des ehemaligen öffentlichen Telefons der ebenso ehemaligen Post (lange vor meiner Zeit in diesem Dorf und noch bevor es Telefonzellen gab). Und immer eine Stromleitung im Bild, in diesem Fall aber die Telefonleitung der Mairie, die sich heute dort befindet. Es war übrigens Lavendel, der da geworfen wurde, kein Reis!

Ein Freund von Monsieur hatte angeboten, von unserer Hochzeit Fotos zu machen. Er hüpfte den ganzen Tag mit einer ungeheuer wichtig aussehenden Kamera überall herum, klickte im Dauermodus wie ein Starfotograf (und gefiel sich gut in dieser Rolle), machte ungelogen über 3000 Aufnahmen, wovon er uns 1000 (digital) zur Hochzeit schenkte; nur verwenden kann ich davon so gut wie keines. Auf sämtlichen Fotos der Zeremonie stehe ich schonmal im Dunklen, nämlich im Schatten des mich um Haupteslänge überragenden Monsieurs, und man sieht mein Gesicht einfach nicht. So blieb es fast den ganzen Tag – auf dem Foto hier sieht man immerhin, dass ich lache! Die einzigen Fotos, die ich je für irgendwas verwenden konnte, sind die, die meine, seinerzeit von der Hochzeit wenig begeisterte, neue französische Familie so nebenbei gemacht hat. Damals habe ich begriffen, dass man besser eine(n) Hochzeitsfotografen(in) bucht und bezahlt, für den/die es ein Beruf und vielleicht sogar eine Berufung ist, Fotos von dem sogenannten schönsten Tag zu machen. Also zumindest, wenn einem diese Art von Fotografie wichtig ist. Uns war sie nicht wirklich wichtig, enttäuscht war ich trotzdem.

Was haben wir also Schönes gemacht heute? Wir haben gemeinsam einen Ikea-Kleiderschrank aufgebaut! Und wir haben uns kein einziges Mal angemault, obwohl uns das einer der Herren aus dem Dorf, der uns beim Hereintragen der Pakete half, prophezeite. Als Paar einen Ikea-Kleiderschrank aufzubauen, führe unweigerlich zur Trennung, orakelte er. Tatsächlich habe ich eine langjährige Erfahrung mit dem Aufbauen von Ikea-Möbeln, meistens war ich dabei sogar ganz alleine, und ich habe das Phänomen luftig weißer selbstaufbaubarer Ikea-Möbel sozusagen mit in unsere Ehe gebracht – Monsieurs Wohnung war vorher ausschließlich mit schweren und typisch provenzalischen dunklen Möbeln vollgestellt, die für mehrere Generationen, und manchmal sogar direkt vor Ort gebaut wurden, die aber heute (so gut wie) kein Mensch mehr will (als wir die Wohnung einer alten Verwandten auflösen mussten, hat Monsieur noch einmal einen alten und “sehr schönen” Schrank dieser Art gerettet, Nussbaum, 19. Jahrhundert, der seither nun im Keller und bei der Kleinanzeigenseite “leboncoin” auf einen Liebhaber wartet, allerdings auseinandergebaut wie ein Ikea-Möbel, falls Sie Interesse haben, melden Sie sich ruhig!), ich habe diese Art Möbel erst mit anderen Augen angesehen, als ich sie in einem Museum in Grasse entdeckte – ach schau, dieselbe Kommode, derselbe wuchtige Schrank. Aber in unserer Wohnung mochte ich das Museumsambiente weniger und modernisierte in der Folge ein wenig (keine Sorge, wir haben noch genug der alten Schätzchen!) Daher haben wir jetzt auch einen Ikea-Kleiderschrank aufgebaut und nicht diesen alten Nussbaumschrank, der, zu meiner großen Erleichterung und zu Monsieurs großem Bedauern, einfach zu hoch für die niedrigen Räume hier ist. Der über Jahrzehnte erworbene Ikea-Aufbau-Vorschuss, den ich habe, hilft natürlich ungemein, meistens bin ich es, die Monsieur die simple Aufbautechnik erläutert. Wir sind in diesem Fall mindestens ebenbürtig, wir haben allerdings beide schwindende Körperkräfte, sodass wir manches nur gemeinsam getragen und gestemmt bekommen. Das alles führt dazu, dass niemand mault oder schimpft und wir den Schrank in schönster Eintracht aufgebaut haben. Wenn das kein Beweis für eine tragende Verbindung ist.

Und später kam die Freundin und es gab Tee und Apfeltarte.

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Herbst und Latwerge

Wir sind in den Herbst gehüpft. An der Küste ist es wohl immer noch warm und spätsommerlich, wie ich einigen Beiträgen in den einschlägigen sozialen Medien entnehmen kann, hier oben in den Bergen ist es pünktlich zum Herbstanfang auch Herbst geworden.

Als wir hier oben ankamen, waren es plötzlich nur noch sechzehn Grad, es regnete in Strömen und die Wolken hingen tief – wir mussten als erstes ein Feuer anwerfen, der Temperaturschock verursacht uns immer sofort Männerhalsweh, Sie kennen das, dem muss man etwas entgegensetzen. Am besten dicke Socken, einen Wollpullover, einen Grog und ein Feuer. Ich gebe aber zu, dass ich ein Feuer auch ganz nett finde, wenn es draußen so usselig ist. Selbst wenn die Dorfbewohner hier noch kurzhosig und im T-Shirt herumlaufen und barfuß in Outdoorsandalen. Früher, als ich noch die Auberge bewirtschaftet habe, habe ich manches Mal in Verkennung der Temperaturunterschiede zwischen Küste und Bergen, den Tisch für die Gäste draußen gedeckt (gut, nicht gerade bei Regen) – aber selbst mit Wolljäckchen weigerten sich viele Gäste und wollten lieber drin essen. “Verweichlichtes Volk diese Côte d’Azur-Fuzzis”, dachte ich damals verächtlich. Jetzt trage ich selbst drei Schichten übereinander, zumindest bis ich mich wieder akklimatisiert habe, und würde derzeit keinesfalls draußen essen wollen.

Heute Morgen sah es zwar wieder ganz nett aus, aber wir hatten nur einstelligen Temperaturen. Brrr. Heute Abend gab es die erste Suppe! Suppe ist ein untrügliches Zeichen für die Herbstsaison. Aber nein, noch nicht mit Kürbis, so weit bin ich noch nicht, ich bin noch bei Zucchini und Tomaten. Ich bekam auch gerade wieder welche geschenkt. Aber das erste Apfelkompott gab es schon. Bei der Tomatengabe waren nämlich auch die ersten Äpfelchen dabei.

Und ich habe für fast gar kein Geld unterwegs eine Kiste mit winzigen über-reifen Pflaumen erstanden – sie schmeckten wie Zwetschgen, ich MUSSTE sie kaufen, so lecker waren sie! Es hat natürlich damit zu tun, dass man hier im Süden in der Regel keine Zwetschgen findet, und wenn, dann kommen sie “aus dem Osten”, damit meinen sie hier aber nicht die Ukraine oder Moldawien, sondern den Osten von Frankreich. Das war mir lange unklar, weil ich, vom Süden schauend, natürlich alles “da oben” für den Norden hielt, den Osten aber irgendwo bei Polen verortete; aber nein, der französische Norden liegt oben links neben Belgien, bekannte Städte sind etwa Lille oder Arras, die liegen dann auch im Département “Nord” – Ch’ti-Land, falls Sie sich an den Film erinnern, und der französische Osten entspricht in etwa dem lieblichen Elsaß.

Da kommen sie in der Regel also her, die Zwetschgen, die man hier findet, sie sehen auch aus wie Zwetschgen, aber sie sind unreif und sauer. Und da man im Süden keine Zwetschgen kennt, kann man denen “da unten” immer erzählen, “das muss so”. Das wollen mir die Verkäufer auf dem Markt dann auch erzählen, aber hallo, ausnahmsweise können sie mir mal nichts vormachen, ich WEISS, wie Zwetschgen schmecken können! Süß nämlich, wenn sie schön reif sind, zumindest. Und sie werden reif, auch im Elsaß und auch in Deutschland! Ich kenn’ mich aus! Und diese winzigen blauen Pflaumen, kaum größer als Mirabellen, die waren göttlich! Und da sie anscheinend sonst keiner wollte, nahm ich alle, und weil sie so über-reif waren, bekam ich sie beinahe geschenkt. Und ich futterte sie selig und lutschte auf dem Kern herum und dachte an meine Kindheit und den Zwetschgenbaum im Garten und ich hatte plötzlich unbändig Lust auf “Latwerge”, gesprochen Laddwersch oder Ladwerje, oder noch ein bisschen anders, je nach Gegend. Ich habe da heute sogar schon die Etymologie bemüht. Und den Hinweis auf das südhessische Wörterbuch (Band 4, Spalten 167–168) verdanke ich einem ehemaligen Darmstädter Bibliothekskollegen! Herzlichen Dank KHK!

Latwerge ist sehr stark eingekochtes Pflaumenmus, und es ist erst dann “ferddisch, wenn de Kochleffel senkrecht drin stegge bleibt” (Hochdeutsch: es ist erst fertig, wenn der Kochlöffel drin stecken bleibt). Ich wollte Latwerge machen, aber es gibt kein Familienrezept, sodass ich erstmal lange das Internet durchlas und mich dann als Basis für dieses Rezept entschied, vermutlich weil mir das Bild am besten gefallen hat. Im Rezept taucht dann ziemlich viel Werbung auf, das nervt mich etwas, und wenn Sie es anklicken und lesen wollen, passen Sie schön auf, wo Sie dann im Text hinklicken. Hier mal ein Dank an all die Blogger und Bloggerinnen und Rezepte-VeröffentlicherInnen, die das weiterhin ohne nervig aufploppende Werbung machen!

Es gibt nicht nur zig Varianten, “Latwerge” auszusprechen, sondern ebensoviele, es herzustellen: auf dem Herd, im Ofen, Rühren oder nicht, mit Zucker oder ohne. Mit Gewürzen oder ohne. Gemeinsam haben alle nur den Umstand, dass man zunächst die Früchte entsteinen muss (mühsam bei den kleinen Pflaumen!) und es danach noch stundenlang braucht. Ich habe den Topf, nachdem er zwei Stunden im Ofen war, in denen nicht viel passiert ist, auf den Herd gestellt und dann gerührt.

Nach insgesamt fünf Stunden Rühren und Kochen war ich geschmacklich schon nah dran an Latwerge, nur von der Konsistenz nicht (“de Kochleffel blieb ned drin stegge”), aber ich entschied dennoch, dass es jetzt gut ist, und hatte damit leckeres Pflaumenmus! Es ist gar köstlich und ergab stolze neun (na gut, achteinhalb) Gläser!

Vielleicht koche ich es nächstes Mal noch etwas mehr ein. Im Moment bin ich aber auch mit dem dunkelroten Pflaumenmus ganz glücklich. Sprechen wir aber nicht von der Küche, sah aus wie nach einem Blutbad!

Kennen Sie Latwerge? Wie machen Sie es? Oder kaufen Sie es nur bei den Landfrauen, die es im Schichtbetrieb 24 Stunden lang rühren (zumindest tun sie das im hessischen Ried, wie mir Frau K., vormals Frau Dinktoc, zutrug.)

Eine klitzekleine Pflaumentarte gab es auch noch. Allerdings mit französischem Tarteboden.

Einen hab ich noch: Von einem Freund aus Darmstädter Tagen (Merci Doc!) bekam ich ein Video der Band “Handkäs mit Orangen” zugeschickt: Das ist hessischer Blues, vielleicht nicht für alle verständlich, aber der Blues ist “schwazz wie Ladweje” :-)

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4. Deutsches Filmfestival Cannes

Uuuund? Wie wars? fragen Sie vielleicht. Keine Frage: Natürlich war es toll!

Zugegeben, wir hatten ein bisschen Angst, dass das Thema “Leben in der DDR/Mauer/Mauerfall” beim vierten Mal nicht mehr so viel Publikum anziehen würde, aber weit gefehlt! Wir hatten nicht nur viel, sondern auch interessiertes Publikum, das auch nach dem Film blieb, zuhörte und diskutierte. Alle Filme waren umrahmt von einer kurzen Einordnung in die jeweilige politische und kulturelle Situation der DDR, die Vorstellung der Schauspieler und Regisseure, und es wurden all die Themen aufgezeigt, die zu einer Zensur oder zu einem Verbot des Films führen konnten, sowie nach der Vorstellung von der Möglichkeit Fragen zu stellen. Das alles war verständlich und ausreichend niederschwellig, sodass sich niemand scheute, beispielsweise zu fragen, um welchen Aufstand es sich denn “1953” gehandelt habe. Wieland Koch von der Defa-Stiftung, Historiker und ursprünglich Lehrer, eine wandelnde Enzyklopadie (nicht nur des Films) war perfekt vorbereitet und konnte auf jede noch so abwegige Frage antworten (Wann wurde die SA gegründet? Lebensdaten von Theodor Fontane?). Franka Günther übersetzte kongenial in beide Richtungen. Wir erhaschten so einen (winzigen) Einblick in das Leben in der DDR, das trotz mancher Schwierigkeiten nicht jeden Tag trist und unglücklich war, was man im Westen ja häufig immer noch glaubt.

Wir hatten bei allen Filmen gut gefüllte Säle, die beiden Vorpremieren wurden jeweils in einem großen Kinosaal gezeigt und waren zwar nicht ausverkauft, aber sehr gut besucht! Und das, obwohl es viele Konkurrenzveranstaltungen gab: zeitgleich fand, wie schon letztes Jahr, das große Yachting Festival in Cannes statt, es gab zusätzlich die Journées du Patrimoine, also die Tage des offenen Denkmals, mit einer Vielzahl an Events und nur an diesem Wochenende zugänglicher Gebäude, und in der Médiathèque hielt die leitende Wissenschaftlerin, die für den Wiederaufbau der Kathedrale Notre Dame de Paris verantwortlich ist, einen Vortrag über den Fortschritt der Baustelle, um nur drei andere Publikumsmagnete allein in Cannes zu nennen. Und dennoch hat unser Festival funktioniert! Obwohl wir einen holprigen Start hatten – nein, es lag nicht am Referenten Wieland Koch, der sich, obwohl er von Jena mit dem Auto angereist war und am ersten Festivaltag noch etwa 800km zurückzulegen hatte, pünktlich und kein bisschen müde einfand, es lag an einem läppischen DVD-Spieler, der just in diesem Moment streikte und uns den ersten Film, “Der Dritte”, ein Film mit Jutta Hoffmann, einfach nicht mit Ton zeigen wollte (obwohl es beim Probelauf noch funktioniert hatte).

Es musste also ein zweiter DVD-Spieler besorgt werden – ein Teil des Publikums ging während der Wartezeit ein Glas in den umliegenden Bistros trinken, andere gingen ganz nach Hause. Die aber, die geblieben waren, tauschten sich anschließend noch über die Modernität des Films aus, der an die Nouvelle Vague erinnert, über das frische Spiel von Jutta Hoffmann, das uns bezaubert hat, und über die Rolle und Situation der Frauen in der DDR (Buch, Drehbuch und Film stammten übrigens jeweils von einem Mann!) und über all die kritischen Szenen und flapsigen Töne des Films, die machten, dass er sofort verboten wurde die staunen lassen, dass er NICHT verboten wurde* : So bekommt Margit ihr erstes Kind von einem Lehrer, der, statt ihr Nachhilfestunden zu geben, mit ihr ins Bett geht! Der zweite Mann (gespielt von Armin Müller Stahl, den ich fast nicht erkannt habe) geht, allerdings nachdem er Geld veruntreut hat, in den Westen. Sehr spannend! Trotz der DVD-Panne ein guter Auftakt!

Am nächsten Abend sahen wir in einem großen und ziemlich vollen Saal “Das schweigende Klassenzimmer”; ein Film nach einer wahren Geschichte, von Westlern gemacht, über sechzig Jahre nachdem dieses Ereignis in der DDR stattgefunden hatte. Ist das nicht auch kulturelle Aneignung? Ich war ein bisschen skeptisch, aber der Film hat (nicht nur für mich) funktioniert, er war berührend und hat einhellig allen Zuschauern gefallen. Die wahre Geschichte dahinter und vor allem die Frage, was aus all den Schülern und Schülerinnen geworden sei, beschäftigte manche Zuschauerin nachhaltig. Im Buch von Dietrich Garstka, der Vorlage für den Film, erfährt man noch etwas mehr. Hier ein Text über den Besuch eines ehemaligen Schülers, heute natürlich ein älterer Herr, anlässlich des Erscheinens des Films, in einer Abiturklasse in Hessen.

Am nächsten Morgen hatten Monsieur und ich einen Termin in Nizza, so dass wir “Der rote Himmel”, der neue und silbern premierte Film von Christian Petzold, nicht sehen konnten. Ich hatte ihn aber bereits gesehen, und mochte ihn nicht wirklich, und gehe mit der einzigen nicht begeisterten Kritik, die es dazu gibt, konform. Alle anderen Kritiken singen Lobeshymnen, finden, dass der Film “ein luftiges Meisterwerk” sei, fühlen sich an Erik Rohmers Sommerfilme erinnert und was nicht alles, gähn. Ach, hier doch noch eine zweite schlechte Kritik. Anscheinend bin ich doch nicht so allein, der Film spaltet, manche hassen, andere lieben ihn. Nun gut. Der Kinosaal war voll und das Publikum überwiegend begeistert, hörte ich. So soll es sein.

Nachmittags gab es einen Defa-Film, “Coming out”, ein Film aus den achtziger Jahren über männliche Homosexualität in der DDR, über den im Vorfeld intern diskutiert worden war: Ist das Thema wirklich für das (bourgeoise ältere) Cannoiser Publikum geeignet? Ich bin froh, dass man sich dazu durchgerungen hat, den Film zu zeigen, denn, um es klar zu sagen, ich finde ihn großartig! Die Schauspieler (Matthias Freihof, Dirk Kummer) sind glaubwürdig und berührend (beide sind wirklich homosexuell, gerade nachgeschaut, das erklärt natürlich alles), man leidet mit dem Hauptdarsteller Philipp in seiner Zerrissenheit zwischen angepasster heterosexueller Beziehung mit Tanja, und seiner Anziehung zu Matthias, der seine große Liebe sein könnte, wenn er sich trauen würde (hinreißend Dirk Kummer!). Ich hatte, um ehrlich zu sein, nichts besonderes erwartet, aber es ist der Film, der mich bei diesem Festival am meisten berührt hat!

Aber vielleicht hat unsere Unentschiedenheit für diesen Film dazu geführt, dass das zweite Missgeschick passiert ist – es war nämlich ein falsches Kino angegeben worden. Wir standen alle in Le Cannet vor dem kleinen Kino Le Cannet Toiles, aber siehe da, der Film lief in einem anderen Stadtteil, in Rocheville nämlich, im Kino Cinétoiles. Die, die im Auto gekommen waren, sausten jetzt dorthin, mit dem Auto ist es zeitlich machbar in ein paar Minuten zum anderen Kino zu wechseln, mit öffentlichen Verkehrsmitteln muss man einmal mit der Kirche ums Dorf fahren, und käme nicht mehr rechtzeitig dorthin, und zu Fuß schon gleich gar nicht, wir vermuten, dass wir so viele potentielle ZuschauerInnen leider verloren haben. Trotz dieses Malheurs war der Saal erstaunlich voll, und es blieben viele ZuschauerInnen, um über die Hintergründe des Films: an echten Szenetreffpunkten und in einer echten Szenekneipe mit “echtem”, sprich homosexuellem Publikum gedreht; Charlotte von Mahlsdorf, eine berühmte Trans-Frau der DDR, hat im Film einen Gastauftritt, sie spielt die Bardame; über die beeindruckenden Schauspieler, über den Regisseur Heiner Carow, der sich sieben Jahre lang mit der Kulturabteilung des Zentralkommittees herumgeschlagen hatte, um den Film machen zu dürfen, und über Homosexualität in der DDR, die dort zwar schon seit 1968 nicht mehr strafbar war (Im Vergleich: für Gesamtdeutschland wurde der Paragraph 175 erst 1994 abgeschafft!), gesellschaftlich dennoch nicht akzeptiert, etwas zu erfahren.

Am nächsten Morgen sahen wir, erneut in einem großen Saal, “Zwischen uns die Mauer” – ein anderer West-Film über die (80er Jahre in der) DDR, erneut nach einer erlebten Geschichte, aber sie hatten gute Berater; denn so sehr ich mich mit dem Westteil des Films und dem West-Mädchen identifizieren konnte, in ihrer politischen Naivität und bis hin zum Halstuch, das sie trug, so sehr fanden sich Franka und Wieland in der gezeigten DDR wieder. Die achtziger Jahre sind “unsere” Zeit und wir berichteten aus unserer Ost-West-Erfahrung: Franka, die in der DDR Französisch studiert hatte, in der Gewissheit, dass sie nie nach Frankreich würde reisen können, erzählte, wie sie in der DDR eines Tages für einen belgischen Regisseur dolmetschen durfte, mit dem sie schon deshalb befreundet blieb, um Französisch sprechen zu können, und dass sie ihn in Prag traf – genau wie die Protagonisten des Films es zumindest vorhatten; sie erzählte auch wie sie seinerzeit den Mauerfall verschlafen hat. Wieland sprach von der evangelischen Kirche in der DDR, die, anders als die katholische Kirche, die sich weniger politisch zeigte, einen Freiraum bot für viele Menschen die “anders” dachten oder waren. Und ich berichtete von meinem Besuch (mit der Schule) in Berlin und dem Tag in Ostberlin, der mit der ungemütlichen Erfahrung beim Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße begann, den ich so ähnlich in Erinnerung hatte, wie er im Film gezeigt wurde. Und davon, wie wenig sinnvoll ich die 25 DM “Zwangsumtausch” (West-Sprache) bzw. “Mindestumtausch” (Ost-Sprache) ausgegeben hatte. In einem Café am Alexanderplatz nämlich, mit viel Torte, Kaffee und Saft, und nicht etwa in einer Buchhandlung oder in einem Plattenladen. Dieses Eingeständnis verfolgte mich dann bis aufs Kino-WC, wo mich eine Dame festhielt und lang auf mich einsprach, wie dumm ich doch gewesen wäre und warum ich nicht wenigstens in ein Museum gegangen sei, die schönsten Museen gäbe es doch in Ostberlin undsoweiter, sie konnte nicht aufhören, aber ich konnte den vor über vierzig Jahren begangenen Café-Besuch ja nun nicht mehr rückgängig machen, es war ein wenig mühsam, und beinahe wäre ich im Kino eingeschlossen worden, weil ich noch immer im WC war, während das Kinopersonal bereits das Rollgitter herunterließ.

Nachmittags dann sahen wir “Karla”, unseren letzten Festivalfilm, aber der erste Film, in dem die noch sehr junge Jutta Hoffmann mitspielte, der mich aber trotz der Frische und Unbeschwertheit ihres Spiels etwas ermüdete. Die Ernsthaftigkeit, mit der man sich in dem Film der Frage des “Kritik übens” und “wann man wie seine Meinung sagen kann” auseinandersetzt, und in dem auch wieder jeder gesprochene Satz eine tiefere Bedeutung zu haben scheint, hat mich leider nicht gefesselt. In der damaligen DDR sah man diese Auseinandersetzung mit Kritik aber ungern und der Film wurde verboten. Ich verlinke hier nachträglich noch diesen NDR-Beitrag zu Jutta Hoffmann, in dem sie auch etwas zu “Karla” sagt. Unser Publikum war aber immer noch da, stellte auch immer noch Fragen, und Wieland Koch beantwortete sie unermüdlich und freundlich und dank seines umfassenden Wissens bis ins letzte Detail, und Franka übersetzte weiterhin genauso freundlich und professionell.

Sicher ist, ohne Wieland Koch und Franka Günther hätten wir die Filme nicht wirklich verstanden und das Festival hätte nicht diese Tiefe bekommen! An dieser Stelle noch einmal von Herzen Dank für das Engagement beider, das viel persönlichen Einsatz erforderte und unentgeltlich erfolgte, denn unser Filmclub ist zwar engagiert, hat nur ein winziges Budget!

Und dann haben sie uns auch noch riesige Mengen von DDR-Viktualien mitgebracht: Hallorenkugeln, Knusperflocken, Geleebananen, Kalter Hund und Schlager Süßtafeln, Erdnussflips und Salzbrezeln und noch allerhand anderes. Das alles gab es für das Publikum zu verkosten, dazu gab es, nein, nicht Rotkäppchensekt sondern französischen Champagner oder Saft. Wir standen noch lange vor dem Kino herum und plauderten und naschten Schokolade und winkten Wieland und seiner Frau Ulli zum Abschied nach, die sich wieder auf den Heimweg nach Jena machten. Und immerhin haben wir uns mit “à l’année prochaine” verabschiedet. Bis zum nächsten Jahr! Ein 5. Deutsches Filmfestival? Na klar!

* Danke an Franka fürs aufmerksame Lesen und die Korrektur!

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