Heute Morgen habe ich mir eine Haarspange in den Haaren so verklemmt, dass ich sie nicht mehr entfernen kann. Die Haare sind jetzt, so wie ich das zum Gesicht waschen und eincremen mache, nach oben und stirnfrei verklemmt. Man sieht jetzt meinen dunklen Haaransatz und … aaah kreisch .. meine grauen Haare, die da jetzt auch sind. Neulich kursierte schon der Witz, dass wir in drei Wochen alle sehen werden, welche Haarfarbe wir eigentlich haben. Glücklicherweise treffen wir ja aber nur so wenige Menschen Ich hatte leichtsinnigerweise den Friseurbesuch zu lange rausgezögert, dachte, ach das geht noch, ich gehe nächste Woche, und dann ging es eben nicht mehr. Es wird auch das Leben meiner Friseurin, ein Ein-Frau-Unternehmen, stark komplizieren. Wenn sie in sechs Wochen (so lange soll die Ausgangssperre vermutlich dauern) noch existiert, wird sie allerdings ziemlich viel zu tun bekommen. Vermutlich gibt es ganz neue Schnitte, Typ- und Farbveränderungen, vielleicht trage ich die Haare zukünftig lang und dunkel und mit reizenden grauen Strähnchen?!
Es wird langsam weniger lustig. Ständig neue Verordnungen. Der Ausgangsschein ist erweitert worden, man muss jetzt auch die Uhrzeit eintragen. Wir dürfen maximal eine Stunde unterwegs sein, uns nur einen Kilometer im Umkreis unseres Wohnortes bewegen und das nur einmal am Tag. Wie das mit (großen) Hunden zu machen sein soll, ist mir ein Rätsel. Aber, wir dürfen jetzt mit den Menschen, mit denen wir zusammenwohnen, rausgehen! Das ist toll!
Ein Freund, der mit seiner Frau und zwei bewegungshungrigen Kids am Wochenende auf einem leeren Parkplatz Boule spielte, wurde verwarnt und die Familie zurück in ihre kleine Balkonlose Wohnung geschickt. Das ist jetzt erlaubt, immerhin!
Gestern bekamen wir einen automatisierten Anruf der Stadt und ich bekam eine Nachricht aufs Handy geschickt. Ab heute wird Cannes großflächig desinfiziert: Straßen vor Apotheken und Läden, Plätze, Parks, Spielplätze, Sportgeräte, Sitzbänke, Ampeln, öffentliche Gebäude, Nahverkehr, Geländer, Barrieren und was man eben alles anfassen kann. Die Buslinien wurden so gut wie eingestellt, außer natürlich die Buslinie 2, die vor unserem Haus zirkuliert, die bleibt bestehen, weil sie zum Krankenhaus fährt. Medizinisches Personal darf kostenlos von Taxis gefahren werden, alle anderen sollen zuhause bleiben.
In Sanary darf man jetzt nicht mehr für ein einziges Baguette rausgehen, lese ich heute in Nice Matin, die tapfer neben all den tristen Nachrichten (Die Krankenhäuser bitten händeringend um Masken und Schutzkleidung!) eine Extra-Beilage Corona-Virus machen, mit ein paar Seiten für Kinder (Malwettbewerb, wir malen einen Arzt, haha), für Eltern, Paare (neuer Sex währen der Corona-Krise) und Hundebesitzer. Heute gibt es ein Interview mit den Mönchen auf der Ile de St. Honorat, Experten im “Eingeschlossen sein”.

Sie sagen im Prinzip das, was alle sagen: sich den Tag einteilen, sich nicht hängenlassen, Dinge tun, für die man sonst keine Zeit hat, Angstmachende Medien (Fernsehen, Internet) meiden, stattdessen lesen, meditieren, beten. Und Kontakt halten zu anderen Menschen, Freunden, Nachbarn, Familie. Gespräche suchen und sich vielleicht auch versöhnen, es sei nicht der Moment, zerstritten zu sein.
Eine (etwas ältere) Freundin schrieb mir, dieser Zustand erinnere sie an den Krieg. Da käme gerade wieder viel hoch. Ich dachte das gestern auch, obwohl ich den Krieg gar nicht selbst erlebt habe, aber ich erinnerte mich beim gestrigen Einkauf an den Film “La traversé de Paris”, der zu der Zeit spielt, als Frankreich von uns Deutschen besetzt war. Ich erlebe es ja zum ersten Mal, dass es Dinge im Supermarkt nicht gibt. Zwei Wochen lang keine Eier. Kein Mehl. Lücken in den Regalen. In diesem Film schleppen Bourvil und Jean Gabin trotz Ausgangssperre ein illegal geschlachtetes Schwein in vier Koffern durch Paris. Und man sieht, wie ein Lebensmittelhändler (Louis de Funés) in seinem Keller Lebensmittel, die es offiziell nicht mehr gibt, gehortet hat. Was mir beim letzten Ansehen des Films auch aufgefallen ist, ist diese laute und ruppige Art, wie sie damals miteinander gesprochen haben, und wieviel immer gepichelt wurde. Hier ein Calva, dort ein Weinchen und noch eines und noch eines. Allez, eins geht noch. Das fällt mir auch in Simenons Maigret Romanen immer auf. In “Maigret macht Urlaub”, ist Maigret morgens um halb Neun schon beim zweiten Glas Weißwein. Man könnte meinen, alle seien immer halb betrunken durch die Welt gelaufen. Vermutlich brüllen sie auch deswegen so viel.
Diese ruppige Art zu sprechen fällt mir ebenso auf wie die neue deutsche Art, wahnsinnig lieb zu sein. In den Videos junger Frauen, die ich jetzt verstärkt anklicke, und die einem von Achtsamkeit, Yoga und Meditation erzählen, geht es immer ganz sanft zu und richtig herzig. “Hallo Ihr Lieben”, werden wir sanft begrüßt. Oder “ooh, heute stelle ich Euch die liiiebe XY vor”. Alles ist ganz schön und ganz lieb und ganz sanft. So kuschelig-wuschig irgendwie. Das ist mir auch neu.
Hier eine achtsame und ernstgemeinte, aber etwas weniger wuschige Video-Umarmung. Ist auch ein Mann.

Was war noch? Uderzo ist gestorben, der Zeichner von Asterix, Obelix und Idefix. Sehr schöner Artikel mit Kultszenen in Le Monde. Französisch natürlich. Hier ein deutsches Filmchen bei Arte.
Nachtrag: Gerade erhielten wie einen Anruf, Cannes war in den Nachrichten zu sehen, und man sah, wie gerade die Straße vor unserer Boulangerie und dem Lädchen desinfiziert wurde!
Sie haben sich auch zahlreich nach Monsieurs Sohn erkundigt, herzlichen Dank dafür! Wir hatten ihn am Telefon, das Fieber ist erstmals weg, er hat rasend schnell 20 Kilo abgenommen (ich habe nachgefragt, weil mir das so unwahrscheinlich schien), weil er so wahnsinnig geschwitzt und weder getrunken (schlecht!) noch gegessen hat. Es geht ihm besser. Aber noch ist er schwach und liegt im Bett (und schaut jetzt immerhin Serien)
So viel für heute. Bleiben Sie zu Hause! Und bleiben Sie gesund!