Ein 12 von 12 aus den Bergen hat es meines Erachtens noch nicht gegeben, oder zumindest schon lange nicht mehr.
Der heutige Tag ist untermalt von osteuropäischer Folkloremusik; die Bauarbeiter, die heute hier arbeiten, kommen aus Moldawien und wenn sie alleine sind, also ohne französische Kollegen, dann hören sie ihre Musik. Da wird gegeigt und gefidelt und das Akkordeon geschwungen und heiheihei und hoppsassa, den ganzen Tag geht das so. Ich habe im Internet vergeblich Beispiele gesucht, es ist schmissiger und moderner als reine moldawische Volksmusik, die ich mir angehört habe, es ist kein Balkan-Pop und keine Russendisko, ich habe in alles reingehört, es ist nicht Dakha Brakha, und auch nicht das, was wir einmal in Cannes bei einem Afterwork-Konzert gehört haben, aber so in etwa. Das stellen Sie sich jetzt bei jedem Foto mit vor, die Herren sind nämlich schon früh um Acht da, und sie werden erst um 18 Uhr wieder gehen. Es mischt sich mit – derzeit allerdings gemäßigtem – Baustellenlärm: Gepolter, schwere Schritte, Bohren, Sägen. Auch Monsieur mischt gelegentlich mit.
Frühstück auf dem Bridgeteppich von Monsieur. Hat er nicht so gern, aber er hat ihn auch nicht weggeräumt.
Ich blockiere wie jeden Morgen einen haufen Scammer-Profile, gutaussehende, häufig verwitwete Chirurgen oder Orthopäden, manchmal folgen sie schon sechstausend anderen, aber sie wollen nur mich, herrjeh! Heute habe ich auf FB auch einen General dabei, der mein Profilfoto bei sich veröffentlicht hat. Ich melde ihn mal als “Belästigung”.
Einkaufen im Dorf: Im Gemeindeofen gibts Eier, Joghurt und Käse. Heute aber gibts nix mehr. Pech gehabt.
Es wird aber bald Quitten bei der Nachbarin geben.
Bisschen Hausarbeit.
Bisschen Arbeit am PC. Ungeschöntes Arbeitsstilleben.
Monsieur arbeitet auch lautstark.
Mittagessen. Seit zwei Tagen habe ich wieder einen funktionsfähigen Backofen! Ich bekam eine Art Ricotta von den Schäferfamilie geschenkt, aus dem ich eine Art Käsekuchen gebacken habe, war lecker! Und von geschenkten Zucchini habe ich eine ebenso leckere kleine Tarte gebacken!
Sieste fällt aus, zumindest meine, wegen zu viel Akkordeonmusik. Ich lese. Ich mag es sehr, auch wenn es stellenweise unerträglich ist.
Besichtigung der Baustelle.
Ich werfe alles zusammen, räume den Kühlschrank aus und die Wohnung halbwegs auf. Wir fahren runter nach Cannes.
In Guillaumes wollten wir beim Metzger noch Fleisch kaufen, beim Bezahlen merkt Monsieur, dass er sein Portemonnaie oben vergessen hat. Er fährt wieder hoch. Ich trinke derweil etwas im Bistro. Kilometermäßig ist es nicht viel, aber die Kurven … ich warte über eine Stunde.
Achtung! Versehentlich wurden auf der Seite von Cinécroisette und dann auch hier bei mir die Kinosäle der beiden Nachmittagsfilme am Wochenende vertauscht, ich habe es jetzt richtiggestellt:
Coming Out: Cinétoile Rocheville samedi 16 septembre 15h
Karla: Le Cannet Toiles, Le Cannet dimanche 17 septembre 15h
Gefühle vor einem historischen Hintergrund Bereits zum vierten Mal veranstaltet Cinécroisette sein Festival des deutschen Films mit einem außergewöhnlichen Programm, darunter drei Filme der DEFA (“Der Dritte”, “Karla” , “Coming out”), der Filmgesellschaft der DDR, die uns einen authentischen Einblick in den Alltag der ostdeutschen Bürger geben. Filme, die zu ihrer Zeit der Zensur unterlagen oder verboten wurden, weil sie von der Regierung als zu frei oder zu kritisch eingestuft wurden. Filme, die heute fast nirgends mehr zu sehen sind, obwohl sie Perlen der Zeitgeschichte und der Filmwelt sind. Um die Filme für uns heute verständlich zu machen, werden sie vorgestellt und kommentiert von Wieland Koch von der DEFA-Stiftung sowie von Franka Günther, die bis vor kurzem noch beim Institut Français in Erfurt tätig war, und die ebenso die Übersetzung für das französische Publikum übernehmen wird. Als thematische Ergänzung werden drei aktuelle deutsche Filme gezeigt, darunter “Zwischen uns die Mauer”, der zum ersten Mal in Frankreich zu sehen ist, sowie die Vorpremiere von Christian Petzolds Film “Der rote Himmel”, der während der Berlinale 2023 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.
Das ist, meine Damen und Herren, die offizielle Ankündigung für unser Filmfestival. Tatsächlich ist es schon das vierte Mal, dass wir mit Cinécroisette deutsche Filme zeigen werden, dieses Mal kein reines DEFA-Festival wie etwa letztes Jahr oder im November 2019, aber wir zeigen doch drei DEFA-Filme (DEFA = Filmgesellschaft der DDR), denn nachwievor interessiert uns das deutsch-deutsche Thema, das wir dem französischen Publikum zu vermitteln suchen. Der sechste Film, der nicht mehr in die Ankündigung passte, und der auch nicht brandneu ist, hier aber noch nicht zu sehen war, ist “Das schweigende Klassenzimmer”.
Eröffnungs- und Abschlussfilm werden von einer der Hauptdarstellerinnen getragen: Jutta Hoffmann, die vom Publikum begleitet wird auf der Suche nach dem “Mann ihres Lebens” (“Der Dritte”, 1972, Preis für die beste weibliche Darstellerin auf der Mostra 1972) und bei der Suche nach ihrem Platz in einer Gesellschaft voller Zwänge und Verbote (“Karla”, 1965 veröffentlicht, später verboten und 1990 tatsächlich veröffentlicht).
Der Dritte: Margit ist Mitte 30 und scheint auf den ersten Blick eine erfolgreiche Frau zu sein. Mathematikerin und Managerin eines der ersten Datenzentren des Landes, verkörpert sie die personifizierte Emanzipation. Aber es gibt einen wunden Punkt: Margit ist eine alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern. Die beiden Kinder stammen von verschiedenen Vätern. Ihr großer Wunsch ist eine neue Beziehung. Sie ist nicht mehr bereit, sich den Verhaltensweisen der Gesellschaft anzupassen und als Frau auf ihren idealen Partner zu warten – sie geht auf der Suche nach ihm in die Offensive.
Karla, eine idealistische junge Frau, die gerade ihr Studium als Lehrerin abgeschlossen hat, tritt ihre erste Stelle in einer kleinen Stadt im Norden der DDR an. Sie versucht, ihre Schüler dazu zu ermutigen, freie Menschen zu werden. Sie findet Freunde und Feinde. Sie findet auch einen Mann, der einst als Journalist über Stalins Verbrechen schreiben wollte und der mehr noch als sie auf Unverständnis und Verbote stieß.
Wir haben keinen Trailer für “Karla” gefunden, aber hier ein interessantes Interview mit dem Regisseur Herrmann Zschoche.
Zwei weitere Filme dieses Festivals greifen die Geschichte Deutschlands auf und stellen uns einerseits junge Menschen vor, die sich gegen ein System stellen, in dem die demokratische Diskussion fehlt (“Das schweigende Klassenzimmer” 2018) und andererseits ein junges Paar, das sich bei einer von der evangelischen Kirche getragenen Ost-West Begegenung kennenlernt und versucht, seine Liebe trotz der sie trennenden Berliner Mauer zu leben (“Zwischen uns die Mauer”, 2023).
Das schweigende Klassenzimmer: Kurt, Theo und Lena sind 18 Jahre alt und bereiten sich auf ihr Abitur vor. Zusammen mit ihren Mitschülern beschließen sie, in der Klasse eine Schweigeminute zu Ehren der ungarischen Revolutionäre abzuhalten, die von der Sowjetarmee hart niedergeschlagen wurden. Diese Schweigeminute wird zur Staatsaffäre. Sie wird ihr Leben auf den Kopf stellen. Gegenüber einer DDR-Regierung, die entschlossen ist, die Verantwortlichen zu identifizieren und zu bestrafen, müssen die 19 Schüler von Stalinstadt sich allen Bedrohungen stellen und zusammenhalten.
Zwischen uns die Mauer: Anna lernt Philipp kennen, den Sohn eines in der DDR lebenden Pfarrers, einen desillusionierten, aber charmanten Zyniker, in den sie sich verliebt. Ihre Beziehung wird per Briefwechsel fortgesetzt und mit gelegentlichen Besuchen, nach dem genehmigten Verfahren, für die Dauer eines einzigen gestohlenen Tages. Doch bald wird eine Idee zur Obsession: sich für immer zu treffen, jenseits der Mauer, die sie trennt.
Als Ergänzung haben wir zwei Filme ausgewählt, die das Erwachen der Sexualität und der Liebe zum Thema haben.
“Der rote Himmel” (erschienen 2023, Silberner Bär bei der Berlinale) ist eine Vorpremiere für Frankreich! “Coming out” hingegen kam am Abend des 9. Novembers 1989 in Ost-Berlin erstmal ins Kino, exakt zu dem Zeitpunkt, an dem die Mauer in Berlin fiel. Der Film wurde bei der Berlinale 1990 ebenfalls mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.
Der rote Himmel: Ein kleines Ferienhaus an der Ostsee. Die Tage sind warm und es hat seit Wochen nicht mehr geregnet. Vier junge Leute treffen sich, alte und neue Freunde. Die ausgedörrten Wälder um sie herum beginnen zu brennen, ebenso wie ihre Gefühle. Glück, Lust und Liebe, aber auch Eifersucht, Groll und Spannungen. Währenddessen brennen die Wälder. Und schon bald sind die Flammen da.
Coming Out: Der ehrgeizige Lehrer Philipp Klarmann erfreut sich an seiner Schule großer Beliebtheit. Dann verliebt sich seine Kollegin Tanja in ihn und die beiden werden ein Paar. Als Philipp jedoch seinen ehemaligen Klassenkameraden Jacob wiedertrifft, mit dem er eine Beziehung hatte, wird der junge Lehrer mit seiner unterdrückten Homosexualität konfrontiert. Als er Matthias in einer Schwulenbar kennenlernt, verlieben sich die beiden Männer ineinander. Philipp gerät in einen immer stärker werdenden emotionalen Konflikt, während er versucht, seine Beziehung zu Tanja und Matthias aufrechtzuerhalten. Für Philipp beginnt ein schmerzhafter Prozess der Selbsterkenntnis, der ihn zu seinem Coming-out und dem offenen Eingeständnis seiner eigenen Homosexualität führt.
Alle Filme werden in Kinosälen in Cannes und Le Cannet in deutscher Sprache mit französischen Untertiteln gezeigt.
Bitte beachten Sie! Versehentlich wurden auf der Seite von Cinécroisette und dann auch hier bei mir die Kinosäle der beiden Nachmittagsfilme am Wochenende vertauscht, ich habe es jetzt hier richtiggestellt:
Der Dritte: Théâtre Alexandre III jeudi 14 septembre 18h
Das schweigende Klassenzimmer: Olympia vendredi 15 septembre 18h
Der rote Himmel: Les Arcades samedi 16 septembre 10h30
Coming Out: Cinétoile Rocheville samedi 16 septembre 15h
Zwischen uns die Mauer: Les Arcades dimanche 17 septembre 10h30
Karla: Le Cannet Toiles dimanche 17 septembre 15h
Na? Lust bekommen? Dann kommen Sie ins Kino! Wir freuen uns auf Sie!
Ps: Natürlich können Sie ins Kino kommen und die Filme sehen, OHNE Mitglied bei Cinécroisette zu sein. Eintrittspreis ist, je nach Kino, nicht sehr hoch, die Vormittagsvorstellungen sind ohnehin reduziert. Aber als Mitglied sind SÄMTLICHE Filme DIESES Festivals kostenlos, und der Eintritt in allen Kinos von Cannes, einschließlich Cinéum, bis zum Ende des Jahres (für i.d. Regel französische Filme) reduziert. Eine Mitgliedschaft lohnt sich also vor allem, wenn man alle, oder sagen wir drei Filme des Deutschen Festivals sehen will (und Lust hat, in der Folge noch den einen oder anderen französischen Film in einem Cannoiser Kino zu sehen).
Es ist möglich noch eine “halbe” Mitgliedschaft zu erwerben, die dann bis Ende des Jahres gilt: 15€/Person und 25€/Paar.
Wenn Sie Mtiglied werden wollen, geht das auch noch am Abend vor der ersten Vorstellung, allerdings bitten wir Sie, frühzeitig da zu sein – der Verein und die Kinos sind getrennte Organismen – wenn wir (der Verein) Ihnen eine Mitgliedskarte ausstellen, braucht es ein paar Minuten für die Anmeldung;
ACHTUNG: Sie benötigen für die Mitgliedskarte ein kleines Foto von sich (3x4cm), kann ein altes Passfoto sein, dass man zurechtschneidet oder ein Foto, aus dem Sie gut erkennbar sind.
Mit dem Ausweis, den Sie dann an der Kinokasse vorzeigen, kommen Sie kostenlos in die Vorstellung.
Sie kennen das schon, wenn Sie hier bereits ein Weilchen mitlesen, diese typisch französische und unübersetzbare Wiederanfangsphase im September nach einem langen und, dieses Mal nicht nur im Süden, sehr heißen Sommer: Wir sprechen von la rentrée.
Dieses Jahr ist es, zumindest bei uns, ein bisschen anders. Die Kinder sind nämlich definitiv aus dem Haus. Es werden also dieses Jahr keine neuen Schulrucksäcke gekauft, keine neue fournitures scolaires, keine neuen Schulklamotten. Stattdessen wurden Zimmer in Wohnheimen und kleine Einzimmerwohnungen gesucht und zwar in Lyon. Die Kinder sind groß (es handelt sich um meine angeheirateten Enkelkinder, nicht um meine Kinder, das wissen Sie schon), siebzehn und neunzehn sind sie jetzt und sie sind beide, wenn auch auf einer jeweils anderen Hochschule, in Lyon gelandet.
Das französische Studiensystem ist anders als das deutsche, man studiert überwiegend an “Grandes Écoles”, also an (Hoch-) Schulen, und es ist auch deutlich verschulter. Es gibt zunächst eine in der Regel zweijährige “Prépa”, meint Classes préparatoires aux grandes Écoles, einen intensiven Vorbereitungskurs auf das Studium, mit Unterricht von morgens bis abends, manchmal sogar samstags und vielen Tests. Je nachdem, wie man diese Prépa absolviert, stehen einem danach Türen zu mehr oder weniger angesehenen Grandes Écoles offen. So war es für den Enkel. Es gibt aber auch Hochschulen, die zwei Jahre Prépa und das anschließende Ingenieursstudium am gleichen Ort anbieten. Sie sind vielleicht etwas weniger prestigeträchtig, das sage ich hier ohne Gewähr, so genau habe ich das System nicht durchschaut, es ist auf jeden Fall kompliziert; aber es gibt ja auch in Deutschland große Unis oder Technische Hochschulen, die für dies oder das berühmt sind, oder praxis- und anwendungsorientierte Fachhochschulen. Auf jeden Fall läuft es so (Prépa und Studium an derselben Schule) für die Enkelin. Wohnungssuch-und Umzugslogistisch ist es zumindest einfacher, dass beide in derselben Stadt sind. Ein bisschen erleichternd auch, zumindest für die Eltern und für die Enkelin, die aus dem Familienkokon schlüpft und in die große weite Welt zieht, dass der Bruder auch da ist. Der Enkel hat seine zweijährige Prépa und das erste Alleinleben in Nizza absolviert. Das war nicht zu weit weg, alle zwei, drei Wochen sah man ihn so wieder.
Jetzt aber werden die (Enkel-)Kinder nicht schon wieder am nächsten Wochenende mit ihrer Schmutzwäsche anreisen, sondern erst während der Novemberferien rund um Allerheiligen. Wäsche wird vor Ort gewaschen, im Wohnheim der Enkelin gibt es sechs riesige Waschmaschinen und Trockner, wie wir gestern per Whatsapp-Fotos sehen konnten. Gut, das kennen Sie vielleicht auch alles von Ihren Kindern oder EnkelInnen.
Was es aber meines Erachtens in Deutschland so nicht gibt, ist das sogenannte “bizutage”. Ich zitiere aus dem Larousse : “In Frankreich bezeichnet der Ausdruck ein traditionelles Aufnahmeritual an Schulen für die “classes préparatoires”, an den “Grandes Écoles” und an bestimmten Universitäten. Zu Beginn des Studienjahres treiben die Studenten der höheren Jahrgänge ihre Späße mit den neuen Mitschülern oder Kommilitonen und spielen ihnen (meist üble) Streiche.”
Das muss man sich ein bisschen wie die in Mode gekommenen Junggesellinnen-Abschiede vorstellen, wo die junge zukünftige Braut (oder der zukünftige Bräutigam), umgeben von besten FreundInnen, am Tag/Abend vor der Hochzeit, nicht nur alkohollastig feiert, sondern oft auch öffentlich irgendeinen albernen Mist machen muss.
In Frankreich, ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr wo, habe ich vor vielen Jahren, um nicht zu sagen im letzten Jahrhundert, einmal verständnislos von zwei jungen Mädchen einzelne rosa Klopapierblättchen abgekauft; sie hatten noch eine ganze Rolle Klopapier (in Einzelblättchen) für damals noch ein paar französische Centimes zu verkaufen. Erst, wenn sie alle Blättchen verkauft hatten, waren sie erlöst, erklärten sie uns. Und damit sie nicht schummelten, wurden sie von älteren Studierenden begleitet, klar. Die ganze Innenstadt war voll mit jungen Menschen, die versuchten Klopapier an den Mann und an die Frau zu bringen. Das dabei eingenomme Geld diente dazu, abends die Fete zu organisieren.
Ein andermal, vor noch nicht allzulanger Zeit, wurde ich aufgefordert, gegen eine kleine finanzielle Gegenleistung, mit einer Dose Sprühsahne einen jungen Mann zu besprühen; “wohin ich wollte” bestätigten mir seine feixenden Begleiter – ich war nicht so sicher, ob ich das wirklich wollte und sah mir den Jungen an, ob ich in seinen Augen etwas von Qual und Leid sah, aber er grinste resigniert, ohnehin musste er da heute durch, also kleckste ich ihm gegen einen Euro zwei freundliche Sahnetupfer auf die Wangen.
Die Enkelin hatte ihren ersten Hochschultag schon am 1. September. Um 8 Uhr morgens begann er mit allerhand Informationen und danach waren “Spiele” angekündigt – man solle bequem angezogen sein und keine Absätze tragen, hieß es. Sie war ein bisschen bange und machte sich auf alles gefasst. Aber die (naturwissenschaftliche) Hochschule hat einen katholischen Träger (Lyon ist noch immer sehr bürgerlich und katholisch) und die Spiele blieben “bon enfant”, brav: die “Neuen” mussten nur stundenlang Treppauf- und Treppabrennen und ein paar Aufgaben erledigen, um so spielerisch den Campus kennenzulernen.
Es gibt aber dennoch an einigen Schulen diese Mischung aus Karneval und Klamauk und ein bisschen Gemeinheit. Trotz des derzeit noch heißen sommerlichen Temperaturen in Lyon, bin ich erleichtert, dass die Enkelin nicht im Brunnen sitzen muss und mit Mehl beworfen wird. Ob der Enkel, der erst am Montag anfängt, Bizutage zu erleiden hat, erfahren wir später.
Hier kommt noch etwas nachgetragene Berg-Berichterstattung vom 15. August.
Spätestens jetzt am hochheiligen 15. August, Maria Himmelfahrt, Ferragosto in Italien, definitiv Ferienhöhepunkt, sind alle anderswo, wo es dann übervoll und laut ist. Meer, Berge, ganz egal. In abgelegenen Buchten gibt es frühmorgens schon keinen freien Platz mehr. Stille und sonst menschenleere Dörfer sind laut und voll. Man ist unter Freunden oder in Familie, man isst, trinkt und feiert. Es ist Sommer.
Und wir sind auch anderswo, aber nur weil es den großen Flohmarkt in Puget-Théniers gibt, den man unmöglich nicht besuchen kann. Was hat Monsieur hier schon Schätze gefunden!
Definitiv ein anderes Ambiente als der Flohmarkt in Berlin.
Aber keinesfalls kann man mit dem Gatten gemeinsam über den Flohmarkt schlendern, zu unterschiedlich sind unsere Flohmarktinteressen: ich – Klamotten, Deko, Geschirr, Absonderliches, aber alles nur, wenn es wirklich “besonders” ist, weil wir eigentlich alles schon haben außer Platz, um noch mehr Kram unterzubringen (ich schleppe aus diesem Grund ein kleines Retro-Blumenbänkchen aus Metall mit, das ich aus dem Keller des Schulhauses mitgenommen habe, um es dem erstbesten Menschen, dem es gefällt, zu überlassen), er – Bücher, Werkzeug, Dinge, die man mal brauchen könnte, für die man immer Platz findet, versteht sich.
Kaum angekommen, stelle ich das Blumenbänkchen dezent neben ein Schränkchen, das an einer Platane lehnt und auch niemandem zu gehören scheint. Vielleicht findet sich ein Liebhaber oder eine Liebhaberin. Monsieur und ich machen aus, uns in zwei Stunden wieder hier zu treffen.
In der Stadt gibt es aktuell eine Kunst-Installation, Der Verein La vallée aux oiseaux hat große Origami Vögel (Kraniche) über den Fluss Roudoule gespannt und überall in der kleinen Stadt installiert – sie sind nachts beleuchtet, was es noch poetischer macht. Den Kranichen folgend laufe ich, vielleicht zum ersten Mal, durch enge Gassen und Sträßchen bis hinauf zur Kirche.
Mitten im Flohmarktgetümmel an einem alten Haus der Hinweis auf eine “Haushaltsauflösung im letzten Stock”. Dem kann ich nicht widerstehen, schon weil ich gern in alte Häuser gucke. Es ist ein gewisser Schock. Das Haus ist abgewohnt, krumm und schief, mit niedrigen Decken, das Treppenhaus eng, abgenutzte Bodenkacheln, ein Geländer, auf das ich mich stütze, fällt mir entgegen.
Die Menschen, die trotzdem hier wohnen, schauen verdutzt aus ihren Türen, weil ein nicht enden wollender Strom von Menschen hinauf- oder wieder herunterläuft.
Unter dem Dach falle ich fast in Ohnmacht, so wenig Luft gibt es, so viele Menschen stauen sich um so viel muffigen Müll. Brauchbare und unbrauchbare Stühle, Kleinmöbel, Regalbretter, zusammengerollte Teppiche, Geschirr, Gläser, Töpfe und Pfannen jeglicher Art und Qualität stapeln sich überall auf dem Boden, auf Tischen und Buffets und sogar auf dem Klo. Kleider, Bett- und Tischwäsche quellen aus Kommoden und aus uralten wuchtigen Schränken, von denen ich mich frage, wie man sie hier hochbekommen hat und wie man sie bei der niedrigen Decke hat aufstellen können. Die Wände hängen voller Bilder, Heiligenbilder, fragwürdiger Kunst und Kitsch. Es ist ein potenzierter Messie-Haushalt oder eine Ansammlung von zig Haushaltsauflösungen, ich weiß es nicht, ich will hier auf jeden Fall nichts anfassen und nur so schnell wie möglich wieder raus. Ein paar Fotos mache ich dennoch.
Der Blick aus einem Treppenhausfenster ist aber sehr nett.
Monsieur und ich treffen uns trotz Getümmel bereits unterwegs. Er schleppt sich mit einer Tasche voller Bücher und Werkzeug ab. Ich habe für 50 Cents nur ein Salz-und-Pfefferschälchen erstanden. Eigentlich wollten wir hier im Städtchen essen, aber es ist uns zu voll, also fahren wir zurück nach Entrevaux.
Nein, ich habe keinen netten Restauranttipp fürs Hinterland. Das von uns seinerzeit so geschätzte Café Central in Guillaumes wurde verkauft, die Nachfolge ist so hmhm, also versuchen wir unser Glück im großen Restaurant gegenüber der befestigten Vauban-Stadt. Wir bekommen die letzten zwei Plätze unter einem Schatten spendenden Baum mit Blick auf die Stadt, das ist ganz klar ein Plus am heißen 15. August. Im Restaurant gibt es ein Tausch-Bücherregal mit gar nicht mal so schlechter Auswahl, und so lasse ich Monsieur hier beim Apéro in einem Buch schmökern und laufe mal wieder ein wenig durch Entrevaux, das stets, so auch heute, eigenartig verschlafen und leer ist, wo es doch so spektakulär aussieht. Auch Entrevaux habe ich bereits einmal erwähnt. Sie merken, so richtig woandershin komme ich nicht. Ich bin aber gespannt, ob es etwas Neues gibt.
In der Boucherie gibts nun Bücher. Und nein, Boucherie, auch wenns ähnlich klingt wie Bücherei, meint eigentlich Metzgerei. Es gibt keine mehr, so wie’s aussieht. Auch in der Metzgerei auf dem Platz wird jetzt Kunst angeboten. Erste Zeichen von Gentrifizierung, wie ich in Berlin gelernt habe.
Immerhin gibt es eine neue kleine Bio-Épicerie
Und es gibt eine Art Straßen-Kunst.
Und viele alte Häuser, die von außen malerisch aussehen, von innen vermutlich dem alten Haus in Puget-Théniers ähneln.
Ansonsten gibt es eine Handvoll wenig attraktiver Kunsthandwerks-Läden mit selbstgefertigtem, eher wenig originellem dafür teurem Perlenschmuck. Ich weiß nicht viel über Entrevaux, das zu einem anderen Département gehört. Das Département 04, les Hautes-Alpes, ragt hier mit Entrevaux ins Département 06, den Alpes Maritimes. Auf der Karte unten rechts.
Jedes Mal denke ich, ich sollte etwas in Erfahrung bringen über die Menschen, die hier leben, denn ein paar leben ja wohl noch oder wieder hier. Aber dann ist es wieder weniger wichtig geworden und ich habe genug anderes zu tun.
Ein paar Kinder rennen im Badeanzug an mir vorbei und ich folge ihnen neugierig. Sie verschwinden in einem Durchgang und schwupps sind sie weg, ich höre sie von weiter unten lachen und kreischen. Sie sind die Uferböschung zum Fluss Var hinabgerannt oder gerutscht; neben dem kleinen Trampelpfad durch Gebüsch, Disteln und Brennesseln stehen mehrere Hinweisschilder, dass das Baden im Fluss untersagt ist. Stört hier keinen, und am heißen 15. August-Feiertag wird das auch niemand kontrollieren. Ich würde auch gern wenigstens die Füße ins Wasser tauchen, aber mir ist der rutschige Weg zu steil.
Von der Brücke aus sehe ich ihnen zu. Und entdecke eher zufällig eine Liebeserklärung im Fluss.
Es muss im Internet-Universum besondere Energien geben – anders kann ich mir nicht erklären, dass einunddasselbe nicht gerade aktuelle Thema in mehreren Köpfen und Texten aufploppt, ohne (!), dass es zwischen ihnen Kontakt gegeben hätte. Vor kurzem habe ich zwei Texte für meine Kolumne im schönen Frankreich-Magazin geschrieben, sie sind so lange nicht öffentlich, bis sie in ein paar Monaten im Heft erscheinen werden. In einem meiner Texte kommt der “Familienpfiff” vor, den ich Monsieur gerne beigebracht hätte, denn die Male, wo wir uns in der Menge oder auch im Wald beim Pilzesammeln verloren haben, sind unzählbar. Der Gatte aber kann die hohen Pfeif-Töne nicht hören (eine OP in jungen Jahren hat ihm immerhin das “tiefere” Hörvermögen gerettet), ich kann also im Wald pfeifen, so viel ich will, er hört mich nicht und verschwindet immer tiefer in die ewigen Jagdgründe, ach nein, das war etwas anderes. Im Dickicht.
Jetzt lese ich etwas verspätet bei Herrn B. über den Familienpfiff, den die Kaltmamsell ins Gespräch gebracht hat. Ist es nicht erstaunlich? Selbst, wenn ich mir jetzt so vorkomme, wie die Schülerin, die sich energisch schnipsend die Aufmerksamkeit erarbeitet, nur um dann “das wollte ich auch gerade sagen” oder in meinem Fall (mit leicht beleidigtem Unterton), “das habe ich auch gerade gesagt!” zu vermelden. Da ich aber eine komplett andere LeserInnengruppe habe als die Kaltmamsell (zumindest vermute ich das), kann ich das Thema ungestraft auch noch einmal ins Internet werfen.
Der Familienpfiff. Lang-kurz-mit Schlenker. Ich bin musikalisch total ungebildet, ich kann Ihnen das nicht adäquat in Musik-terminologisch korrekter Weise wiedergeben, ich könnte es Ihnen nur vorpfeifen. Immerhin aber weiß ich, wo unser Pfiff herkommt, von den Pfadfindern nämlich. Bei den Pfadis, wie sie heute heißen, wird nämlich gepfiffen. Schon Lord Robert Baden Powell, der Gründer der Scouts, hat einen international wiedererkennbaren Pfadfinderpfiff geschaffen; mit dem hat unser Familien-Pfiff allerdings wenig zu tun, hingegen mit der Tatsache, dass Pfeifen als Kommunikationsform verwendet wird.
Ich bin damit großgeworden, dass man nach mir pfeift. Und diesem Pfiff hatte ich unverzüglich zu folgen, ganz gleich, was ich sonst in diesem Augenblick machte. War man in einer Menschenmenge verloren, konnte man sich wiederfinden, in dem man sich pfeifend wieder annäherte. Dass ich pfeifen lernte, war also selbstverständlich.
Durcheinander kam ich nur, wenn wir uns mit den väterlichen Pfadfinderfreunden (und ihren Familien) versammelten und ein anderer Pfadfindervater einem seiner Kinder pfiff: Alle Pfadfinderfamilien hatten nämlich zu meiner Überraschung denselben Familienpfiff! Alle Freunde hatten ihn aus der jugendlichen Pfadfindersippe in ihre Familien übernommen.
Erst später, als ich im Teenageralter war, wurde es mir peinlich, dass mein Vater nach mir pfiff, “als sei ich ein Hund”. Diese Bemerkung stammte von einem Klassenkameraden und ich schämte mich ein bisschen, und verteidigte den praktischen Pfadfinder-Familien-Pfiff, der sich doch deutlich vom Pfiff nach unserem Hund unterschied, nicht.
Ich kann pfeifen, ich kann auch auf den Fingern pfeifen. Mir war nie der Gedanke gekommen, dass es sich für Mädchen nicht schickte, zu pfeifen. Hä? Was?
Es passierte kürzlich hier in Südfrankreich. Als ich einmal fröhlich ein Lied vor mich hinpfiff, rügt mich eine etwa zehn Jahre ältere Bekannte halb scherzhaft, halb missbilligend “Eh-oh! Tu siffles? Ça va pas!” Ich starrte sie an. Meinte sie das ernst? Sie lachte etwas, weil sie sich wohl ihres barschen Tons bewusst wurde, aber ja, im Grunde meinte sie es ernst. Pfeifende Frauen sind unschicklich. Sie versuchte es dann herunterzuspielen, als sie spürte, wie überholt sie sich anhörte, zitierte mir aber ein französisches Sprichwort: Femme qui siffle et poule qui contrefait le coq sont préludes de catastrophe. Also Pfeifende Frauen und Hühner, die krähen (wörtlich: Hähne nachmachen) sind Vorboten einer Katastrophe. Ein provenzalisches Sprichwort übrigens. Das es so aber auch im Deutschen gibt: Mädchen die pfeifen, Hühnern die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen. Dankeschön auch. Abgesehen davon habe ich nicht wirklich etwas über das verpönte Pfeifen von Frauen gefunden. Monsieur, gerade von mir befragt, zuckt mit den Schultern. Ich lese ihm das provenzalische Sprichwort vor. Aber auch das lässt ihn unbeeindruckt.
Wenn pfeifende Frauen in Deutschland unschicklich waren, so sind sie es zumindest seit der pfeifenden Ilse Werner nicht mehr. Sie hatte es allerdings irgendwann satt, bei Interviews immer nur auf ihr Pfeifen reduziert zu werden (was vielleicht auch ein Zeichen dafür ist, dass dennoch so wenige Frauen pfeifen).
Hier das schmissige “Wir machen Musik”, das Ilse Werner (und ihr Pfeifen) berühmt gemacht hat. Achtung! Einmal gehört, bleibt es gnadenlos im Ohr.
Falls Sie jetzt (wie ich) mehr zu Ilse Werner wissen möchten, gäbe es beispielsweise hier etwas, zuzüglich Fotos und einem fünzehnminütigen Hörstück.
Wie ist es bei Ihnen? Hatten Sie einen Familienpfiff? Können Sie (demnach) pfeifen? Oder hat man Ihnen das Pfeifen verboten? Oder haben Sie gar drauf gepfiffen?
PS: Je nachdem wie man die “Katastrophe” auslegt, die einem bevorsteht, wenn man als Frau pfeift, hat sich meine vielleicht schon ereignet: Ich habe mir heute beim Mittagessen zubereiten nämlich so dermaßen die Finger der rechten Hand am Backblech verbrannt, dass ich jammernd und klagend durch die Wohnung lief. Du pfeifst? Da siehst du, was du davon hast! Derzeit tippe ich hier rechts nur noch einfingrig.
Die Beiträge mit diesem Titel sind die, die am häufigsten angeklickt werden, daher bastele ich Ihnen heute einen neuen!
Heute früh waren wir mit den Enkeln Wasserskifahren – nein, keine Sorge, wir waren zwar alle zusammen am Strand, aber nur die großen Kids fuhren Wasserski, wir waren dieses Mal auch nicht mit auf dem Boot, es gibt also nur Fotos vom Strand. Es war schon ein bisschen windig, irgendein namenloser Wind aus dem Süden weht heute und macht aus dem azurblauen Mittelmeer leicht türkisblaue Karibik. Im Osten war es eigentlich noch dunkel bewölkt, aber mein Handy machte heute davon überbelichtete Fotos, so dass es aussieht wie gleißend heller Tag.
Blick nach Westen, zum Esterelgebirge und zum kleinen Wasserskiverleih.
Es gibt Schwimmwesten für die SkifahrerInnen und eine kleine Unterweisung. Sie machen es aber nicht zum ersten Mal, sie wissen wie es geht, hüpfen ins auf den Wellen tanzende Boot, der Enkel ist als erstes dran.
Das Graue unter der Wolke ist übrigens ein Regenschauer.
Und schon sind sie weg.
Da draußen sausen sie jetzt hin und her.
Dann verlieren wir sie aus den Augen und ich nehme andere Boote auf. Leider ist das Handy nicht das stärkste fürs Zoomen, wird dann alles etwas flau.
Anschließend gehen wir am anderen Ende von Cannes Mittagessen, bekommen sogar ohne Reservierung einen Platz auf der Terrasse im Duplex (die Saison geht zu Ende, wir haben Cannes bald wieder für uns!) und haben besten Blick auf die Yachten, die vor Cannes herumliegen.
Nun ist er da, der Regen. Ein zweiter Tag mit dunklen Wolken und freundlichen Regenschauern. Nicht zu viel, nicht zu gewaltvoll, zumindest hier bei uns. Sehr angenehm. Abgekühlt hat es auch, schnell reiße ich die Fenster auf, um einmal richtig durchzulüften, hinter mir schließt Monsieur sie beinahe ebensoschnell wieder. Er ist erbost, und ich muss mir etwas von den gefährlichen courants d’air, dem Durchzug, anhören, dem Verursacher von Männerhalsweh. Ich verdrehe die Augen. Lüften ist ein sehr deutsches Bedürfnis, in keinem anderen Land wird ganzjährig (!) diese Liebe zur frischen (häufig kalten) Luft so gelebt. In allen deutsch-andersnationalen Beziehungen erntet man dafür nur Verständnislosigkeit, wie ich vielen kleinen Videos im Internet entnehmen kann.
Die Enkelin hatte mir nach ihrem Berliner Schüleraustausch empört berichtet, dass sie im Zimmer der Austauschschülerin sogar bei offenem Fenster schlafen musste! Im Winter! Hat man so etwas schon erlebt? Verrückt diese Deutschen! Ich seufze. Das offene Fenster vermisse ich auch, aber da wir an einer lauten Durchgangsstraße leben, habe ich es nie wirklich eingefordert. Das Bedürfnis nach Ruhe übersteigt mein Bedürfnis nach Luft. Ich hätte es aber sowieso nie durchsetzen können. In den Bergen nämlich, wo es die meiste Zeit nachts absolut ruhig ist und ich das Fenster gerne offen stehen lassen würde, wird es mir natürlich auch nicht gestattet. Ich versuche indirekt mit dem offenen Badezimmerfenster zu arbeiten, aber ich finde es morgens auch immer wieder fest verschlossen vor. Erschwerend kommt hinzu, dass es in Frankreich keine Kippfenster gibt. Andere Länder, andere Fenster. Kippfenster, die wir so ungerührt im deutschen Alltag hinnehmen, sorgen bei Nicht-Deutschen immer wieder für Erstaunen. Der ulkigen Vietnamesin @uyenninh bescherte ihr dramatisch-erschrockener Blick beim Kippfenster-Öffnen die ersten 60.000 Follower.
Eigentlich wollte ich Ihnen noch von all dem Unbill erzählen, der uns ereilte. Unbill. Upsi. Wo kam das Wort denn jetzt her? Einerseits verliere ich den Reichtum meiner deutschen Muttersprache, es lebe das Synonymwörterbuch, andererseits traue ich Wörtern, die beim Schreiben überraschend aufploppen nicht mehr. Was bedeutet es eigentlich? Gerade mal nachgeschaut: Unbill meint in meinem Sinn “Unannehmlichkeiten”. Passt also.
Der Enkel, auf seinem Weg in die Ferien, sollte uns die Post aus Cannes mit in die Berge bringen, wir machen einen Treffpunkt im Nachbardorf aus, durch das er fahren würde. Klappte alles, aber siehe da, die Papiertüte mit der Post befand sich nicht in seinem Auto. Vielleicht im Auto der Mutter, die wiederum mit ihrer Mutter etwa eine halbe Stunde später dieselbe Strecke fährt. Wir warten also, haben ein überraschendes Treffen, großes Hallo auf der Straße, wir begrüßen und erzählen uns, was es Neues gibt, aber nein, die Post ist auch nicht in diesem Auto. Wo also könnte sie sein? Vermutlich hat der Enkel sie beim Auto packen aus Versehen in der Straße stehen lassen. Zuhause ist niemand mehr, die Nachbarn kennen wir nicht, die Samstags-Nathalie ist bei ihrer Familie in Ferien. Letzten Endes rufe ich Ivan an, den Bruder von Tetiana, er arbeitet als Barmann bei einem Edelitaliener. Es dauert einen Moment, bis er versteht, was ich von ihm will. Sein Französisch wird nicht unbedingt besser im italienischen Umfeld. Aber er ist so nett, nimmt umgehend seine Pause und macht sich auf die Suche nach unserer Post. Ich dirigiere ihn telefonierend die Straße entlang, wo der Enkel mutmaßlich geparkt hatte, und siehe da, die Tüte mit der Post (darin zwei wichtige Briefe) steht noch da! Hurrah!
Die Kaffeemaschine im Haus in den Bergen hat ihren Geist aufgegeben. Zu weit weg von Elektrofachgeschäften, bestelle ich Ersatz im Internet. Ich erwarte komplizierte Transaktionen, dass ich bis ins Nachbardorf fahren muss, um sie dort im örtlichen Einzelhandel oder in der Bar des Alpes abzuholen. Kein Problem eigentlich, man muss sich nur organisieren. Aber dann erhalte ich am nächsten Tag einen Anruf der Postzustellerin, die mir das Paket ankündigt und zwar in der nächsten Viertelstunde. Sie entschuldigt sich, sie sei die Urlaubsvertretung und wisse nicht, wo wir genau wohnten. Es gibt keine Straßen im Bergdorf. Die Anschrift für alle lautet schlicht: “Le village”. Im Dorf. Ob ich es ihr erklären könne? Ich bin gerade bei Freunden zum Mittagessen, verabrede mich daher mit ihr auf dem Dorfplatz, um das Paket in Empfang zu nehmen. Wir lernen uns kennen, ich erkläre, wo wir wohnen und speichere für alle Fälle ihre Telefonnummer ein. Verblüfft und ermutigt über die Schnelligkeit und die Lieferung nach Hause, bestelle ich daher ein paar fehlende Dinge für eine neu zu installierende Lampe ebenso im Internet. Vier kleine Päckchen müssten in den folgenden Tagen eintrudeln. Am nächsten Tag erhalte ich zwei Lieferungsankündigung – und Monsieur und ich fahren daher extra etwas früher vom Einkaufen zurück, damit ich die Postzustellerin, die gegen 13 Uhr im Dorf ankommt, nicht verpasse.
Zuhause angekommen, habe ich zwei Benachrichtigungen auf dem Handy, dass zwei Päckchen bereits in meinem Briefkasten seien. Da sind sie aber nicht. Herrjeh, vermutlich gab es am Samstag eine andere Urlaubsvertretung und sie hat die Post in den anderen Briefkasten für das alte Schulhaus gelegt, der unten an der Abzweigung zum oberen Dorf angebracht ist. Für den habe ich aber keinen Schlüssel! Ich telefoniere herum, jemand kann mir am nächsten Tag den Schlüssel bringen. In der Zwischenzeit werde ich für beide Päckchen aufgefordert, die Qualität der Lieferung zu bewerten. Das tue ich grundsätzlich nicht, aber die Mails für die Lieferungen, die irgendwo sein sollen und für die, die noch kommen werden, häufen sich. Das nur, um zu erklären, was jetzt passiert. Ich bekomme nämlich eine weitere Mail von Chronopost, dass sie die Lieferung XYZ nicht haben zustellen können, ich möge bitte angeben, wann ich beliefert werden möchte. Das tue ich, werde aber noch einmal ausgebremst, ich müsse zuvor 1,95€ Zollgebühr zahlen. Nein, ich bin nicht misstrauisch, denn ich habe tatsächlich ein paar deutsche Produkte bestellt, gebe meine Bankdaten ein und klicke, und zack, bin ich auf einer dubiosen Seite, die mich beglückwünscht, jetzt Mitglied zu sein, und ich dürfe gleichnochmal auf einen anderen Link klicken, um zu meinem kostenlosen ichweißnichtwas zu gelangen. Mir wird heiß. Ich klicke nirgends mehr hin. Das war ein Betrug. Ich habe mich zum ersten Mal reinlegen lassen. Herrjeh. Irgendwann ist immer das erste Mal, aber ich schäme mich. Zitternd und mit hochrotem Kopf suche ich die Telefonnummer, um meine Kreditkarte sperren zu lassen. Bizarrerweise traue ich jetzt auch der Dame von der Kreditkartensperrung nicht mehr richtig, sie stellt mir nur noch mehr Fragen zu meinem Konto, ich will niemandem mehr etwas sagen, notiere aber dennoch die Nummern und Passwörter, die sie mir gibt, um in den nächsten Tagen eine neue Karte zu bekommen. Ich kann mich den ganzen Tag nicht mehr beruhigen; die angebliche Mailadresse von Chronopost, die ich jetzt genauer ansehe, ist natürlich völliger Mist, warum habe ich das nicht sofort bemerkt?
Am nächsten Tag bekomme ich den Schlüssel für den anderen Briefkasten, laufe hin, öffne ihn hoffnungsvoll, aber nix ist, er ist leer. Jetzt weiß ich auch nicht weiter. Ich frage die Dorfnachbarn und auch in der Auberge. Nö. Keiner weiß was. Zwischen all den Mails für Päckchen, die angeblich geliefert wurden und denen, die noch zu liefern sind und den falschen Mails dazwischen – ist das Ergebnis gleich Null, abzüglich einer Kreditkarte. Ich will nie wieder etwas bestellen.
Am späteren Abend erhalte ich eine Nachricht einer Freundin, die sich gerade in Cannes befindet, ihr Freund habe zwei Päckchen für mich. In Cannes? Nein. Im Dorf natürlich. Warum hat er mir das nicht gesagt? Hat er wohl vergessen. Na gut. Ich eile zum Freund der Freundin, er ist gerade im Garten und füttert die Hühner, es dauert alles etwas länger hier im Dorf, aber irgendwann habe ich meine beiden Päckchen. Er hat sie der Postzustellerin abgenommen, erklärt er mir, denn zufällig kam er gerade des Wegs, als sie vergeblich versuchte, die Päckchen in meinen ungenormten Briefkasten hineinzustecken. Er rät mir, einen anderen Briefkasten zu erstehen. Und die Postzustellerin käme samstags schon um 11.30Uhr. Nun gut.
Merke: Im Dorf geht nix verloren! Und: Ein zweites Mal lasse ich mich nicht mehr betrügen, passt nur auf! Die Mail des Finanzamts, das uns eine Rückzahlung von ein paar hundert Euro verspricht, sehe ich mir genauer an. Auch sie ist Betrug. Es kommen jetzt noch ein paar dieser Art, ich scheine mich in der Betrugswelt schnell als freundliche Idiotin herumgesprochen zu haben. Aber nicht mehr mit mir!
24.08.2023. Wir müssen von unserem Berg runter, es gilt, in Cannes einen 90. Geburtstag zu feiern, leider wird am Freitag der Höhepunkt der Canicule erwartet und erst am Wochenende soll es gewittern und kühler werden.
Ist es auf dem Berg schon deutlich über 30 Grad, so zeigt unser Autothermometer unterwegs bis 39 Grad an – an einer Stelle, an der es im Winter am kältesten ist, weshalb es einen öffentlichen Gradmesser gibt, der in der Regel auf die in Südfrankreich eher ungewohnte aber hier häufig vorkommende Straßenglätte hinweist, zeigt dieser jetzt unglaubliche 43 Grad an. Hier nur keine Autopanne haben, man würde gefühlt am Asphalt festkleben.
In Cannes sind es gemessen in Grad zwar ein paar weniger, gefühlt aber ist es nicht auszuhalten. Die Feuchtigkeit macht es schwül. Indoor haben wir durchgängig 30 Grad, um Mitternacht und heute morgen um kurz vor neun immer noch. Keine Abkühlung durch die trotz des Sommerlärms geöffneten Fenster, hinter einbruchssicher verschlossenen Fensterläden, versteht sich.
Die Katze, die übrigens gleich ihren 15. Geburtstag hat, ist schlapp. Von wegen heißes Blechdach. Sie liegt an den kühlstmöglichen Orten.
Monsieur hat einen gewissen Nachholbedarf und gibt sich eine große Dosis Fernsehnachrichten: wenn Putin der Familie kondoliert, ist Prigojin nun also vermutlich doch tot und nicht untergetaucht.
Vladimir Klitschko ist in Paris, er weiht mit Anne Hidalgo einen kleinen Park ein, der dem ukrainischen Volk gewidmet ist. Der 24. August ist nicht nur der Nationalfeiertag der Ukraine, weshalb der Eiffelturm abends symbolisch blau und gelb leuchtet, sondern auch der Tag an dem die Befreiung von Paris während des Zweiten Weltkriegs begonnen hat. Ein Datum der Hoffnung, finden beide. Ich schließe mich an und ich stelle Ihnen ein Bild, das mir der kleine M aus der Ukraine geschickt hat, hier rein.
Cannes im letzten Sommer: Viel Sonne, das Meer, eine Palme und die französische und ukrainische Flagge nebeneinander, nur für den Fall, dass Sie es nicht deuten können.
Wir bekamen zum Einstieg in das Cannoiser Leben das letzte Sommer-Feuerwerk geboten – wir hören es allerdings nur und riechen danach den Pulvergeruch; das einzige, was wir vom Feuerwerk sehen, ist anschließend die gelbliche Staubwolke die schwer in den Straßen hängt. Aber es soll sehr schön gewesen sein. Ich sah einen kurzen Ausschnitt auf Instagram bei @slpcannes, dem Cannoiser Hoffotografen, helle Feuerwerkssterne, die mich stark an die Sternennacht von van Gogh erinnern.
Soweit war ich vorgestern gekommen. Gestern mussten trotz großer Hitze ein paar Dinge erledigt werden, unter anderem erwarben wir ein Geburtstagsgeschenk für eine 90jährige Dame (es wurde ein großer Korb fruits confits, kandierte Früchte, ein altmodisches Geschenk, das nur noch von einer gewissen Generation wirklich geschätzt wird).
Nach der erschöpfenden Mittagssieste ging ich schwimmen. Nein, immer noch nicht im Meer. Ich hoffte, mich abzukühlen, aber das Wasser im Schwimmbad ist recht warm, die Duschen sogar verrückt heiß, aber auch unser kaltes Duschwasser zu Hause ist derzeit ziemlich warm. Immerhin aber gibt es kaum ernsthafte SchwimmerInnen, ich schwamm meinen Kilomter in meiner Bahn ziemlich ungestört.
Es wurde dann ein wundervoll warmer und champagnerlastiger Sommerabend (für mich gabs Bitter Lemon) in einem lauschigen Garten, angenehme Gespräche mit überwiegend älteren Gästen, viele Gänge mit feinen Häppchen und zum Abschluss ein kleines Feuerwerk auf einem leichten Himbeercremekuchen.
Heute dann starker Wind, der wohl das für morgen angekündigte Gewitter einleutet. Wir öffnen reihum die Fenster, und ich stoße energisch die Fensterläden auf; es ist nicht mehr dieser heiße Wüstenwind, man kann tatsächlich wieder etwas atmen. Später aber ist es wieder heiß und stickig und wir schließen die Fenster wieder. Ich gehe einkaufen und ziehe den Aufenthalt im klimatisierten Supermarkt etwas in die Länge.
Und jetzt, am 26. August um 22 Uhr beginnt es leicht zu regnen! Halleluja! Und auch hier der besondere Duft von Regen auf warmem Asphalt!
Es donnert, Wind kommt auf, der Himmel hat sich, zumindest hinter dem Haus, verdunkelt. Auf der anderen Seite ist es aber noch hellblau-bewölkt. Ein paar Tropfen Regen sind gefallen, es roch so typisch nach Sommerregen, und gerade habe ich “geruch von regen auf warmem asphalt” in die Suchmaschine eingegeben und weiß jetzt, dass dieser Geruch sogar einen Namen hat, Petrichor nämlich, und dass man ihn bei der Parfümherstellung verwendet!
Erst sah es so aus, als würde es nicht weiterregnen wollen, aber obwohl es zu meiner Linken weiterhin hellblau-bewölkt ist, regnet es jetzt doll und zwar auf beiden Seiten des Hauses! Halleluja! Es donnert und blitzt und zack, das Internet ist weg. Strom ist noch da, aber das Netz hat sich verabschiedet. Die Freuden des Berglebens.
Letzten Endes hat es vielleicht zweimal fünf Minuten geregnet, die Erde ist ein bisschen nass geworden, aber das Gewitter ist bereits weitergezogen. Der Donner grollt nur noch von Ferne. Ums Haus gluckert und tröpfelt es noch ein bisschen nach, vor allem dank der defekten Regenrinnen. Und das Internet kam auch recht bald wieder.
Und es hat ein kleines bisschen abgekühlt! Uff! Ich reiße die Fenster auf, man kann wieder etwas atmen. Wir hatten vorher 28 Grad innen und 32 Grad draußen im Schatten, und das im Bergdorf hier oben! Ich weiß nicht, ob ich das schonmal erlebt habe.
Da wir das Loto nicht vorbereiten mussten, hatte ich heute früh überraschend Zeit und habe daher Ratatouille gekocht. Ich war sicher, dass ich das “Original-Rezept-Video” schon einmal auf dem Blog verlinkt hatte, aber ich finde es nicht mehr, lande aber, wie passend, in einem Corona-Zeit-Text, und stelle nur fest, dass ich es schonmal nicht gefunden habe.
Jetzt habe ich zumindest das Video wiedergefunden, darunter aber zig giftige Kommentare, dass man in St. Paul de Vence schonmal kein Original Nizzaer Rezept kochen könne, und man gäbe auch nicht am Ende Basilikum dazu, man stellte den Topf nicht in Backofen und was nicht alles. Es geht ja so rau zu im Internet. Ok, es gibt vermutlich so viele “Original”-Ratatouille-Rezepte wie es südfranzösische Familien gibt. Ich stelle Ihnen das Video trotzdem hier rein, weil ich es nett finde und weil ich Ratatouille auf diese Art mache (in den Ofen stelle ich es nicht unbedingt). Und ganz ehrlich, es ist gut! Wenn Sie die Gemüse einzeln anbraten, dauert es natürlich etwas länger, als wenn sie alles zusammen in den Topf werfen, aber so behält jedes Gemüse seinen Eigengeschmack und es wird kein Gemüse-Einerlei, und wenn Sie mit den Paprika und Auberginen beginnen, also die Gemüse, die länger brauchen, entsprechend länger köcheln lassen, sind sie schon gar, wenn die Tomaten dazukommen.
À propos Tomaten. Ich gebe zu, ich bin in Südfrankreich sehr anspruchsvoll geworden, was Gemüse und besonders Tomaten angeht. Tomaten werden hier in der Regel geschält, und ja, das geht ganz einfach, aber nur, wenn sie richtig reif sind, und nur solche Tomaten sollten Sie nehmen, ganz egal, ob Sie Tomaten mit Mozzarella servieren oder Ratatouille machen wollen. Alle anderen Tomaten, blassrote runde Dinger, die ich sogar manchmal bei Chefköchen in ihren Videos sehe, unfassbar eigentlich, die dort in heißes Wasser getaucht werden, damit man anschließend die Schale abziehen kann, mon Dieu, klar geht das, aber vergessen Sie’s! Die haben keinen Geschmack, es ist nur ein weiterer Aggregatzustand von Wasser. Tomaten gehören auch nicht in den Kühlschrank, aber das nur am Rande! Und ja Tomaten, richtig reife geschmackvolle Tomaten gibts tatsächlich erst jetzt, nicht schon im Mai. Daher ist jetzt die Zeit für Ratatouille!
Nebenbei mache ich auch schnell noch etwas Pesto. Ich werfe zwei Handvoll Blätter mit einer kleinen Handvoll frischem Knoblauch und gutem Olivenöl in einen Mixer. That’s it.
So farbig ist das Ratatouille am Ende dann leider nicht mehr, meines ist auch etwas Zucchinilastig und eher gelblich-grünlich und der Klacks Pesto, den ich dazugebe, macht es zumindest farblich nicht besser. Ob Sie am Ende frisches Basilikum dazugeben, oder frisches Pesto (pistou heißt es in Frankreich) wie ich, oder gar nichts, das können Sie selbst entscheiden.
Und nein, auch wenn es im Video so aussieht, und man es vor allem in deutschen Veröffentlichungen immer wieder so lesen kann, Ratatouille ist kein für sich allein stehendes Gericht, es ist eine Beilage. Allerdings kann man gut einen ganzen Topf davon kochen, denn es wird bei jedem Aufwärmen besser, und es passt als Beilage im Sommer zu quasi jedem Gericht! Bei uns gab es dazu bavette, das ist ein Stück langfaseriges Rindfleisch, Flanksteak heißt es wohl im Deutschen.
Und als Sättigungsbeilage gab es Panisse. Panisse finden Sie oft in Form einer kleinen (fliegenden) Untertasse (auf solche wird der Teig nämlich eingegossen), und wahlweise auf dem Markt, beim Traiteur oder manchmal auch im Supermarkt. Sie werden aus Kichererbsenmehl hergestellt.
Einmal habe sie auch schon selbst gemacht, habe jetzt aber kein ansprechendes Video gefunden, das ich Ihnen hätte zeigen wollen; diese hier habe ich beim Metzger und Traiteur im Nachbardorf gefunden, sie waren super frisch (Achtung! Sie halten sich nicht lang und bei der Hitze werden sie schnell sauer!). Meistens werden sie in Stäbchen geschnitten und in heißem Öl frittiert; sie sehen dann ähnlich aus wie Pommes frites, und haben eine ähnliche Konsistenz, außen knusprig und innen weich, der Geschmack ist allerdings ein anderer; Monsieur mag sie aber lieber, wenn ich die panisse am Stück frittiere.
Und zum Nachtisch gabs frischen Joghurt aus Schafsmilch mit (von einer Freundin) selbst gemachter Aprikosenmarmelade.
Gehts uns nicht gut?
Und schon ist es Abend!
Bonne nuit!
Man könnte meinen, ich würde Foodbloggerin … ;-) und eigentlich wollte ich etwas ganz anderes schreiben heute, also vielleicht gibt es doch nochmal eine Fortsetzung aus den Bergen.
Es ist ein großer Sommer. Mehr als das. Wir erleben gerade erneut eine Hitzewelle, eine Canicule, nach dem 15. August ist das eher selten. In ganz Südfrankreich wurde “alerte rouge” ausgerufen, also die höchste Warnstufe: “Bleiben Sie tagsüber drin, meiden Sie körperliche Anstrengungen und Sport, auch den im Wasser, trinken Sie viel” hören wir alle halbe Stunde im Radio. Es ist wirklich heiß. Von wegen Sommerfrische. Haha. Sogar in den Bergen haben wir dreißig Grad erreicht, nachts kühlt es kaum noch ab. Gewitter, so typisch für die Nachmittage im August, gab es bislang keines.
Wir erleben auch eine neue Covid-Welle und mussten gerade das für Donnerstag geplante Loto absagen. Die Vereinsvorsitzende ist erkrankt und wurde heute mittag positiv getestet. Loto ist ein familienfreundliches Spiel, ich habe letztes Jahr schon einmal darüber geschrieben, es ist einfach, eine nette Abwechslung und man kann was gewinnen, alle haben sich darauf gefreut, aber bei der Hitze und mit eventuellem Viren wollen wir nicht sechzig Personen, darunter viele Senioren, in einem Saal versammeln.
Gerade habe ich kleine Schildchen gebastelt und die Plakate mit “annulé” überklebt, was natürlich zu einem Aufschrei führte, nicht nur, dass es ausfällt, heute morgen haben manche noch mit der Vereinsvorsitzenden Tische und Stühle getragen und den Saal vorbereitet.
Im Dorf ist auch ohne Loto ziemlich viel los, dank der Region, die für alle Orte, auch die kleinsten Dörfer im Hinterland ein kostenloses Sommerprogramm auf die Beine stellt, les soirées estivales, mit Konzerten, Tanz, Theater oder klamaukigen Zirkusveranstaltungen. Wir kamen in diesem Sommer schon in den Genuss einer Theatervorstellung, die hier aber nicht auf sehr viel Gegenliebe stieß. Eine junge alternative Theatergruppe bot ein etwas unkohärentes Stück über die Liebe in der Vor- und Frühgeschichte (Préhistoire) dar. Auch wenn es uns einen abwechslungsreichen Abend beschert hat, kamen wir uns ein bisschen verar* nicht ernstgenommen vor.
Hingegen hatten wir am letzten Samstag Abend ein hochkarätiges lateinamerikanisch angehauchtes Jazzkonzert auf dem Dorfplatz, und hier waren wir uns alle einig, es war großartig! Les Cordes latines heißt die Gruppe um François Arnaud, der aus der klassischen Musik kommt, irgendwann das Nizzaer Orchester verlassen und sich für “Weltmusik” geöffnet hat, um kreativer arbeiten zu können.
Ich habe mal dieses Video hier ausgewählt. Es gibt so ungefähr wieder, wie es war.
Wir waren allerdings ein viel enthusiastischeres Publikum und wir haben auch getanzt! ICH! HABE! GETANZT! Es war wirklich eine ganz besonders tolle Atmosphäre, in dieser warmen Sommernacht auf dem kleinen Dorfplatz diese mitreißende Musik zu hören und dazu zu tanzen. So ein Glück dabei sein zu können! Wunderschön!
Was mich nachwievor auch sehr beglückt ist bei lokalen Erzeugern Joghurt, Käse und Gemüse zu kaufen und damit Essen zubereiten. Ratatouille mit von der Sonne durchglühten Tomaten, Auberginen und Zucchini, hmmm, so lecker! Noch schöner ist, wenn mir Dorfnachbarn aus ihrem Garten frischestes Gemüse schenken!
Courgettes heißen Zucchini übrigens in französischer Sprache. Neulich musste ich erklären, warum wir Deutsche ein italienisches Wort für dieses Gemüse gewählt hätten, und kein deutsches. Weil es ursprünglich kein deutsches Gemüse ist, deshalb, und weil es die Italiener bei uns eingeführt haben. Ich kannte es in meiner Kindheit nicht und erinnere mich noch, dass ich dieses nach Gurke aussehende Gemüse zum ersten Mal während meiner Ausbildungszeit Anfang der achtziger Jahre sah, weil eine Kollegin es im Garten anbaute, eine Zucchini-Schwemme hatte und sie an uns Kolleginnen verteilte. Was macht man denn damit? fragte ich dumm. Man könne sie mit Hackfleisch füllen und im Ofen überbacken, wurde mir vorgeschlagen. Ich weiß noch, dass ich das eigenartig fand, sehr aufwändig, und einen Ofen hatte ich in meinem Einzimmerappartment sowieso auch nicht. Ich habe dann auch keine Zucchini genommen.
Dreißig Jahre später bin ich soweit, dass ich die vielen Zucchinisorten auseinanderhalten kann und ich kann Ihnen sagen, dass die Courgettes de Nice (siehe Foto oben) die auch Violon de Nice oder Trompette de Nice heißen, weil sie manchmal eine etwas eigenwillige Form annehmen, die besten überhaupt sind! Sie haben eine grasgrüne Haut, innen festes gelbes Fleisch, fast keine Kerne und einen nussigen Geschmack, und sie sind, nur mit etwas Öl kurz in der Pfanne angebraten, ein Genuss schlechthin!
Kürzlich bekam ich von derselben Nachbarin Zucchiniblüten geschenkt, und nein, man stellt sie nicht in die Vase, man macht beignets daraus: frittierte Zucchiniblüten. Gegessen habe ich sie schon oft, gemacht noch nie, ich folge aber dem mündlich überlieferten Rezept einer Dame aus dem Dorf, und mache den Teig sehr dünn, damit man später nicht den Frittierteig schmeckt, sondern vor allem die Blüte. Sie sind nämlich sehr aromatisch! Es war dé-li-cieux!
Voila, schon wieder hört es abrupt auf, und wird vermutlich noch einmal fortgesetzt …
Ich erzähle Ihnen einfach so ein bisschen weiter aus der Sommerfrische. Es werden kürzere Texte, die dann vielleicht auch wieder (für manche) überraschend enden, aber, das mögen Sie mir verzeihen, anders geht es gerade nicht.
Die Innentemperatur liegt derzeit bei 26 Grad, die Fliegen sausen brummend durch die Räume und setzen sich auf nackte Haut und überall hin, kacken aufs frisch geputzte Fenster und den neuen weißen Lampenschirm im Schlafzimmer und nerven gewaltig. Unterhalb des Dorfes, irgendwo im Wald, lagern die Schafe. So sehr ich die Schafe mag, so sehr nerven mich die Begleiterscheinungen wie die Fliegen.
Auf der Baustelle links über mir rummst und schlägt es, Monsieur fräst irgendetwas im Keller unten rechts oder direkt vor der Haustür, die er dabei großzügig offenstehen lässt. Ich komme mir vor wie in Lärm-Geiselhaft. Ich bin so froh über die Anschaffung des Kopfhörers. Die erhoffte Stille habe ich damit nicht, aber er dämpft den Lärm und ich höre jetzt probehalber “Konzentrations-Musik”. Mal sehen, ob mir das gefällt und ich damit arbeiten kann.
Als ich hier ankam, blühte der Lavendel noch und es war fast so schön wie in Valensole, oder viel schöner, weil nämlich wild und weil ich ihn ganz für mich alleine hatte. Das Violett des hier wachsenden Lavendels ist auch viel weniger intensiv, es lag so ein zarter violetter Hauch über den Hügeln. Ma-gni-fique! Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es der “echte Lavendel”, lavandula vera angustifolia, aber das wissen einige von Ihnen vielleicht besser. Ich hielt an und machte auf die Schnelle ein paar Fotos und dachte, dass ich einmal richtig hinfahren werde, um Lavendel zu pflücken und schönere Fotos ohne die stets präsente Stromleitung zu machen.
Sie denken es sich, ich habe es kein einziges Mal geschafft, dorthin zu fahren oder einen Spaziergang zu machen. Morgens war anderes zu tun, tagsüber war und ist es zu heiß und abends war ich zu müde oder ich habe es schlicht vergessen. Bei jeder Fahrt zum Einkauf nach unten ins größere Dorf sah ich den Lavendel schimmern und dachte, beim Zurückfahren halte ich an. Aber bei der Rückfahrt war es schon wieder so spät, weil ich im Dorf ja so viele Leute treffe, die ich kenne und lange nicht gesehen habe, und man erzählt, und an den Ständen für Käse und Gemüse, beim Bäcker und vor allem beim Metzger steht man so lange an, und ruckzuck sind zwei oder mehr Stunden um und zuhause wartet Monsieur hungrig auf das Mittagessen. Nachher gehe ich, dachte ich jedes Mal, wenn ich mal wieder am zarten Violett vorbeifahre. Und jetzt ist er verblüht.
Nächstes Jahr gehe ich bestimmt rechtzeitig!
Heute war ich schwimmen. Ich fahre dazu etwa eine Dreiviertelstunde durch Berg und Tal, genauer erst den Berg runter, dann durchs Tal und wieder den Berg rauf bis auf 1700 Meter und komme dann im Skiort an,
der sich nach Kräften bemüht, auch im Sommer attraktiv zu sein mit Sommerrodelbahn, Tyrolienne (das deutsche Wort dafür ist wohl Stahlseilrutsche), Mountainbiketouren, Wanderungen und Nachtwanderungen mit Sternenbeobachtung, Golfplatz und Schwimmbad. Freitags ist dort Markt, aber er ist, nun sagen wir, nicht besonders attraktiv, obwohl der riesige Platz neu gestaltet und als Fußgängerzone deklariert wurde; man versucht, dem etwas lieblos und (wie es scheint) planlos erbauten Ort nachträglich ein Zentrum zu geben. Es drängen sich dort ein Restaurant ans andere, ein paar Sportläden, zwei Bäcker, ein Supermarkt, und die Souvenirläden bieten T-Shirts mit Edelweißaufdruck an, Handtücher mit aufgestickten Murmeltieren und jeden erdenklichen Kitsch.
Das Schwimmbad liegt ein bisschen unterhalb des Ortes und ist ein sehr banales kleines Hallenbad mit beweglichem Dach, ohne Wasserschnickschnack, ohne spektakuläre Rutsche, und das tonnenförmige Dach ist selbst jetzt im Sommer, wo es wirklich heiß ist, nur ein kleines Stück geöffnet –
Es gibt einen gepflasterten Hof, in dem ein paar Sonnenliegen herumstehen und basta. Es ist aber trotzdem voll, vormittags vor allem voller Kinder, die herumhüpfen und ins Wasser springen oder ganz ernsthaft Schwimmunterricht bekommen. Eine einzige Bahn für SchwimmerInnen steht zur Verfügung – zwischen 12 und 14 Uhr aber ist da generell nicht viel los, mir passt das ganz hervorragend. Das Bad ist komplett verglast und man hat beim Schwimmen Ausblick auf die Berge und die Wanderer, Mountainbiker und Stahlseilrutscher, die direkt hinter dem Schwimmbad vorbeisausen. Es führt auch ein Sessellift nach oben.
Danach hatte ich Hunger, da ich aber zu wenig Geld dabei hatte (ich war schon in der Apotheke und habe im Supermarkt ein paar Sachen eingekauft, und meine Kreditkarte ist gesperrt, aber das ist eine andere Geschichte!) musste ich mich mit einem Panini (schlecht) und einer Dose Schweppes Agrumes zufrieden geben. Das aß ich auf einem Bänkchen vor der Kirche Notre Dame des Neiges, die ich anschließend besichtigte.
Die Kirche liegt in Valberg (heute) wenig attraktiv an einem Verkehrsknotenpunkt und ist von außen nicht sehr beeindruckend. Ich habe sie in all den Jahren noch nie von Innen gesehen (schäm) und war so überrascht von der Innenraumarchitektur und der Gestaltung, ich war außerdem überrascht, dass dort Touristen in, wenn wir streng sein wollen, unangemessener Sommerkleidung, andächtig beten und Kerzen anzünden. Ich musste lange warten, bis ich ungestört Fotos machen konnte.
Die Kirche soll an eine Schutzhütte erinnern und das tut sie. Ich fühlte mich sehr geborgen. Sie hat einen überdachten Vorbau, an dem man seine Ski abstellen kann, und ist dort mit Fresken im Stil der vierziger Jahre bemalt (die Kirche ist nur etwas mehr als achtzig Jahre alt, den Skiort Valberg selbst gibt es erst seit Mitte der dreißiger Jahre). Ich habe dieses Foto von der Internet-Seite von Valberg ausgeborgt. Was war das mal nett und beschaulich! Und so viel Schnee!
Die Decke ist ebenfalls komplett ausgemalt mit Ski und Alpenblumen, Engelchen und Schneekristallen, und handarbeitenden Großmüttern; der Malstil erinnert mich auch an Stickerei. Es ist kitschig, aber außergewöhnlich. Und eigentlich ist der Hintergrund eher blau als grau, das kommt hier leider nicht so gut rüber.
So, heute bin ich sehr viel geschwommen, leider gibt es nämlich keine Uhr im Bad, an der ich mich orientieren kann (40 Minuten), und beim Bahnenzählen vertue ich mich spätestens bei Bahn sieben, vielleicht war es mehr als sonst, ich habe auf jeden Fall Muskelkater und musste vorhin eine späte Sieste machen. Und jetzt gehe ich ins Bett! Bonne nuit!
Gerade habe ich das Wort “Sommerfrische” in der französischen Übersetzung gesucht: es heißt villégiature (gesprochen etwa: willehschiatühr), für den Fall, dass Sie mal jemanden beeindrucken wollen mit originellem Vokabular. Es handelt sich um einen längeren Aufenthalt in den Bergen oder an der oder einem See während des Sommers. Wir sind schon kurz nach dem Berlin-Aufenthalt, wie gehabt, in die vermeintlich kühlen und vermeintlich stillen Berge geflohen. Ich habe gerade mal die älteren Texte nachgelesen, ich riskiere, mich zu wiederholen, denn hier passiert in nur leichten Abwandlungen immer dasselbe: wir sammeln Johannisbeeren und kochen Gelee, das Patronatsfest der Heiligen Anne wird einmal im oberen, dann im unteren Bergdorf gefeiert, ein Theaterstück wird aufgeführt, man lädt Nachbarn zum Apero oder zum Essen ein, im größeren Dorf unten im Tal ist Markttag, undsoweiter undsoweiter.
In Cannes ist auch alles wie immer: Südfrankreich leidet unter der Canicule, der Hitzewelle. In Cannes ist es zu voll und zu laut und vor allem viel zu heiß. Das Meer ist so warm, dass sich die Quallen tummeln, jede(r), die/den ich kenne, wurde dieses Jahr “verbrannt” von den fiesen kleinen Feuerquallen. Ich bin am Ende nicht mehr im Meer schwimmen gegangen, sondern ins Schwimmbad; das Hallenbad meiner Wahl wird im Sommer zum Freibad, das Dach wird zur Seite geschoben und man stellt draußen ein paar Liegestühle und Sonnenschirme auf. Es gäbe eigentlich auch noch eine kleine Liegewiese, die ist aber dieses Jahr braunverbrannt, sie wird nicht gewässert – auch in Cannes wird (zumindest an den nicht touristischen Orten!) Wasser gespart. Die Duschen am Strand funktionieren übrigens seit diesem Jahr auch nur während der zwei Sommermonate, ansonsten sind sie abgeschaltet. Auf der stacheligen Wüstenwiese des Schwimmbads liegt so gut wie niemand. Die Liegestühle aber sind komplett besetzt von älteren Damen und großen Schwestern, die kleine Kinder beaufsichtigen, die kreischend ins Wasser springen oder herumrennen. Es gibt nur zwei Bahnen für Schwimmer*innen, aber es reicht, es will fast niemand richtig schwimmen, das Publikum in den Sommerferien ist ein vollkommen anderes.
Im Nachbarhaus in Cannes ist eine Baustelle, sie teilen die Mauer mit uns, so dass unser Haus mitvibriert, wenn auf der anderen Seite mit Presslufthämmern Wände weggestemmt werden. 30 Grad indoor und Baustellenlärm machen mich fertig, ich zögere daher keine Sekunde, ins Bergdorf zu fahren. Dort ist es allerdings auch erstaunlich heiß und jetzt haben wir auch eine Baustelle, es ist allerdings unsere eigene, da müssen wir durch. Früher als vermutet haben sie angefangen, nachdem wir seit November darauf warteten. Die Handwerker sind super diszipliniert, es wird von 8 bis 18 Uhr gearbeitet und sie machen nur eine Stunde Pause. Die Ruhe suchenden Sommerfrischler im Dorf knirschen mit den Zähnen, und wir zucken mit den Schultern und entschuldigen uns allenthalben. Aber ich sitze tagsüber auch leicht gequält mit Kopfhörern am großen Tisch. Immerhin ist es etwas kühler. Indoor 24 Grad, draußen allerdings waren es gestern auch schlappe 33 Grad. Aber ich greife vor.
Wir kamen rechtzeitig zum Fest der Sainte Anne, alle waren pünktlich zur frühen Messe anwesend, nur der Priester nicht, da konnte einer der Anwesenden, der extra zum Glockenläuten aufs Dach der Kirche geklettert war, noch so viel läuten, es half nichts; sein Auto hatte einen Platten, erklärte der Priester eine gute Stunde später, und er musste erst zur Werkstatt und es geht ja alles nicht so schnell hier auf dem Land. Es wurde also nochmal geläutet, der gute Mann hatte eine Stunde vor der Glocke ausgeharrt, weil er das Kirchendach-Abenteuer nicht noch ein zweites Mal wagen wollte.
Es gab wie immer die Prozession mit der Figur der heiligen Anne zur kleinen Wegkapelle – alle Anwesenden, die Wiesen, Weiden und die Tiere wurden dort gesegnet.
Danach gabs einen Apéro und es folgte das große Essen hinter der alten Schule.
Und, wie schon vor drei oder vier Jahren, war das Essen musikalisch untermalt von Elodie – und auch der Priester sang wieder. Dieses mal “Un coup de soleil” von Riccardo Cocciante, und das ohnehin gefühlvolle Liebeslied hört sich aus dem Mund eines Priesters noch bedeutsamer an, und später drehten ein paar unermüdliche TänzerInnen ihre Runden.
Gegen 16 Uhr wurden die Tische abgeräumt und zusammengeklappt und alle gingen “nach Hause”, wo man sich ein bisschen erholte, um drei Stunden später im unteren Dorf weiterzufeiern.
Nach dem offiziellen Teil (Blumenschmuck am Kriegerdenkmal ablegen, Ansprachen verschiedener Regionalpolitiker sowie der Bürgermeisterin und Absingen der Marseillaise) gab es ein etwa zehngängiges Menü und kurz vor Mitternacht wurde dann (endlich) auch getanzt. Kaum erklangen die ersten Töne vom ersten Schlager, sprangen alle auf, in Windeseile wurde ein Tisch abgebaut und alle, wirklich alle, jung oder alt hopsten vergnügt auf der improvisierten Tanzfläche. Ich auch! Zumindest ein bisschen, so richtig hopsen geht ja nicht mehr. Aber wenn ich was bedaure, seitdem ich Knie habe, ist es, nicht genug getanzt zu haben. Wieviele Gelegenheiten habe ich verpasst, jahrelang blieb ich lieber sitzen, weil ich immer dachte, hinter meinem Rücken würde man Bemerkungen über meinen Hintern oder meinen Tanzstil machen. Herrjeh, was macht man sich das Leben schwer! Mit 60 und kaputten Knien ist es mir jetzt egal, ich bewege mich so wie ich kann …
zu Schlagern wie “Sous les sunlights des tropiques”
oder auch zu “richtiger” Achtziger Jahre Musik. Alles französisch natürlich.
und ich amüsiere mich prächtig!
Am nächsten Tag ruht man sich aus, wir hingegen sammelten Johannisbeeren und ich kochte Gelee nach dem alten Familienrezept und mit altmodischen Gerätschaften (die unverwüstliche Flotte Lotte). Ein knapper Tag Arbeit für nur zehn Gläser Gelee! Es hat Jahre gegeben, da haben wir an zwei Abenden hintereinander insgesamt 75 Gläser Gelee gekocht.
Letzter Tag in Berlin, eigentlich nur ein guter halber Tag, da wir morgens unser schönes Heim auf Zeit verlassen mussten und aufräumten, Müll (getrennt!) wegbrachten (die Joghurt-Pfandgläser stellten wir an den Ausgang der U-Bahn neben einen Mülleimer), packten und dann die Koffer bei der Freundin unterstellten; abends flogen wir wieder zurück.
Ich machte noch einmal ein paar Fotos vom Ferienhaus-Museum. Ich hatte das blaue Zimmer mit Schreibtisch und Schreibmaschine, wie es sich für eine Autorin gehört
Herr Taut ist anwesend.
Blick aus dem Fenster des blauen Zimmers: Rotbuche und rote Wand.
Den Salon unten haben wir gar nicht genutzt.
Und in der Küche haben wir auch nicht wirklich gekocht. Gästebucheinträge zeugen aber sogar von im Ofen gebackener Lasagne.
Was fehlt uns heute? Maggi, Putzpomade, Soda, Spiritus und Schmalz
Nicht so richtig gut zu sehen, sind die altmodischen Doppelfenster – ich liebte diesen Blick in den Garten und die liebevollen Details – die schweren zweifarbigen Leinen-Vorhänge sind farblich exakt der Wandfarbe angepasst.
Dann zunächst mit der U-Bahn …
zu einem Flohmarkt – ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, welcher es war – die Berlin-Freundin führte uns und wir liefen einfach hinterher.
“Liebling, auch wir werden älter …”
Ich erstand eine schöne bunte Bluse und ein Seidentuch, E. hingegen war, glaube ich, sehr eingeschüchtert von dem szenigen und großtädtischen Ambiente.
Chill mal Berlin.
Wir gingen ein Stück und fuhren dann mit Bus und Straßenbahn, damit wir möglichst viel von Berlin sahen, weiter zum nächsten Punkt auf der Wunschliste von E.: Currywurst essen! Ziel war Konnopke im “Osten”, der aber sonntags geschlossen hatte! Heul!
Also Alternative: Curry 36 am Mehringdamm im “Westen”. Dafür mussten wir quasi einmal quer durch die Stadt, es liegt auch eher auf dem Weg zurück und so schoben wir das Brandenburger Tor dazwischen. Die Enkelin hatte zwar kurz vor Covid einen Schüleraustausch in Berlin gemacht, war damals aber nicht mal bis zum Brandenburger Tor gekommen. Und da die Berliner (Köpenicker) Schülerin wegen Covid nicht nach Cannes kommen konnte, schlief der Kontakt, wie so oft bei vierzehnjährigen Mädchen, schnell wieder ein.
Brandenburger Tor, here we are! Und mit uns viele andere, auch viele Rammstein-Fans. Die waren überall an diesem Wochenende.
Kleiner Abstecher in den Tiergarten: Rammstein-Fans.
Und endlich: die Currywurst! Hurrah! Und sie waren so nett dort, trotz der nicht enden wollenden Touristenschlange (viele Franzosen!), erstaunlich! Curry Wurst Verdikt der Enkelin: gut, aber ein bisschen zu salzig
Dann fuhren wir, jetzt mit der U-Bahn, zurück zur Freundin – ich konnte kaum noch laufen (die Knie!) und haute mir dort eine große Dosis Ibu* rein, ließ mir ein Eiskissen aufs Knie legen und döste ein Stündchen vor mich hin, bevor wir zum Flughafen fuhren. Die Enkelin schaukelte derweil in der Hängematte, die es auch im Freundinnen-Garten gab und äußerte bei Ankunft in Cannes gleichmal den Wunsch, eine Hängematte im Sommerhaus in den Bergen haben zu wollen.
Am Flughafen ging bei der Sicherheitskontrolle direkt vor uns der Alarm los. Gelblicht, eine Absperrung rollte von der Decke, Polizei kam … das fing ja gut an, dachte ich, und bat das Universum, dass wenigstens der Flieger pünktlich abflöge … das tat er nicht, wir hatten genug Zeit Ampelmännchen-Gummibärchen (rot und grün, die grünen mit Waldmeistergeschmack!) und Berlin-Schokolade zu kaufen. Aber immerhin wurde der Flug nicht annuliert, und wir schafften hechelnd den Anschluss in München, und kamen mit nur etwa einer Stunde Verspätung nachts in Nizza an. Nur die Koffer schafften es nicht und kamen erst zwei Tage später an, aber immerhin wohlbehalten und auch mit allen Souvenirs! Wir haben also keinen Koffer mehr in Berlin, müssen da aber natürlich dennoch nächstens wieder hin
Und aus aktuellem Anlass verlinke ich gerne noch den Beitrag von Friederike vom Landlebenblog: Immer dieser Osten.
Am nächsten Tag Frühstück im Garten des Ferienhäuschens, ich filterte mir eine Tasse Kaffee und reicherte das Müsli mit selbstgepflückten Johannisbeeren (aus dem netten Garten des Ferienhauses) und gekauften Stachelbeeren an, so lecker! Danach machten wir eine Fahrradtour durch Berlin. Das Ferienhaus stellte uns zwei Räder zur Verfügung, einfache Dreigang-Klappräder, aber absolut ausreichend.
Die Berlin-Freundin führte uns, und erzählte uns unterwegs auch ganz viel – los gings vor der Haustür und zunächst durch Neukölln, über das leere Tempelhofer Feld (hier übrigens eine tolle interaktive Seite zum Tempelhofer Feld und allem, was dort an Projekten passiert), durch die Hasenheide, über den Landwehrkanal und schwupps waren wir im touristischen Innenstadtberlin und am Checkpoint Charlie. Ich habe unterwegs nicht so viel dokumentiert, weil wir fuhren, logisch, wir kreuzten in Mitte immer von West nach Ost und wieder zurück, noch nie habe ich das so deutlich wahrgenommen, weil ich vor allem E. immer daraufhinwies, und weil man es jetzt auch an den in die Straße eingelassenen Pflastersteinen sieht, leider ohne Foto.
Es war Mittag, wir hatten Hunger und wählten ein leeres Restaurant in einem schattigen Innenhof, durch den wir gefahren waren, später erklärte sich, warum es leer war, nicht nur, weil es so versteckt lag, es war auch supermies, aber immerhin hatten wir etwas gegessen, anschließend brauchte E. ein Päuschen, wir fuhren in einen Park, lagerten unter einem Baum, wo die müde Enkelin sofort einschlief.
Später ging es weiter durch Kreuzberg und zur Eastsidegallery, da war ich in all den Jahren auch noch nie gewesen, weniger spektakulär als erwartet, dafür zieht es sich und es ist ein echter Touri-Spot, den berühmten Kuss zwischen Honecker und Breschnew kriegt man nie alleine.
Über die Oberbaumbrücke gings nach Kreuzberg zurück und wir hingen recht erschöpft in einem alternativen Café in Sichtweite des Görlitzer Parks ziemlich lange ab, guckten Leute und dopten uns mit mehreren Iced Milchkaffees und O-Saft mit viel Eis (es war vermutlich der heißeste Tag des Jahres, wir hatten ständig nur Durst). Im Görlitzer Park wurde ganz offen gedealt, die Enkelin sah es mit schreckgeweiteteten Augen, nur Minuten später, als wir den Landwehrkanal entlangradelten, erlebten wir dann ein ganz zauberhaftes Klavierkonzert auf dem Wasser. Berlin ist einfach alles.
Zurück fuhren wir mit der U-Bahn, in die wir die Räder mitnahmen und erholten uns “zuhause” ein bisschen, duschten, dösten, lasen, schrieben Karten
bevor wir dann (für deutsche Verhältnisse spät) abends zu einem Italiener in Laufweite Essen gingen. Die Enkelin ist immer wieder geschockt, dass man (nicht mal beim Italiener) eine kostenlose Karaffe Wasser bestellen kann, und dass in beinahe allen Getränken “bulles” sind, also Kohlensäure, die sie nicht mag. Sie trank also in Berlin weder Fritzbrause noch Bionade, sondern immer nur stilles Wasser oder O-Saft.
So viel für heute.
Ach so, das hier noch. Das hatte ich an diesem heißen Tag ständig im Ohr.
Der nächste Tag begann mit einem Frühstück bei der Freundin, die auch in der Hufeisensiedlung wohnt. Wir liefen also einmal quer durch das Hufeisen, es sind nur ein paar hundert Meter, eine U-Bahnstation genau genommen.
Die Häuserreihen sind mal Rot, mal Blau, besonders das Blau hat es mir angetan.
Am Vortag waren wir auf dem Wasser und über Berlin, heute hatten wir einen unterirdischen Termin: Wir machten eine Fluchttunnel-Tour mit Unterwelten, die ich absolut empfehlen kann, es war im übrigen auch die einzige Organisation, die mir die umgebuchten Tickets rückerstattet hat. Dankeschön! Viel Information, spannend und anschaulich vermittelt – die ich immer mal übersetzte – was aber leider störte. Es gäbe auch eine französische Führung, habe ich mir sagen lassen. Falls Sie mal in die Verlegenheit kommen, wissen Sie das. Man durfte leider keine Fotos machen, und nein, letzten Endes mussten wir nicht auf allen Vieren durch einen ehemaligen Fluchttunnel kriechen, aber es war dennoch eindrucksvoll!
Ich war da vorher noch nie und hätte gut den ganzen Tag bleiben können, um alle Dokumente zu lesen und alle Filmchen anzusehen. Mir versagte vor lauter Emotion bei so manchem Zeitdokument die Stimme, als ich es für E. übersetzte. Sie war natürlich viel weniger beeindruckt. Foto von oben auf das Stück Grenzgebiet. Zack, reicht.
Es ist die Geschichte eines anderen Landes, die sich weit vor ihrer Geburt abgespielt hat. Ich war als Siebzehnjährige auch in Berlin und starrte von einer der Aussichtsplattformen am Tiergarten auf das abgesperrte Brandenburger Tor. Hat mich damals auch nicht so beeindruckt, wenn ich ehrlich sein soll. War halt so. Diese Geschichte hatte sich auch vor meiner Geburt abgespielt, das wird dann so hingenommen. Erst heute schluchze ich, wenn ich die Fotos der Menschen sehe, die sich mit Taschentüchern über die Mauer zuwinken und kleine Kinder hochhalten.
Wir liefen dann ein bisschen durch eine Straße im Prenzlauer Berg, wir kamen aber nur zwei Second Hand Läden weit, dann mussten wir, wie gute Französinnen, Mittagessen. In einem coolen Restau mit noch cooleren Kellnern, vermutlich sagt man nicht mehr Kellner zu dieser Art Bedienung, und extravaganter Sommerkarte. Not bad, aber hochpreißig; also in etwa so wie in Cannes, weshalb es mich nicht schockte, aber für Berlin fand ich es doch erstaunlich. Ich sinnierte darüber, dass ich im ehemaligen Osten sehr schick und teuer gegrillte Ananas und Riesengarnelen aß.
Am Nebentisch, wie ich dem Gespräch unserer Tischnachbarinnen entnahm, saß ein Herr, der irgendwas für Rammstein organisierte, mit seiner Lebensgefährtin, die auch früher für Rammstein gearbeitet hat. Man kannte sich, es wurde geplaudert. Es waren just drei Tage in Folge Rammstein-Konzerte in Berlin. “Gehste hin?” fragte die Dame an unserem Tisch (80+) anschließend ihre Tochter (meine Generation). Nein, sie habe schon so viele Rammstein Konzerte gehört und gesehen, sie müsse da jetzt nicht mehr hingehen, antwortete die Tochter. Ich verkniff mir die Frage, warum die Konzerte nicht abgesagt worden seien – wir bleiben aber die kommenden Tage im Thema: Berlin war voller Rammstein-Fans.
Abends waren wir in Pankow eingeladen, bei Familie Ackerbau, sehr nett dort, man servierte uns ein feines mehrgängiges Menü, ganz französisch, damit die Enkelin nicht, wie der Enkel nach seinem Schüleraustausch, sagen muss, sie habe in Deutschland nix zu Essen gekriegt (Merke: Marmeladenbrot morgens, Sandwich mittags und Brot mit Aufschnitt abends ist kein Essen!). Weshalb wir ja auch ständig, wie es sich gehört, Essen gingen.
Es wurde spät und wir fuhren mit S- und U-Bahn “nach Hause”. So fühlte sich der Aufenthalt im kleinen Häuschen tatsächlich ein bisschen an.
Ob ich es nochmal schaffe, die Berlin-Reise zu dokumentieren? Irgendwie bin ich abends müde. Ich daddel im Internet herum, lese von anderer Leuts Reisen, wovon ich diese hier gerne verlinken möchte, so es noch niemand anders getan hat. Es ist nicht so idyllisch in Bosnien, aber Simona reiste dorthin, weil sie vor allem den bosnischen Sänger Božo Vrećo in Bosnien hören wollte (den sie dann aber in Kroatien hört). Sehr spannend. Das lese ich also, und ich folge auf Instagram mehreren Reisenden; sehr gerne mag ich @gruenumdiewelt, ein nettes Paar, denen ich zufällig ab Tag 1 ihrer Weltreise folge, die vor allem mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind; zur Zeit machen sie einen längeren Stop in San Diego als House- und Hunde- und Katzensitter, weil sie auf ihre Ersatz-Kreditkarten warten, sie haben ihre Tasche mit allen Zahlungsmitteln vor ein paar Wochen im Zug verloren; seit kurzem folge ich auch einem verrückten jungen Mann @thegreathans, der mit dem Fahrrad durch die Welt gondelt, sagenhafte Fotos und Filme macht und mit einem eher schnodderigen Ton davon berichtet, gerade ist er im Iran, er schwärmt in höchsten Tönen vom Land und von der überwältigenden Gastfreundschaft, ich will das nicht in Abrede stellen, aber klar ist alles super für ihn, er ist ein (junger weißer) Mann und auf allen Fotos (auch vorher schon) sehe ich nur Männer. Kein Wort zu den Frauen und zu ihrer Situation bisher. On verra.
Gestern sah ich von ihm ein Video, indem er alle Kosten der Reise öffentlich macht – meine Güte, Respekt dafür, aber das wäre das letzte, was ich auf so einer Reise machen wollte. @gruenumdiewelt machen das übrigens auch. Was der junge Radfahrer auch tat war, detailliert auflisten, wieviel Zeit er in seine Beiträge und vor allem in das Erstellen von Youtube Videos investiert. Und dass er sich extra zum Video schneiden in Unterkünfte einmieten muss (sonst zeltet er wild), was die Reise dann wieder verteuert. Mein größter Respekt vor all den Reisenden, die unterwegs unter diesen Bedingungen so viel arbeiten – ja, sie verdienen teilweise Geld damit. Also vielleicht ist es gar nicht so mühselig für sie, aber mir kommt das alles so anstrengend vor, weil ich diesen neuen Medien-Kram nicht beherrsche und “nur” schreibe und Fotos mache und weiß, wie lange das manchmal dauert, bis ein Artikel fertig ist. Das sind so Momente, wo ich spüre, dass ich eine andere Generation bin, die Generation Boomer übrigens, keine Ahnung seit wann man das als Schimpfwort verwendet, die sich so langsam auf die Zielgerade Richtung Ende einschaukelt. Das Gefühl, dass ich nicht mehr die Zielgruppe bin für so allerhand, hatte ich dieses Jahr schon ziemlich häufig. Darüber vielleicht ein andermal, wenn ich es schaffe, seufz. Sechzig Jahre und ein bisschen müde. Sie erinnern sich vielleicht an Curd Jürgens? Ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen, will jetzt aber doch von unserer kleinen Reise ein bisschen berichten.
Sie war ja jetzt nur noch vier Tage lang – am ersten Tag kamen wir übermüdet frühmorgens an, wurden, wie versprochen, abgeholt und durften zu dieser ungewöhnlichen Uhrzeit einchecken, und zwar ins Taute Heim. Ein kleines Häuschen in der Hufeisensiedlung (gebaut vom Architekten Bruno Taut), das von dem Architektenehepaar Katrin Lesser und Ben Buschfeld erworben und von ihnen im Originalstil der Zwanziger Jahre renoviert, um nicht zu sagen restauriert wurde, hier kann man mehr darüber lesen; man kann das Häuschen mieten und wohnt dann dort ein bisschen wie im Museum. Allerdings mit allem Komfort der heutigen Zeit. Genial. Ich war sofort verliebt, als ich diese Möglichkeit entdeckt hatte. Eigentlich wollte ich einen eigenen Eintrag für das Häuschen machen, aber ich scheiterte schon zweimal daran, die Siedlungs- und Architekturgeschichte leicht und verständlich aufzubereiten, so sehr sie mich interessiert, irgendwie wollte da nichts zustande kommen. Also bitte ich Sie, die Seite von Tautes Heim anzuklicken und sich dort bei Interesse einzulesen, und ich verlinke Ihnen auch den Wikipedia Eintrag, der ganz vernünftig klingt.
Ich musste Herrn Buschfeld, der uns etwas zur Geschichte der Siedlung und vor allem des Hauses erzählte, irgendwann stoppen, wir hatten den Termin fur unsere erste touristische Aktivität und mussten eiligst einmal quer durch Berlin, um zu unserem Schiffchen zu kommen, mit dem wir über die Spree und den Landwehrkanal schipperten. Gemütlicher Einstieg, mehr hätten wir auch nicht geschafft, glaube ich.
Danach aßen wir bei einem Italiener und fuhren zurück zum Häuschen, um eine kleine Sieste zu machen, wir wollten für die Abendveranstaltung ausgeruht sein. Die Enkelin schlief gute drei Stunden, ich nur etwa dreißig Minuten (ich greife vor, wenn ich sage, dass ich in Berlin extrem wenig schlief und auf einer Art Euphorie-Droge war, dann aber, als ich wieder zuhause war, schlief ich einen Tag fast völlig durch) und schaukelte dann unterm Apfelbaum in der Hängematte – so schön! –
und plauderte mit der Berliner Freundin, die vorbeikam, da sie ganz in der Nähe wohnt. Wir kauften noch ein paar Kleinigkeiten fürs Frühstück am nächsten Tag ein und schon fuhren die Enkelin und ich zum, tatatataaa: Fernsehturm!
Boah! Ging ja rasant hoch, wa’, in nur vierzig Sekunden, die Ohren gingen zu und schon sind wir da und durften ins Restaurant mit Fensterplatz. Wenn schon, denn schon. Ich habe ja ein wenig Höhenangst und hatte ein bisschen Sorge, ob ich da oben dann gar nicht aus dem Fenster gucken könnte, vor allem dreht sich das Ding ja – war aber alles gut, das Drehen spürt man nicht, wir drehten uns dreimal um und über Berlin, und wir waren rechtzeitig zum Sonnenuntergang oben!
wird fortgesetzt …
Was ich in Berlin übrigens die ganze Zeit im Ohr hatte, war das hier:
Die nächtliche Odyssee zum schlecht beleuchteten Hotel irgendwo in der Provinz bei München erinnerte mich übrigens sehr an ein Ereignis während meiner Reise nach Westafrika. Vor gut zwanzig Jahren war ich mit meinem damaligen (weißen) französischen Freund unterwegs nach Burkina Faso. Da ein Direktflug nach Burkina Faso so viel teurer war, wählten wir einen Flug nach Bamako im benachbarten Mali und nahmen von dort den Überlandbus. Trotz zusätzlicher Übernachtung, trotz Busticket war diese Variante viel billiger. Länger dauerte es natürlich auch. Für mich begann mit dem Einstieg in den Bus die erste wirkliche Reise meines Lebens. Als einzige Weiße (mit meinem Freund) saß ich stundenlang in einem vollgestopften Bus eingezwängt neben einer fülligen Händlerin, die mir fettige Nüsse zu essen gab. Später, an einer der sechs Grenzen, an denen wir warten mussten – drei, um aus Mali rauszukommen, drei, um nach Burkina Faso reinzukommen, und jedes Mal mit Zollbeamten konfrontiert, die, sagen wir mal, gegen ein gewisses Handgeld, den Aus- bzw. Einreisevorgang hätten beschleunigen können, immer saßen wir zwei Weiße stundenlang in einem Büro rum und warteten, während die Zöllner aßen oder ein Schläfchen machten … Also später, wie gesagt, da aß ich zum ersten Mal in meinem Leben gegrillte Ziege und trank scharfen Ingwersaft. So scharf, dass ich ohne jede Rücksicht auf irgendwelche Mikroben, sofort noch ein prallgefülltes Plastiktütchen Wasser erstand, das ich in einen Zug aussaugte (man beißt eine kleine Ecke eines Plastiktütchenzipfels ab und saugt so das Wasser raus).
Auf der Rückreise kamen wir dank all dieser Warterei an den Grenzen dann auch nicht am frühen Abend, sondern nachts um vier in Bamako an und fanden natürlich kein Hotel mehr. In der Nähe des Busbahnhofs gab es zwar eines, der Busfahrer zeigte vage in eine Richtung, aber dort war alles verschlossen und dunkel. Keine Möglichkeit zu klingeln oder gar anzurufen. Magere Hunde streunten im Hof des Hotels herum, bellten und knurrten uns an. Aber trotz des Hundegebells erschien niemand. Wir machten uns auf den Weg zurück zum Busbahnhof, wo alle anderen Mitreisenden verschwunden waren, auch der Busfahrer hatte sich in Luft aufgelöst. Wir waren allein mitten im dunklen Nichts. Was tun? Ein Taxi fuhr vorbei, das wir zum Anhalten nötigten. Darin zwei junge Männer, die uns misstrauisch durch einen Spalt des geöffneten Fensters ansahen. Ob Sie uns zu einem Hotel fahren könnten, fragten wir. Sie beratschlagten sich und ließen uns schließlich einsteigen. Sie waren aus Sicherheitsgründen zu zweit unterwegs, erfuhren wir. Mich beruhigte das nicht gerade, aber immerhin waren wir jetzt zu viert – besser als zu zweit allein am Busbahnhof. Die Fahrt zog sich. Einmal quer durch Bamako und wieder hinaus, so schien es uns. Ob sie uns auch wirklich zu einem Hotel fahren würden, fragte mein Freund, in der Zwischenzeit auch etwas misstrauisch. “Jaja”, bestätigten sie. “Hotel, jaja.” Irgendwann hielten sie an. Mitten in einem unbeleuchteten Wohngebiet. “Hotel”, sagten sie und strahlten uns an. Ich sah überhaupt nichts, was nach Hotel aussah, mein Freund verstand es schneller. Da war ein rotes Licht neben der Haustür eines der Häuser. “C’est un hotel de passe?” fragte er ein bisschen fassungslos. Ein Stundenhotel? Ja, sie nickten eifrig. “Hotel!” Ich weiß bis heute nicht, ob es das einzige “Hotel” in Bamako war, das mitten in der Nacht geöffnet hatte, oder das einzige, das ihnen in den Sinn kam, egal, wir hatten keine Wahl, stiegen aus und klopften an die Tür des Hauses. Zwei junge Männer starrten uns genauso erstaunt an, wie wir sie. Wir bekamen problemlos ein Zimmer im ersten Stock mit vergitterten Fenstern. Wir schlossen die Tür ab und klemmten, wie im Film, die Stuhllehne unter den Türgriff. Ich legte ein dünnes Leintuch, das ich dabei hatte, über die stark benutzt aussehende Bettwäsche. Es gab sogar ein Badezimmer mit WC und der obligatorischen kleinen Plastikgießkanne zum Reinigen und Spülen. Nur gab es kein Wasser. Nun gut. Wir legten uns hin und schliefen tatsächlich ein, trotz des Gelächters und des Amüsierlärms irgendwo im Haus. Am nächsten Morgen servierten uns die jungen Männer Frühstück wie in einem richtigen Hotel (Tee und Baguette), und wir frühstückten während zwei jungen Frauen mit einem älteren Herrn schäkerten, der dort offensichtlich seine Nacht verbracht hatte. Wir starrten uns alle gegenseitig neugierig aber freundlich an. Wahrscheinlich waren noch nie vorher zwei Weiße in diesem Stundenhotel aufgetaucht. Letzten Endes waren sie nett dort und die beiden jungen Männer fragten uns nach Europa und Deutschland und Frankreich aus. Später riefen sie uns ein Taxi und handelten für uns den Tarif bis zum Flughafen aus. Am Flughafen war es dann sehr abenteuerlich – ich erinnere mich nur noch an wildes Gedränge und dass wir quer über das Rollfeld zum Flugzeug laufen mussten. Dort entschied der Kapitän am Fuß der Gangway, wer mitfliegen durfte und wer nicht. Wir hatten damals auch viel Verspätung, weil man das Gepäck eines nicht erschienenen Passagiers wieder ausladen musste. Ah, l’Afrique! Was für ein Abenteuer!
Wir wollten nach Berlin mit der angeheirateten Enkelin, mein Geschenk zum bestandenen Abitur. Ich hatte Flüge gebucht, ein Häuschen gemietet, jede Menge Aktivitäten geplant und dafür auch Plätze oder zumindest Zeitfenster gebucht. Dann starb überraschend der (andere) Großvater. Ich möchte nicht ins Detail gehen – aber es war innerhalb von drei Wochen schon der zweite Todesfall in der französischen Familie. Die angeheiratete Enkelin (das “angeheiratete” lasse ich in der Folge weg, Sie wissen es ja nun) hängt sehr an den Großeltern, hier wird famille außerdem mit einem “großen F” geschrieben, wie man hier sagt, wenn etwas wichtig ist (famille avec un grand F) – nicht an der Beerdigung teilzunehmen ist quasi unmöglich. Wir buchen also Flüge um, wir werden direkt nach der Beerdigung losfliegen, der Aufenthalt wird kürzer; ich buche erneute Plätze und Zeitfenster für zumindest zwei Aktivitäten, die klassische Kunst auf der Museumsinsel (Nofretete und das Ischtar Tor) lassen wir jetzt großzügig unter den Tisch fallen.
Zwei Nächte vor der Beerdigung und unserem Abflug hat man bei der Familie der Tochter, die über uns wohnt, eingebrochen. Und: die bereits gepackte Tasche mit Geld und Dokumenten der Enkeltochter gestohlen, also unter anderem. Es fehlten auch sämtliche Mobiltelefone, Papiere, Schecks, Kreditkarten, Schmuck, Schlüssel, Autoschlüssel, und neu gekaufte Klamotten inklusive neuer Schuhe für die Beerdigung sind auch weg. Man weiß nicht so genau, was die Einbrecher sich dabei dachten. Oder der Einbrecher. Vielleicht war es nur einer. Der sich außerdem mit einem großen Küchenmesser bewaffnet hatte, falls ihm jemand um vier Uhr morgens in die Quere kommen sollte.
So etwas geht sehr schnell und sehr leise. Drei Personen schliefen in der Wohnung, während sie ausgeraubt wurden. Der Täter kam über die im zweiten Stock offen stehende Terrassentür. Kam durch die Küche, wo er sich ein Messer nahm, und schloss leise die Türen zu den Schlafzimmern. Erst als er die knarzenden Holzstufen zum ausgebauten Dachboden erklomm, wachten die Eltern auf. Der (oder die) Einbrecher floh(en) über den Balkon und über die niedrigen Dächer der angrenzenden Häuser. Falls sie knarzende Treppen oder quietschende Türen haben sollten, lassen Sie das so, das wäre in einem solchen Fall von Vorteil.
Immerhin ist der schon gepackte Koffer noch da, aber das einzige Ausweisdokument, das ihr bleibt, ist ein gerade abgelaufener Reisepass. Für den Fall, dass Sie das mal brauchen sollten: abgelaufene Reisepässe (NICHT der Personalausweis!) sind (zumindest) innerhalb des Schengen Abkommens, noch fünf Jahre gültig! Damit können Sie also innerhalb der Schengen-Staaten reisen. Diese Antwort verdanke ich der freundlichen Dame vom Honorarkonsulat in Nizza, die mir eigentlich keine Auskunft geben konnte, da die Enkelin Französin ist – mir aber trotzdem geholfen hat. Ich erspare Ihnen die anderen Anrufe, die ich getätigt habe – bei der Fluggesellschaft zum Beispiel, die haben als Transportunternehmen schlicht keine Ahnung, ist Ihnen auch egal – sie transportieren ja nur. Vor 9 Uhr morgens müssen Sie das noch auf englisch erfragen – ab 9 Uhr gibt es auch (nicht viel kundigere) AnsprechpartnerInnen, die der französischen Sprache mächtig sind.
Wir können also nach Berlin reisen: Ein bisschen Erleichterung an diesen traurig-traumatischen Tagen, an denen nicht nur die Beerdigungszeremonie geplant und weit angereiste Familie tagelang beherbergt und verköstigt werden muss, sondern nun zusätzlich Stunden bei der Polizei und der Versicherung verbracht werden. Alles ist logistisch schwierig ohne Telefone und Kreditkarten. Das Türschloss tauschen wir immerhin am selben Vormittag noch aus und es gibt neue Schlüssel für alle.
Ich überspringe hier die Trauerfeier und die Beisetzung, vormittags schon bei sengender Sonne auf dem baumlosen Friedhof. Nachmittags werden wir zum Flughafen gebracht und sind, soweit wir es vermögen, guter Dinge. Dann wird unser Flug nach München mit einer Dreiviertelstunde Verspätung angezeigt. Wir hätten in München eine Stunde Aufenthalt und nur Handgepäck, den Anschlussflug könnten wir gerade noch kriegen. Dann aber: anderthalb Stunden Verspätung. Ich rufe die Lufthansa-Hotline an – wie es für uns weitergehe, wenn wir den Anschlussflug verpassen, frage ich und bekomme meine Lieblingsantwort Ne vous inquiétez pas, Madame, wir würden umgebucht und bekämen notfalls ein Hotel. Ich sage der Enkelin, dass wir Chancen hätten, in München im Hotel zu übernachten. Ich rechne ihr hoch an, dass sie nicht jault und meckert, sondern nur gequält schaut.
Als der Schalter öffnet, frage ich auch hier noch einmal nach – ich müsse das in München klären, wird mir geantwortet. Immerhin erfahre ich, dass auch der Anschlussflug eine Dreiviertelstunde Verspätung hat. Wir hoffen ein bisschen.
Irgendwann sitzen wir im Flugzeug, leider ganz hinten – ich frage die Flugbegleiterin, ob sie uns schon etwas zu den Anschlussflügen sagen könne, und ob es möglich wäre, dass wir bei der Landung sofort nach vorne laufen dürften. Zu den Anschlussflügen sage sie uns kurz vor der Landung bescheid – die andere Frage beantwortet sie nicht – aus gutem Grund – wie ich später merke, ist das ganze Flugzeug voller Menschen, die einen Anschlussflug in irgendeine Richtung bekommen wollen. Die Liste der Anschlussflüge, die eventuell noch zu erreichen seien, die sie später herunterleiert, ist schier endlos. Sie denken es sich schon, Berlin wird nicht erwähnt. Es ist ein Drängen und Schubsen, alle wollen raus so schnell es geht. Was mit dem Anschlussflug nach Berlin sei, frage ich beim Aussteigen – sie schaut hilflos auf ihre Liste. Es gibt keinen.
“Wenden Sie sich an das Service Center”, rät sie mir. Und vermutlich seien wir schon umgebucht. Ja, wir sind umgebucht, auf den Folgetag um 7 Uhr morgens, entnehme ich einer SMS, die jetzt in meinem Telefon aufploppt. Jetzt aber ist es 22.00 Uhr, es ist dunkel und es regnet. Ich erfrage im Flughafen den Weg zum Service Center bei einer Dame des Bodenpersonals, die von unseren vermutlich müden und traurigen Mienen, angerührt ist und uns nicht nur die Bordkarten für den Folgetag ausdruckt, sondern uns auch rät, uns selbst um ein Hotelzimmer zu kümmern, am Service Schalter sei die Hölle los – viel zu viele Menschen haben aufgrund der Verspätung ihre Anschlussflüge verpasst. “Sie können auch am Flughafen schlafen”, schlägt sie uns vor und macht eine Geste in Richtung der Sitze. Ich möchte nicht am Flughafen schlafen und Angst haben, dass man mir meine Tasche unter dem Kopf wegzieht. Also suchen wir ein Hotelzimmer. Die großen Hotels in direkter Umgebung des Flughafens sind alle ausgebucht. Auch die großen Hotels weiter weg sind ausgebucht. Wir finden im Internet ein “Park Hotel” irgendwo in der Pampa, das noch Zimmer frei hat. Ich rufe an. Ja, bestätigt freundlich der Herr mit Migrationshintergrundakzent, er habe sogar ein Zimmer mit zwei Betten. Ich reserviere es. Dann suchen wir uns ein Taxi. Die Schlange ist lang, der Taxifahrer, der uns zugewiesen wird, ist schlechter Laune und bekommt noch schlechtere Laune, als er die Adresse erfährt. Es ist ihm nicht weit genug. “Da fährt auch ein Bus hin”, murrt er mich an. “Ich werde doch jetzt nicht mitten in der Nacht an einem mir unbekannten Flughafen einen Bus suchen, der mich ins Hotel bringt”, widerspreche ich. Nun, er versucht die Adresse über Spracherkennung in das Navigationsgerät einzugeben, auch er hat Migrationshintergrundakzent und die Spracherkennung versteht ihn nicht. Ich kenne solche Szenen nur aus Sketchen, sehr lustig in der Regel, die schimpfenden Menschen, die ums Verrecken nicht verstanden werden. Sehr unlustig, wenn man mit im Taxi sitzt, und der Fahrer abwechselnd das Spracherkennungssystem oder uns anschreit. Die Enkelin lernt ein neues deutsches Schimpfwort: Scheißdreck in allen Variationen. Letzten Endes gebe ich die Adresse in das Spracherkennungssystem ein – falls hier irgendjemand mitliest, der an der Enwicklung dieser Systeme mitarbeitet – bitte! machen Sie die Spracherkennung flexibler! Ich würde sagen 90% aller TaxifahrerInnen haben einen Akzent, vielleicht auch nur den der jeweiligen Region. Kann das nicht mitbedacht werden?
“Sie haben ihr Ziel erreicht” sagt die Navigationsstimme. Der Taxifahrer stoppt mitten in einem Wohngebiet. “Wir sind da!” “Ich sehe kein Hotel”, sage ich. Draußen ist es Nacht und es regnet. “Sie haben doch die Schei***adresse eingegeben”, herrscht er mich an. “Und das ist hier!” “Ich habe die Adresse eingegeben, es ist die Hoteladresse, aber ich sehe kein Hotel”, wiederhole ich, in der Zwischenzeit auch etwas pampig. Er flucht und fährt weiter in eine Seitenstraße. Da liegt tatsächlich zwischen reizenden Einfamilienhäusern ein schwach beleuchtetes Hotel. Der Taxifahrer will meine Kreditkarte nicht, aber auch nicht meinen großen Schein – es ist der Beginn des “wir-wollen-nur-Barzahlung-Dilemmas” in Deutschland. Irgendwann nimmt er doch die Karte, pfeffert unsere Koffer in den Regen und fährt fluchend davon. Wir stapfen zum Hotel, öffnen die Tür und stehen vor verschlossener Rezeption. Eine Telefonnummer klebt an der Tür. Die rufe ich an. “Ja”, sagt der freundliche Herr, er habe leider vergessen uns zu sagen, dass er uns auch hätte abholen können. Jetzt sei er gerade am Flughafen, um eine andere Dame abzuholen, er sei gleich da. “Gleich” ist etwas übertrieben, aber er kommt, unterstützt von einem indischen oder pakistanischen Assistenten. Und er ist, im Gegenzug zum Taxifahrer, und trotz der späten Stunde und unserem Wunsch, um halb fünf wieder an den Flughafen zu wollen, super freundlich, aber leider ist das ägyptisch-indische Palaver sehr zeitintensiv, er will mir aus Gründen, die nur er weiß, statt dem Zweibettzimmer lieber ein Zimmer mit einem französischen 160cm breiten Bett geben, das sei doch ausreichend für zwei Personen, findet er, billiger sei es auch, und sieht von mir zur Enkelin, die kein Wort versteht, nur hundemüde ist. Nun, wir möchten die wenigen Stunden, die uns bleiben, gerne jede in einem eigenen Bett liegen und ich möchte das nun auch nicht mehr diskutieren. Ich bleibe mühsam freundlich. Um Mitternacht machen wir erschöpft das Licht aus. Die Enkelin fällt sofort in einen Tiefschlaf. Ich sehe aus den Augenwinkeln, dass ich einen Anruf von der Freundin in Berlin bekomme – der ich den Festnetztelefon-Anrufbeantworter vollgequatscht habe, aber sie war unterwegs und hat die Nachrichten nicht bekommen, stattdessen Stunden am Flughafen in Berlin auf uns gewartet. (Sie hat nur ein uraltes Diensthandy, dessen Nummer ich nicht besaß).
Ich telefoniere leise flüsternd im Badezimmer. Nun, sie wird uns auch am nächsten Morgen wieder abholen, verspricht sie mir. Ich sinke ins Bett und habe das Gefühl, nicht zu schlafen, aber ich überhöre den Wecker ganze fünf Minuten lang. Punkt halb fünf stehen wir vor der Rezeption. Geschlossen. Ich rufe den freundlichen Herrn des Nachtdienstes wieder an. In einer Minute sei er da, versichert er mir. Es ist eine lange ägyptische Minute. Aber dann fährt er uns zum Flughafen, ist auch, trotz des wenigen Schlafs, weiterhin sehr freundlich, nimmt mir aber ungeniert noch einmal fünfzehn Euro für den Shuttle ab, die ich eigentlich gestern schon bezahlt habe, aber das sehe ich erst zuhause. Anyway. Überteuertes Frühstück am Flughafen beim einzig geöffneten Restaurant. Dann klappt alles. Ab 7.43Uhr scheint die Sonne über den Wolken. Die Enkelin schläft schon wieder.
Wir kommen in Berlin an, die Sonne scheint, wir werden abgeholt, checken in unser charmantes Häuschen ein – dazu gibt es einen gesonderten Post! Und dann hetzen wir zu unserer ersten Aktivität: Berlin per Boot! Zu Berlin kommt auch ein gesonderter Post. Dies wird eine Fortsetzungsgeschichte, merken Sie schon.
Und: Dieses Mal, um etwas vorzugreifen, lasse ich mich von den Worten der Customer Relation bei der Fluggesellschaft nicht mehr einlullen. Ich bin ziemlich grummelig. Gestern habe ich die Rechnungen eingereicht und wenn sie mir das Hotel nicht bezahlen wollen, gehe ich einen Schritt weiter.
Ne vous inquiétez pas, Madame! versucht mich der Mensch von der Lufthansa-Plattform am Telefon zu beruhigen. Je m’inquiète quand même un peu, sage ich, weil schon zwei Flüge nicht für mich geklappt haben, und ich gerne hätte, dass der 3. Versuch an diesem Wochenende nach Deutschland zu kommen, noch erfolgreich wird.
Um halb sieben sind wir aufgestanden, halb acht losgefahren, um kurz nach acht war ich am Flughafen. “Man”, in aller Unpersönlichkeit einer App, hatte mich auf einen frühen Flug umgebucht, da der Flug, den ich eigentlich am Abend nehmen wollte, ohne Angabe von Gründen annuliert worden war. Nach der ersten Panik und dem Anruf bei der Freundin, zu deren Nachhol-Geburtstagsfeier ich eigentlich fliegen wollte (der Geburtstag war im März wegen Covid kurzfristig ausgefallen und ich hatte auch damals schon Schwierigkeiten mit dem Flieger und zusätzlich mit dem ÖPNV, falls Sie das noch einmal nachlesen möchten, bitteschön hier entlang.), um sie zu informieren, dass ich möglicherweise doch nicht kommen werde, suche ich nach Alternativen. “Mit dem Zug vielleicht”, schlägt eine andere Freundin vor, die zufällig in dem Moment anruft. Bahn sei ohnehin viel besser, vielleicht gäbe es einen Nachtzug? Ich suche probehalber eine Verbindung von Cannes nach Frankfurt: 13 Stunden und fünf Mal umsteigen (Cannes, Marseille, Paris Gare de Lyon zu Gare de l’Est, Karlsruhe, Frankfurt Hbf zu Frankfurt Flughafen, wo dann endlich ein Mietwagen auf mich warten würde) zu einem Preis jenseits von gut und böse, kommt nicht infrage.
Ich wende mich noch einmal der App zu, die mir anonym aber freundlich die Annulierung hat zukommen lassen. Es gibt drei Möglichkeiten schreibt eine künstliche Intelligenz: Sie könne überprüfen, ob ich schon umgebucht wurde, mir Flugalternativen suchen, oder den Flug komplett annulieren. Ok, umgebucht war ich noch nicht, das erfahre ich schnell, ich lasse die künstliche Intelligenz also Flugalternativen suchen (ich war gerade schon auf der Seite des Fluganbieters, dort gibt es noch ein paar vereinzelte Flüge für zum Teil vierstellige Summen, ich fliege Economy light, und vermute, dass ich so schnell nicht wegkommen werde – damit würde das Wochenende, der Geburtstag und ein Besuch bei der Familie in Heidelberg, ausfallen. Herrjeh, was für eine Enttäuschung, wenn ich das meiner Mutter sagen müsste). Aber siehe da, die künstliche Intelligenz schlägt mir eine kostenlose Umbuchung zu einem der teuren Flüge zu einer verträglichen Abflugzeit vor. Kein Zögern, nehme ich. Ich werde umgebucht und bekomme meinen Boardingpass, alles in kürzester Zeit auf dem Smartphone. Toll! Abgesehen davon, dass ich nun umgehend den Koffer packen muss, bin ich ziemlich begeistert von diesem Service. Super erleichtert rufe ich wieder die Freundin an und sage, dass ich etwas früher käme. Alles gut. Sie freut sich, dass ich komme und plant ihren Tag um. Ich versuche nun, den Mietwagen für abends auf mittags zu reservieren. Die Mietwagenfirma hat leider keine kompetente künstliche Intelligenz auf ihrer Internetseite, natürlich auch keine Mailadresse oder gar eine Telefonnummer, unter der ich sie erreichen könnte. Ich buche also einen anderen Kleinwagen für mittags und denke mir, ich werde den reservierten Wagen für abends annulieren und mich erklären, wenn ich da bin.
Aber dann haben sie mich nicht mitgenommen. Es blinkte rot und blökte laut, als ich meinen Boardingpass auf den Scanner lege. Die Bodenstewardess nimmt mich streng zur Seite, ich fühle mich kurz wie eine blinde Passagierin, und prüft meinen Boardingpass. Ich stehe nicht auf der Passagierliste, sagt sie mir. Bitte? Ich habe einen Boardingpass, einen Sitzplatz – aber nein, sie ist entschieden, ich darf nicht an Bord, der Flug ist außerdem ausgebucht, es gibt keinen Platz. Sie lässt noch eine Handvoll Passagiere einsteigen. Ein fehlender Passagier wird ausgerufen – er kommt nicht. “Dann nehme ich seinen Platz”, sage ich, aber nein, das lässt die Regelung nicht zu. Dann schließt sie die Tür. Ich starre die geschlossene Tür an. “Was mache ich denn jetzt?” frage ich fassungslos. “Rufen Sie die Lufthansa an”, sagt sie ungerührt. “Sie sind nicht Lufthansa?”, frage ich. Nein, sie sind nur ein Subunternehmen, erfahre ich. Immerhin sucht sie mir die entsprechende Telefonnummer und ich habe sofort jemandem am Telefon, einen echten Menschen, keine künstliche Intelligenz. Ich hasse telefonieren, denn wenn ich aufgeregt bin, verliere ich immer meine französische Sprachkompetenz, aber ich schaffe es dieses Mal, meinen Fall verständlich vorzubringen. Der Mann am Telefon sagt, es könne gar nicht sein, dass ich mit meinem Boardingpass nicht auf der Liste gestanden hätte. Das hilft mir aber wenig, das Flugzeug ist in der Zwischenzeit ohne mich abgeflogen. “Ich buche sie um auf 14.20 Uhr”, sagt er. “Den Link schicke ich Ihnen gleich per SMS zu.” Er rät mir dennoch, bei Öffnung des Schalters sofort überprüfen zu lassen, dass ich dieses Mal auf der Passagierliste stehe. Wenn nicht, dann sei noch genug Zeit, um mit der Lufthansa Rücksprache zu halten.
Ich rufe die Freundin an, um sie zu informieren, dass ich jetzt doch später käme, aber ich käme, aller Voraussicht nach.
Dreißig Minuten später habe ich noch keine SMS mit dem Link. Ich warte noch zehn Minuten, dann rufe ich erneut bei der Lufthansa an. Franzosen mit Migrationshintergund verstehe ich aufgrund ihres Akzents und ihrer Art, die Standardsätze herunterzuleiern, immer nur schwer. Ich mache natürlich den Lärm am Flughafen dafür verantwortlich, als ich ihn bitte, alles zweimal zu wiederholen. Vous pouvez répéter s’il vous plaît? Und NATÜRLICH höre ich auch wieder ALLES GLEICHZEITIG! Das Klaviergeklimper, die Rollkoffer, Kinderweinen von Ferne, die Stöckelabsätze einer Dame, den Anruf des deutschen Mannes rechts neben mir, die Durchsagen “Passenger XY ist requested to proceed…”, das Grundrauschen, den Hall in der Halle, irgendwo fiept immer etwas, erneute Durchsagen unverständlich diesmal, dafür aber auf Englisch und Französisch, es IST LAUT! “Ne vous inquiétez pas!” sagt der Herr am Telefon erneut. Ich sage, dass ich ihn im 30 Minuten Rhythmus anrufen werde, wenn ich den Link zu meinem Ticket und dem Boardingpass nicht bald bekäme. Das findet er extrem lustig und lacht sich schlapp. Nun gut. Ich warte und versuche nun auch die 2. Mietwagenreservierung zu stornieren, weil ich in den AGBs gelesen habe, dass bei Nichterscheinen eine Ausfallgebühr erhoben würde, das möchte ich gerne vermeiden; ich finde aber den angeblich existierenden Kontakt-Button nicht, ich sagte es schon, die Internetseite ist nicht ganz ausgefeilt, immerhin kann ich auf die erhaltene Buchungsbestätigung antworten – zumindest glaube ich das in diesem Moment, und ich schreibe eine lange, vermutlich unverständliche Mail, die nicht rausgeht, bis ich merke, dass mein Flughafen-Internet-Zugang erloschen ist: ich hänge schon zu lange hier herum, und muss an den Film Terminal denken, wo Tom Hanks einen Passagier aus einem erfundenen Osteuropäischen Land spielt, der nicht in die USA einreisen darf, weil in seinem Land zwischenzeitlich ein Putsch stattgefunden hat, und die USA die diplomatischen Beziehungen abgebrochen haben, aber auch nicht mehr in sein Land zurückreisen kann, da seine Papiere ihre Gültigkeit verloren haben, und er gezwungen ist, mehrere Monate am Flughafen auszuharren. Ich wähle mich erneut ins Flughafen-Internet ein, die Mail geht raus und die Lufthansa-SMS kommt rein, hurrah! Ich checke mal wieder ein, erstelle meinen Boardingpass und bin halbwegs guter Dinge.
Um 12.15 Uhr gehe ich Mittagessen (Sandwich, und Cheesecake im Becher), um 12.37 Uhr bekomme ich eine SMS, dass der Flieger verspätet sein wird. OMG. Der Wetterbericht für Deutschland ist außerdem ziemlich beunruhigend und ich habe die leise Befürchtung, dass der Flieger letzten Endes keine Starterlaubnis mehr bekommen wird. Think positive. Ich setze mich wieder in die Wartehalle, lese im Internet herum und schirme mich mit meinen Kopfhörern von zu viel Lärm ab. Der Flughafen, der sich zwischenzeitlich geleert hatte, füllt sich wieder. Hohes Grundrauschen. Ein neuer Klavierspieler ist eher begabt und spielt jazzy – trotzdem ist es mir zu viel.
Die Tarifverhandlungen bei der Bahn sind gescheitert, lese ich, ein unbefristeter Streik wird wahrscheinlich. Gut, dass ich nicht auf die Bahn umgestiegen bin.
13.37 Uhr, am Schalter tut sich etwas, ich stelle mich sofort an, bin aber nicht die einzige; als ich dran bin, muss ich erneut meine Geschichte erzählen, denn sie finden das Überprüfen überflüssig, ich habe doch einen Boardingpass. Ich sage mal wieder, dass ich den um zehn Uhr morgens auch hatte und dennoch nicht mitfliegen durfte, weil … “Kann gar nicht sein”, sagt der Herr im dunkelblauen Anzug. Ich zucke mit den Achseln, ich warte nicht aus lauter Jux und Dollerei stundenlang am Flughafen, immerhin prüfen sie jetzt die Passagierliste: ja, ich stehe drauf! Und der Flieger hat auch weiterhin nur 35 Minuten Verspätung.
14.30 Uhr: ICH BIN DRIN!
Gegen 17 Uhr bin ich bei der Autovermietung. “Wie viele Autos wollen Sie denn?” fragt der junge Mann hinter dem Schalter süffisant, weil er zwei Reservierungen findet, aber keine Stornierung. Er hat meine Mail nicht bekommen, meine Geschichte interessiert ihn auch nicht besonders. Ich bekomme aber problemlos einen Kleinwagen, der doppelt so groß ist wie unser Auto zuhause und zehn mal technisierter. Ich kann es – ohne Schlüssel – schonmal nicht starten (Kupplung UND Bremse treten UND auf den Startknopf drücken, falls Sie das mal brauchen sollten, bitte gerne!) Später fahre ich bestimmt zwanzig Minuten mit Scheibenwischer, obwohl es noch nicht regnet, weil ich ihn aus Versehen angeschaltet habe, ihn aber ums Verrecken nicht mehr ausschalten kann. Immerhin ist das Navigationssystem leicht zu bedienen und findet auch Orte ohne exakte Adresse. Es ist beste Berufsverkehrzeit, aber ich fahre ohne Stau und ohne Gewitter. Gegen 18 Uhr bin ich da! Halleluja!
Es wird ein sehr schönes Wochenende, erstmals musste ich wirklich gar keine anderen Klamotten mitnehmen, in Deutschland ist es genauso warm wie in Südfrankreich. Dort war es bei Abflug sogar etwas frischer, wegen viel Wind. Jetzt allerdings, innerhalb von drei Tagen, ist es hier wirklich Sommer geworden. Ich vergesse jedes Jahr, wie es ist: diese monatelange warme klebrige Schwüle, die einen müde macht und träge. Als ich Sonntagabends aus dem klimatisierten Flughafengebäude trete, trifft mich die feuchte Hitze wie ein Schlag. Glauben Sie mir, die “schwüle” Hitze in Deutschland, die ich gerade erleben konnte, ist gar nichts im Vergleich.
Im Nachbarhaus ist zusätzlich Baustelle, wir teilen uns die Wand, die unter dem Presslufthammer, der nebenan rattert, vibriert, und das morgens, mittags und unverhofft auch zur besten Sieste-Zeit. Es grenzt an Folter. Gestern kurz vor Mitternacht hatten wir noch 29°C indoor! Jetzt sitze ich im leichten Gebläse des Ventilators. Es ist Sommer.
PS: Zurück hat übrigens alles wunderbar geklappt, um das auch zu sagen. Ich habe allerdings zweimal überprüfen lassen, dass ich auch wirklich auf der Passagierliste stand!
Heute waren wir an einem anderen Strand als sonst, ganz im Osten von Cannes, im Stadtteil Moure Rouge, am Fuß des Hügels La Californie.Moure Rouge war eigentlich mal ein Fischerdorf, es gibt dort auch noch einen kleinen Hafen, aber die meisten der kleinen ein- oder anderthalb geschossigen Häuschen sind verschwunden und an ihrer Stelle stehen jetzt Appartmenthäuser aus den 60er oder 80er Jahren; wenn heute neu gebaut wird, dann werden es riesige mehrstöckige gläserne Paläste.
Der dortige Stadtstrand aber ist noch Fischerdorfklein, und er ist in viele Buchten unterteilt, das Wasser plätschert freundlich und es geht lange sehr flach ins Wasser. Es ist Kinder- und Seniorenfreundlich, und man kann gefühlt “weit draußen” noch stehen, was zumindest viele Erwachsene auch machen. Ich sah viele Grüppchen im Wasser herumstehen und plaudern. Der Strand von Moure Rouge ist der letzte Naturstrand von Cannes. Das bedeutet, der Sand ist “echt” und nicht aufgeschüttet, leicht grau und ganz fein, ein sehr weiches Gefühl unter den Füßen, viel angenehmer als der gelbliche und grobkörnige Sand, mit dem “unser” Strand am Midi Plage jedes Jahr aufgefüllt wird. Im Wasser liegen allerdings auch ein paar Steine und das Neptungras wächst hier, und da, wo es wächst, sieht das Meer ein bisschen bräunlich-grünlich gefleckt aus. Das Neptungras liegt dann auch am Strand (ein bisschen) und Teile davon dümpeln im Wasser herum. Das sieht vielleicht nicht so schön aus, ist aber völlig natürlich. Nein, es ist keine Alge, es ist ein Meergras, heißt hier la posidonie, und wächst gaanz langsam und ist quasi die Lunge des Mittelmeers. Seitdem ich weiß, wie wichtig dieses Pflänzchen für das Ökosystem ist und dass es auch im trockenen struppigen Zustand am Strand liegend noch hilft, diesen vor dem Weggeschwemmt werden zu bewahren und deswegen zumindest in der Wintersaison da liegen bleiben darf, mag ich die buschigen Schwänzchen, die stacheligen Bällchen und die trockenen Gräser richtig gern.
Heute hatten wir Ostwind, und wenn Sie im letzten Jahr mitgelesen und aufgepasst haben, dann wissen Sie, bei Ostwind gibt es vermehrt Quallen. Nun, es gab zumindest eine, ich habe sie aber nur am Strand entdeckt (und entsorgt) und hatte sonst weiter keine Quallen-Begegnung.
Bei Ostwind ist diese Ecke auch bei Seglern, Surfern und Kitesurfern beliebt. In Moure Rouge kann man auch Kajaks und Standup-Paddel mieten und damit bis zur Insel Ste. Marguerite paddeln oder einmal drumherum. Es war also allerhand los und viele waren unterwegs heute. Aber leider kann ich das kleine Video, das ich gemacht habe, hier nicht einbetten.
Da wir später waren als sonst, überquerten wir mittags die (verkehrsberuhigte Einbahn-) Straße und aßen am winzigen Tisch “bord de mer”, so nennen sie im Restaurant die Tische an der Straße, es ist vielmehr “bord de route”. Wenn aber nicht viel los ist, so wie heute, dann sieht man das Meer gegenüber und die paar Autos stören nicht, es war also ziemlich “bord de mer”.